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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Die Lyrik des siebziger Krieges

Es ist bezeichnend, daß Freiligrath den Kaiser der Franzosen, den er den
"Zwingherrn" nennt, mit den größten Despoten der Weltgeschichte vergleicht.
Nichts mag so sehr dazu beigetragen haben, den demokratischen Dichter von
seiner Feindschaft gegen das preußische Königshaus zu heilen, nichts dürfte
auch andere Demokraten (so Rudolf Gottschall, der 1848 "Barrikadenlieder",
1870 patriotischste Kriegsgedichte schrieb) so rasch und gründlich mit Preußen
ausgesöhnt haben, als daß sich auf Frankreichs Thron eine wirkliche und völlige
Despotie zu bequemer und lehrreicher Vergleichung mit anderen Regierungs¬
formen, die man vordem auch wohl tyrannisch gescholten, in aller Nacktheit zur
Schau stellte. Die Empörung über Napoleons Willkürherrschaft war ein Thema,
das seit den fünfziger Jahren von den deutschen Dichtern behandelt wurde.
Julius Grosse griff den Kaiser mit großem Pathos als einen zweiten "Macbeth"
an, Ernst Dohm, der "Kladderadatsch"-Redakteur, verhöhnte ihn in form¬
vollendeten Versen aufs schneidendste; kaum nötig hinzuzusetzen, daß denn auch
beide Männer 1870 im Chor der Triumphsänger zu finden waren. Den
treffendsten aber und dabei über das Politische und Einzelne hinaus ins rein
Dichterische und Allgemeine erhobenen Ausdruck für den Cäsarismus Napoleons
fand Emanuel Geibel 1859 in seinem "Gesang der Prätorianer":

Heil dem Gewaltigen, Heil dem Kaiser,
Dem Herrn im blut'gen KriegsgezeltI
Er gibt uns Gold und Lorbcerrciscr,
Wir geben ihm dafür die Welt.
Denn scheu iior unsrer Adler Blitzen
Zu Boden fliegt der Völker Blick;
Wir tragen auf den Lanzenspitzen
Das Heil des Reichs, der Welt Geschick.

Mag knirschend ihn der Bürger hassen:
Er bangt und schweigt, das ist genug;
Der Pöbel jubelt auf den Gassen
Stets dem, der ihn in Ketten schlug.
Was ist das Recht? Ein Schreck der Zahmen,
Was ist die Freiheit? Wahn und Spott,
Was sind die Götter? Hohle Namen;
Der Kaiser ist auf Erden Gott. . . .

Für Geibel selber hätte es der französischen Willkürherrschaft nicht bedurft,
ihn an die Seite der preußischen Regierung zu stellen. Er war immer ein
Gegner der Revolution gewesen, obschon auch immer ein wahrhaft freiheitlich
gesinnter Mensch. Die Liebe zur Antike, zum hellenisch Formschönen, zur
Humanität und ein streng kirchliches Christentum bestimmten sein früh gereiftes
Denken seit zeitigen Jünglingsjahren. Er umgrenzte derart seine mittlere
Stellung:'


Die Lyrik des siebziger Krieges

Es ist bezeichnend, daß Freiligrath den Kaiser der Franzosen, den er den
„Zwingherrn" nennt, mit den größten Despoten der Weltgeschichte vergleicht.
Nichts mag so sehr dazu beigetragen haben, den demokratischen Dichter von
seiner Feindschaft gegen das preußische Königshaus zu heilen, nichts dürfte
auch andere Demokraten (so Rudolf Gottschall, der 1848 „Barrikadenlieder",
1870 patriotischste Kriegsgedichte schrieb) so rasch und gründlich mit Preußen
ausgesöhnt haben, als daß sich auf Frankreichs Thron eine wirkliche und völlige
Despotie zu bequemer und lehrreicher Vergleichung mit anderen Regierungs¬
formen, die man vordem auch wohl tyrannisch gescholten, in aller Nacktheit zur
Schau stellte. Die Empörung über Napoleons Willkürherrschaft war ein Thema,
das seit den fünfziger Jahren von den deutschen Dichtern behandelt wurde.
Julius Grosse griff den Kaiser mit großem Pathos als einen zweiten „Macbeth"
an, Ernst Dohm, der „Kladderadatsch"-Redakteur, verhöhnte ihn in form¬
vollendeten Versen aufs schneidendste; kaum nötig hinzuzusetzen, daß denn auch
beide Männer 1870 im Chor der Triumphsänger zu finden waren. Den
treffendsten aber und dabei über das Politische und Einzelne hinaus ins rein
Dichterische und Allgemeine erhobenen Ausdruck für den Cäsarismus Napoleons
fand Emanuel Geibel 1859 in seinem „Gesang der Prätorianer":

Heil dem Gewaltigen, Heil dem Kaiser,
Dem Herrn im blut'gen KriegsgezeltI
Er gibt uns Gold und Lorbcerrciscr,
Wir geben ihm dafür die Welt.
Denn scheu iior unsrer Adler Blitzen
Zu Boden fliegt der Völker Blick;
Wir tragen auf den Lanzenspitzen
Das Heil des Reichs, der Welt Geschick.

Mag knirschend ihn der Bürger hassen:
Er bangt und schweigt, das ist genug;
Der Pöbel jubelt auf den Gassen
Stets dem, der ihn in Ketten schlug.
Was ist das Recht? Ein Schreck der Zahmen,
Was ist die Freiheit? Wahn und Spott,
Was sind die Götter? Hohle Namen;
Der Kaiser ist auf Erden Gott. . . .

Für Geibel selber hätte es der französischen Willkürherrschaft nicht bedurft,
ihn an die Seite der preußischen Regierung zu stellen. Er war immer ein
Gegner der Revolution gewesen, obschon auch immer ein wahrhaft freiheitlich
gesinnter Mensch. Die Liebe zur Antike, zum hellenisch Formschönen, zur
Humanität und ein streng kirchliches Christentum bestimmten sein früh gereiftes
Denken seit zeitigen Jünglingsjahren. Er umgrenzte derart seine mittlere
Stellung:'


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[0615] Die Lyrik des siebziger Krieges Es ist bezeichnend, daß Freiligrath den Kaiser der Franzosen, den er den „Zwingherrn" nennt, mit den größten Despoten der Weltgeschichte vergleicht. Nichts mag so sehr dazu beigetragen haben, den demokratischen Dichter von seiner Feindschaft gegen das preußische Königshaus zu heilen, nichts dürfte auch andere Demokraten (so Rudolf Gottschall, der 1848 „Barrikadenlieder", 1870 patriotischste Kriegsgedichte schrieb) so rasch und gründlich mit Preußen ausgesöhnt haben, als daß sich auf Frankreichs Thron eine wirkliche und völlige Despotie zu bequemer und lehrreicher Vergleichung mit anderen Regierungs¬ formen, die man vordem auch wohl tyrannisch gescholten, in aller Nacktheit zur Schau stellte. Die Empörung über Napoleons Willkürherrschaft war ein Thema, das seit den fünfziger Jahren von den deutschen Dichtern behandelt wurde. Julius Grosse griff den Kaiser mit großem Pathos als einen zweiten „Macbeth" an, Ernst Dohm, der „Kladderadatsch"-Redakteur, verhöhnte ihn in form¬ vollendeten Versen aufs schneidendste; kaum nötig hinzuzusetzen, daß denn auch beide Männer 1870 im Chor der Triumphsänger zu finden waren. Den treffendsten aber und dabei über das Politische und Einzelne hinaus ins rein Dichterische und Allgemeine erhobenen Ausdruck für den Cäsarismus Napoleons fand Emanuel Geibel 1859 in seinem „Gesang der Prätorianer": Heil dem Gewaltigen, Heil dem Kaiser, Dem Herrn im blut'gen KriegsgezeltI Er gibt uns Gold und Lorbcerrciscr, Wir geben ihm dafür die Welt. Denn scheu iior unsrer Adler Blitzen Zu Boden fliegt der Völker Blick; Wir tragen auf den Lanzenspitzen Das Heil des Reichs, der Welt Geschick. Mag knirschend ihn der Bürger hassen: Er bangt und schweigt, das ist genug; Der Pöbel jubelt auf den Gassen Stets dem, der ihn in Ketten schlug. Was ist das Recht? Ein Schreck der Zahmen, Was ist die Freiheit? Wahn und Spott, Was sind die Götter? Hohle Namen; Der Kaiser ist auf Erden Gott. . . . Für Geibel selber hätte es der französischen Willkürherrschaft nicht bedurft, ihn an die Seite der preußischen Regierung zu stellen. Er war immer ein Gegner der Revolution gewesen, obschon auch immer ein wahrhaft freiheitlich gesinnter Mensch. Die Liebe zur Antike, zum hellenisch Formschönen, zur Humanität und ein streng kirchliches Christentum bestimmten sein früh gereiftes Denken seit zeitigen Jünglingsjahren. Er umgrenzte derart seine mittlere Stellung:'

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/615>, abgerufen am 22.07.2024.