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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Lin Reichsnotschatz

Sammlungen angeregt, und dann haben die Geschädigten auch Aussicht auf
Ersatz eines Teiles des Verlustes. Bei minder umfangreichen Unglücksfällen
aber, wie sie mindestens jeden Monat irgendwo im Deutschen Reiche vorkommen,
wenn z. B. nur ein Dutzend Familien durch eine Explosion, ein Eisenbahnunglück,
einen Bergwerksunfall den Ernährer verliert, wenn nur einige Dörfer über¬
schwemmt werden oder nur einige Hänser abbrennen, von Lawinen verschüttet
werden u. tgi., da bleibt die Erregung des opferfreudigen Mitleids weiterer Kreise
aus, denn das ist ja eben etwas Alltägliches. Die Betroffenen selbst aber tragen
an dem Unglück doch genau so schwer, als wenn sie noch Hunderte von
Leidensgenossen hätten, ja eigentlich noch schwerer, denn ihnen fehlt obendrein
der Trost, "socios tmbuissL malorum." Sie empfinden daher die Un¬
zulänglichkeit, die darin liegt, daß den ununterbrochen sich wiederholenden Heim¬
suchungen gegenüber eine Hilfstätigkeit nur in vereinzelten Fällen einsetzt.

Endlich ist es ein großer Übelstand dieser Sammlungen von Fall zu Fall,
daß stets Wochen und Monate vergehen, bevor die gesammelten Gelder den
Bedürftigen ausgehändigt werden können, wenn sie sich nicht gar -- wie im Falle
Messina -- unterwegs zum großen Teile verkrümeln. Dabei ist aber in solchen
Fällen elementarer Verwüstung gerade schnelle Hilfe doppelte Hilfe.

Diese Erwägungen, deren Richtigkeit wohl niemand bestreiten wird, führen
ganz von selbst zu dem Vorschlag, an Stelle der einmaligen Sammlungen ac! Koe
bei jeweiligem Eintritt eines größeren Unglücks lieber Einrichtungen zu treffen,
um dauernd aus allen Volksschichten Mittel für einen großen Reichsnotschatz zu
sammeln, der von einem ständigen Ausschusse zu verwalten und aus dessen
Vorräten bei allen größeren Notständen nach festen Grundsätzen sofortige, wirk¬
same Hilfe zu gewähren wäre, aber stets nur an Bewohner des Deutschen Reiches
und an Deutsche im Auslande. Der Reichsnotschatz würde nicht nur im Frieden
bei Naturereignissen, sondern vermöge seiner ausgebreiteten Organisation im
ganzen Lande auch in Kriegszeiten berufen und befähigt sein, die durch den Verlust
des Ernährers hervorgerufene Not in Tausenden von Familien zu lindern und
unzählige Tränen zu trocknen. Die Schaffung des Reichsnotschatzes gehört zu
den von der Menschlichkeit geforderten Vorbereitungen zum Kriege mit Natur¬
gewalten und äußeren Feinden!

Wenn die Idee des Reichsnotschatzes von allen denjenigen Gesellschafts¬
kreisen und Personen, die bisher die Hilfsausschüsse bildeten oder deren Protektorat
übernahmen, aufgegriffen, wenn sie von den deutschen Regierungen und Behörden
im wohlverstandenen Interesse der gesamten Bevölkerung gefördert und von der
-- in dieser rein menschlichen Frage vielleicht einmal einigen -- Presse aller
Parteien nachdrücklich unterstützt würde, dann würde der Neichsnotschatz in
überraschend kurzer Zeit seine segensreiche Wirksamkeit entfalten können; er könnte
sogar bald eine echt volkstümliche Einrichtung werden.

Denn die bisher regelmäßig mit hohen Beträgen an den Spenden sich frei¬
willig beteiligenden -- zum Teil auch aus allerhand Rücksichten zur Beteiligung


Lin Reichsnotschatz

Sammlungen angeregt, und dann haben die Geschädigten auch Aussicht auf
Ersatz eines Teiles des Verlustes. Bei minder umfangreichen Unglücksfällen
aber, wie sie mindestens jeden Monat irgendwo im Deutschen Reiche vorkommen,
wenn z. B. nur ein Dutzend Familien durch eine Explosion, ein Eisenbahnunglück,
einen Bergwerksunfall den Ernährer verliert, wenn nur einige Dörfer über¬
schwemmt werden oder nur einige Hänser abbrennen, von Lawinen verschüttet
werden u. tgi., da bleibt die Erregung des opferfreudigen Mitleids weiterer Kreise
aus, denn das ist ja eben etwas Alltägliches. Die Betroffenen selbst aber tragen
an dem Unglück doch genau so schwer, als wenn sie noch Hunderte von
Leidensgenossen hätten, ja eigentlich noch schwerer, denn ihnen fehlt obendrein
der Trost, „socios tmbuissL malorum." Sie empfinden daher die Un¬
zulänglichkeit, die darin liegt, daß den ununterbrochen sich wiederholenden Heim¬
suchungen gegenüber eine Hilfstätigkeit nur in vereinzelten Fällen einsetzt.

Endlich ist es ein großer Übelstand dieser Sammlungen von Fall zu Fall,
daß stets Wochen und Monate vergehen, bevor die gesammelten Gelder den
Bedürftigen ausgehändigt werden können, wenn sie sich nicht gar — wie im Falle
Messina — unterwegs zum großen Teile verkrümeln. Dabei ist aber in solchen
Fällen elementarer Verwüstung gerade schnelle Hilfe doppelte Hilfe.

Diese Erwägungen, deren Richtigkeit wohl niemand bestreiten wird, führen
ganz von selbst zu dem Vorschlag, an Stelle der einmaligen Sammlungen ac! Koe
bei jeweiligem Eintritt eines größeren Unglücks lieber Einrichtungen zu treffen,
um dauernd aus allen Volksschichten Mittel für einen großen Reichsnotschatz zu
sammeln, der von einem ständigen Ausschusse zu verwalten und aus dessen
Vorräten bei allen größeren Notständen nach festen Grundsätzen sofortige, wirk¬
same Hilfe zu gewähren wäre, aber stets nur an Bewohner des Deutschen Reiches
und an Deutsche im Auslande. Der Reichsnotschatz würde nicht nur im Frieden
bei Naturereignissen, sondern vermöge seiner ausgebreiteten Organisation im
ganzen Lande auch in Kriegszeiten berufen und befähigt sein, die durch den Verlust
des Ernährers hervorgerufene Not in Tausenden von Familien zu lindern und
unzählige Tränen zu trocknen. Die Schaffung des Reichsnotschatzes gehört zu
den von der Menschlichkeit geforderten Vorbereitungen zum Kriege mit Natur¬
gewalten und äußeren Feinden!

Wenn die Idee des Reichsnotschatzes von allen denjenigen Gesellschafts¬
kreisen und Personen, die bisher die Hilfsausschüsse bildeten oder deren Protektorat
übernahmen, aufgegriffen, wenn sie von den deutschen Regierungen und Behörden
im wohlverstandenen Interesse der gesamten Bevölkerung gefördert und von der
— in dieser rein menschlichen Frage vielleicht einmal einigen — Presse aller
Parteien nachdrücklich unterstützt würde, dann würde der Neichsnotschatz in
überraschend kurzer Zeit seine segensreiche Wirksamkeit entfalten können; er könnte
sogar bald eine echt volkstümliche Einrichtung werden.

Denn die bisher regelmäßig mit hohen Beträgen an den Spenden sich frei¬
willig beteiligenden — zum Teil auch aus allerhand Rücksichten zur Beteiligung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/623>, abgerufen am 23.07.2024.