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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Wertzuwachssteuer

die Mitwirkung des Staates zweifellos schwächer war. Um diese letzte Behauptung
nachzuweisen, ist es nur nötig, das Augenmerk auf den Kultusetat Preußens
mit 200 Millionen und auf seine Tätigkeit in: Eisenbahnbau. sowie auf die
Schutzzollpolitik des Reiches zu lenken. Der Staat schützt und fördert nicht nur
das Vermögen seiner Einwohner in steigendem Maße, er schützt auch die Arbeit
im engeren Sinne des Wortes durch die Bestimmungen der Reichsversicherungs¬
ordnung, der Gewerbeordnung, wie die Arbeit in: weiteren Sinne durch seine
Zollpolitik. Namentlich letztere hat in den letzten Jahrzehnten einen entscheidenden
Einfluß auf die Vermögensvermehrung verschiedener Berufsarten ausgeübt, so
daß sich nach den Steuerlisten allein in Preußen ein jährlicher Vermögenszuwachs
von mehr als 2 Milliarden ergibt. Aber wie jedes Ding seine Kehrseite hat,
fo kann auch hier nicht in Abrede gestellt werden, daß andere Kreise der
Bevölkerung unter dem erweiterten Einfluß dieser Expansionspolitik des Staates
keinen volkswirtschaftlichen Nutzen, ja Schaden von ihr ertragen. Man braucht
nur an gewisse Industrien von Fertigfabrikaten zu denken, die die hohen
Auslandszölle für ihre Produkte als Gegenmaßregeln gegen die Jnlandszölle
für Rohstoffe und andere Spezies wohl nicht mit Unrecht bezeichnen, oder man
braucht sich nur vor Augen zu halten, daß die nicht im Erwerbsleben stehenden
Kreise unter den durch die Schutzzölle veranlaßten Teilerungsverhältnissen oft
nicht zum Sparen gelangen können, ja sogar sich wirtschaftlich beschränken müssen.
Ist nicht auch die Klage des Handwerks über die Förderung der Industrie nach
dieser Richtung zum Teil eine berechtigte? Und ist es nicht eine durch die
Steuerlisten bewiesene Tatsache, daß besonders das Großkapital von der durch
die Schutzzollpolitik inaugurierten Wirtschaftsordnung den prozentual größten
Vorteil zieht? Ist dem so, so wird auch eine steuerliche Vorbelastung der durch
die staatlichen Maßnahmen Bevorzugten nur mit der Gerechtigkeit Hand in Hand
gehen. Man wendet ein, daß die Erledigung dieser Forderung in der progressiven
Einkommensteuer, die in den meisten Staaten eingeführt ist, zum Ausdruck
komme. Aber darauf ist zu erwidern, daß diese Progression bei 4 bis 5 Prozent
aufhört und den Steuerpflichtigen mit einen: Einkommen von mehr als 100000 M.
nicht mehr berührt, und daß sie außerdem das Mißverhältnis zwischen dem
Steuerpflichtigen, der nicht zurücklegen kann, und demjenigen, der jährlich sein
Vermögen vermehrt, in sicher unvollkommener Weise trifft. Das tritt besonders
in Erscheinung, wenn der Staat seine Einkommensteuer erhöht. Dann sinkt die
Lebenshaltung desjenigen', der sein Einkommen nicht erhöhen kann, zurück,
während der andere, wenn er sich nicht einen Ausgleich in: Erwerbsleben schafft,
höchstens seine Rücklage vermindert. Es ist den Steuersystemen fast aller
Staaten, die keine oder nur eine beschränkte Erbschaftssteuer haben, eigen, daß
sie das fundierte Einkommen im Verhältnis zum Arbeitseinkommen zu schwach
besteuern. Auch die Ergänzungssteuer in Preußen, die sich ohne der Ein¬
kommensteuer entsprechende Progression vollzieht, kann diesen Vorwurf nicht
beseitigen. Seine Berechtigung wächst naturgemäß an innerem Gehalt, je höher


Wertzuwachssteuer

die Mitwirkung des Staates zweifellos schwächer war. Um diese letzte Behauptung
nachzuweisen, ist es nur nötig, das Augenmerk auf den Kultusetat Preußens
mit 200 Millionen und auf seine Tätigkeit in: Eisenbahnbau. sowie auf die
Schutzzollpolitik des Reiches zu lenken. Der Staat schützt und fördert nicht nur
das Vermögen seiner Einwohner in steigendem Maße, er schützt auch die Arbeit
im engeren Sinne des Wortes durch die Bestimmungen der Reichsversicherungs¬
ordnung, der Gewerbeordnung, wie die Arbeit in: weiteren Sinne durch seine
Zollpolitik. Namentlich letztere hat in den letzten Jahrzehnten einen entscheidenden
Einfluß auf die Vermögensvermehrung verschiedener Berufsarten ausgeübt, so
daß sich nach den Steuerlisten allein in Preußen ein jährlicher Vermögenszuwachs
von mehr als 2 Milliarden ergibt. Aber wie jedes Ding seine Kehrseite hat,
fo kann auch hier nicht in Abrede gestellt werden, daß andere Kreise der
Bevölkerung unter dem erweiterten Einfluß dieser Expansionspolitik des Staates
keinen volkswirtschaftlichen Nutzen, ja Schaden von ihr ertragen. Man braucht
nur an gewisse Industrien von Fertigfabrikaten zu denken, die die hohen
Auslandszölle für ihre Produkte als Gegenmaßregeln gegen die Jnlandszölle
für Rohstoffe und andere Spezies wohl nicht mit Unrecht bezeichnen, oder man
braucht sich nur vor Augen zu halten, daß die nicht im Erwerbsleben stehenden
Kreise unter den durch die Schutzzölle veranlaßten Teilerungsverhältnissen oft
nicht zum Sparen gelangen können, ja sogar sich wirtschaftlich beschränken müssen.
Ist nicht auch die Klage des Handwerks über die Förderung der Industrie nach
dieser Richtung zum Teil eine berechtigte? Und ist es nicht eine durch die
Steuerlisten bewiesene Tatsache, daß besonders das Großkapital von der durch
die Schutzzollpolitik inaugurierten Wirtschaftsordnung den prozentual größten
Vorteil zieht? Ist dem so, so wird auch eine steuerliche Vorbelastung der durch
die staatlichen Maßnahmen Bevorzugten nur mit der Gerechtigkeit Hand in Hand
gehen. Man wendet ein, daß die Erledigung dieser Forderung in der progressiven
Einkommensteuer, die in den meisten Staaten eingeführt ist, zum Ausdruck
komme. Aber darauf ist zu erwidern, daß diese Progression bei 4 bis 5 Prozent
aufhört und den Steuerpflichtigen mit einen: Einkommen von mehr als 100000 M.
nicht mehr berührt, und daß sie außerdem das Mißverhältnis zwischen dem
Steuerpflichtigen, der nicht zurücklegen kann, und demjenigen, der jährlich sein
Vermögen vermehrt, in sicher unvollkommener Weise trifft. Das tritt besonders
in Erscheinung, wenn der Staat seine Einkommensteuer erhöht. Dann sinkt die
Lebenshaltung desjenigen', der sein Einkommen nicht erhöhen kann, zurück,
während der andere, wenn er sich nicht einen Ausgleich in: Erwerbsleben schafft,
höchstens seine Rücklage vermindert. Es ist den Steuersystemen fast aller
Staaten, die keine oder nur eine beschränkte Erbschaftssteuer haben, eigen, daß
sie das fundierte Einkommen im Verhältnis zum Arbeitseinkommen zu schwach
besteuern. Auch die Ergänzungssteuer in Preußen, die sich ohne der Ein¬
kommensteuer entsprechende Progression vollzieht, kann diesen Vorwurf nicht
beseitigen. Seine Berechtigung wächst naturgemäß an innerem Gehalt, je höher


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[0123] Wertzuwachssteuer die Mitwirkung des Staates zweifellos schwächer war. Um diese letzte Behauptung nachzuweisen, ist es nur nötig, das Augenmerk auf den Kultusetat Preußens mit 200 Millionen und auf seine Tätigkeit in: Eisenbahnbau. sowie auf die Schutzzollpolitik des Reiches zu lenken. Der Staat schützt und fördert nicht nur das Vermögen seiner Einwohner in steigendem Maße, er schützt auch die Arbeit im engeren Sinne des Wortes durch die Bestimmungen der Reichsversicherungs¬ ordnung, der Gewerbeordnung, wie die Arbeit in: weiteren Sinne durch seine Zollpolitik. Namentlich letztere hat in den letzten Jahrzehnten einen entscheidenden Einfluß auf die Vermögensvermehrung verschiedener Berufsarten ausgeübt, so daß sich nach den Steuerlisten allein in Preußen ein jährlicher Vermögenszuwachs von mehr als 2 Milliarden ergibt. Aber wie jedes Ding seine Kehrseite hat, fo kann auch hier nicht in Abrede gestellt werden, daß andere Kreise der Bevölkerung unter dem erweiterten Einfluß dieser Expansionspolitik des Staates keinen volkswirtschaftlichen Nutzen, ja Schaden von ihr ertragen. Man braucht nur an gewisse Industrien von Fertigfabrikaten zu denken, die die hohen Auslandszölle für ihre Produkte als Gegenmaßregeln gegen die Jnlandszölle für Rohstoffe und andere Spezies wohl nicht mit Unrecht bezeichnen, oder man braucht sich nur vor Augen zu halten, daß die nicht im Erwerbsleben stehenden Kreise unter den durch die Schutzzölle veranlaßten Teilerungsverhältnissen oft nicht zum Sparen gelangen können, ja sogar sich wirtschaftlich beschränken müssen. Ist nicht auch die Klage des Handwerks über die Förderung der Industrie nach dieser Richtung zum Teil eine berechtigte? Und ist es nicht eine durch die Steuerlisten bewiesene Tatsache, daß besonders das Großkapital von der durch die Schutzzollpolitik inaugurierten Wirtschaftsordnung den prozentual größten Vorteil zieht? Ist dem so, so wird auch eine steuerliche Vorbelastung der durch die staatlichen Maßnahmen Bevorzugten nur mit der Gerechtigkeit Hand in Hand gehen. Man wendet ein, daß die Erledigung dieser Forderung in der progressiven Einkommensteuer, die in den meisten Staaten eingeführt ist, zum Ausdruck komme. Aber darauf ist zu erwidern, daß diese Progression bei 4 bis 5 Prozent aufhört und den Steuerpflichtigen mit einen: Einkommen von mehr als 100000 M. nicht mehr berührt, und daß sie außerdem das Mißverhältnis zwischen dem Steuerpflichtigen, der nicht zurücklegen kann, und demjenigen, der jährlich sein Vermögen vermehrt, in sicher unvollkommener Weise trifft. Das tritt besonders in Erscheinung, wenn der Staat seine Einkommensteuer erhöht. Dann sinkt die Lebenshaltung desjenigen', der sein Einkommen nicht erhöhen kann, zurück, während der andere, wenn er sich nicht einen Ausgleich in: Erwerbsleben schafft, höchstens seine Rücklage vermindert. Es ist den Steuersystemen fast aller Staaten, die keine oder nur eine beschränkte Erbschaftssteuer haben, eigen, daß sie das fundierte Einkommen im Verhältnis zum Arbeitseinkommen zu schwach besteuern. Auch die Ergänzungssteuer in Preußen, die sich ohne der Ein¬ kommensteuer entsprechende Progression vollzieht, kann diesen Vorwurf nicht beseitigen. Seine Berechtigung wächst naturgemäß an innerem Gehalt, je höher

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/123>, abgerufen am 25.08.2024.