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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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I'anöclntissement nie la prusse, ecris 8ur pierre as mon tombeau:
röjoui8-toi, mon pörs, la ?ruf8s n'eLt plus!" Herwegh darf wohl den
traurigen Ruhm für sich in Anspruch nehmen, als einziger deutscher Dichter
die Ereignisse von 1870 in gänzlicher Verblendung beklagt zu haben. In
seinem "Epilog zum Kriege" heißt es:

Wie anders Freiligrath. Er beginnt abseits von aller Politik als Romantiker,
als Verherrlicher des räumlich Fernen, des Bunten; er weiß dies Ferne klarer
zu gestalten als Herwegh das Gegenwärtige, denn er sieht und malt, während
Herwegh nur verschwommen fühlt und redet. Dann, da ihn das politische
Interesse ergreift, drängt Freiligrath das Bedürfnis, in den Kampf einzugreifen,
noch zurück; erst will er die Dinge erfaßt haben, ehe er von ihnen handelt,
erst will er lernen, danach nur lehren. Sein erstes politisches Wort ist die
Forderung, das Große, wo immer er es finde, unbefangen, parteilos würdigen'
zu dürfen. Der freisinnige Mann verklärt das Andenken eines Rovalisten. Er
verteidigt sein Tun mit dem viel umstrittenen Wort: "Der Dichter steht auf
einer höhern Warte als auf den Zinnen der Partei". Nun zwingt ihn die
weitere Entwicklung der Dinge und seines eigenen Charakters dennoch Partei
zu ergreifen, genau so links wie Herwegh, aber bei schärferer Einsicht, nach
besserer Vorbereitung als dieser. Und so hält denn Freiligrath als Dichter
auch länger und tapferer auf der Linken aus als der Lebendige. Der findet
1848/49 nur noch ein paar bitter satirische Verse, während Freiligrath sich
zum eigentlichen Tnrtäus der Revolution, wenn die seltsame Zusammen-
koppelung erlaubt ist, zu ihrem Tnrtäus und Rembrandt aufschwingt. Er malt
die blutigen Kämpfe wie kein anderer, und wie kein anderer feuert er zum
Kampf für die Freiheit an. Dabei läßt sich nicht sagen, ob seine Liebe mehr
der Freiheit oder dem Vaterland gelte, denn er trennt die Begriffe Freiheit
und Deutschland nicht. Nach dein Scheitern der revolutionären Bewegung
schweigt er; aber es ist kein verbittertes Schweigen, sondern wieder ein stilles
Lernen. In einem Briefe vom Jahre 1857 schreibt er: "Ich halte fest an
meinen Überzeugungen und wirke für sie, nach dem Maß meiner Kräfte, wo
ich immer kann, aber ich bin kein Fanatiker. Ich bin, eben weil ich die Freiheit
will, tolerant. Wer das Gute und Rechte anstrebt, ist mir wert, auch wenn
er es nicht auf meine Weise und auf meinem Wege anstrebt." So verfolgt er
denu, zwar mit tiefem Mißtrauen, aber mit einem lerneifrigen uuverbohrten
Mißtrauen die Entwicklung der Dinge. Auch er sieht in Preußen einigermaßen
das böse Prinzip, aber er kann sich doch der Bewunderung für das festgefügte,
starkgeleitete Staatswesen nicht erwehren, und von solchem Bewundern zur
Hoffnung für Deutschland ist nur ein Schritt. 1866 meint er noch, "die Erfolge


Grenzboten II 1910 76

I'anöclntissement nie la prusse, ecris 8ur pierre as mon tombeau:
röjoui8-toi, mon pörs, la ?ruf8s n'eLt plus!" Herwegh darf wohl den
traurigen Ruhm für sich in Anspruch nehmen, als einziger deutscher Dichter
die Ereignisse von 1870 in gänzlicher Verblendung beklagt zu haben. In
seinem „Epilog zum Kriege" heißt es:

Wie anders Freiligrath. Er beginnt abseits von aller Politik als Romantiker,
als Verherrlicher des räumlich Fernen, des Bunten; er weiß dies Ferne klarer
zu gestalten als Herwegh das Gegenwärtige, denn er sieht und malt, während
Herwegh nur verschwommen fühlt und redet. Dann, da ihn das politische
Interesse ergreift, drängt Freiligrath das Bedürfnis, in den Kampf einzugreifen,
noch zurück; erst will er die Dinge erfaßt haben, ehe er von ihnen handelt,
erst will er lernen, danach nur lehren. Sein erstes politisches Wort ist die
Forderung, das Große, wo immer er es finde, unbefangen, parteilos würdigen'
zu dürfen. Der freisinnige Mann verklärt das Andenken eines Rovalisten. Er
verteidigt sein Tun mit dem viel umstrittenen Wort: „Der Dichter steht auf
einer höhern Warte als auf den Zinnen der Partei". Nun zwingt ihn die
weitere Entwicklung der Dinge und seines eigenen Charakters dennoch Partei
zu ergreifen, genau so links wie Herwegh, aber bei schärferer Einsicht, nach
besserer Vorbereitung als dieser. Und so hält denn Freiligrath als Dichter
auch länger und tapferer auf der Linken aus als der Lebendige. Der findet
1848/49 nur noch ein paar bitter satirische Verse, während Freiligrath sich
zum eigentlichen Tnrtäus der Revolution, wenn die seltsame Zusammen-
koppelung erlaubt ist, zu ihrem Tnrtäus und Rembrandt aufschwingt. Er malt
die blutigen Kämpfe wie kein anderer, und wie kein anderer feuert er zum
Kampf für die Freiheit an. Dabei läßt sich nicht sagen, ob seine Liebe mehr
der Freiheit oder dem Vaterland gelte, denn er trennt die Begriffe Freiheit
und Deutschland nicht. Nach dein Scheitern der revolutionären Bewegung
schweigt er; aber es ist kein verbittertes Schweigen, sondern wieder ein stilles
Lernen. In einem Briefe vom Jahre 1857 schreibt er: „Ich halte fest an
meinen Überzeugungen und wirke für sie, nach dem Maß meiner Kräfte, wo
ich immer kann, aber ich bin kein Fanatiker. Ich bin, eben weil ich die Freiheit
will, tolerant. Wer das Gute und Rechte anstrebt, ist mir wert, auch wenn
er es nicht auf meine Weise und auf meinem Wege anstrebt." So verfolgt er
denu, zwar mit tiefem Mißtrauen, aber mit einem lerneifrigen uuverbohrten
Mißtrauen die Entwicklung der Dinge. Auch er sieht in Preußen einigermaßen
das böse Prinzip, aber er kann sich doch der Bewunderung für das festgefügte,
starkgeleitete Staatswesen nicht erwehren, und von solchem Bewundern zur
Hoffnung für Deutschland ist nur ein Schritt. 1866 meint er noch, „die Erfolge


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[0613] I'anöclntissement nie la prusse, ecris 8ur pierre as mon tombeau: röjoui8-toi, mon pörs, la ?ruf8s n'eLt plus!" Herwegh darf wohl den traurigen Ruhm für sich in Anspruch nehmen, als einziger deutscher Dichter die Ereignisse von 1870 in gänzlicher Verblendung beklagt zu haben. In seinem „Epilog zum Kriege" heißt es: Wie anders Freiligrath. Er beginnt abseits von aller Politik als Romantiker, als Verherrlicher des räumlich Fernen, des Bunten; er weiß dies Ferne klarer zu gestalten als Herwegh das Gegenwärtige, denn er sieht und malt, während Herwegh nur verschwommen fühlt und redet. Dann, da ihn das politische Interesse ergreift, drängt Freiligrath das Bedürfnis, in den Kampf einzugreifen, noch zurück; erst will er die Dinge erfaßt haben, ehe er von ihnen handelt, erst will er lernen, danach nur lehren. Sein erstes politisches Wort ist die Forderung, das Große, wo immer er es finde, unbefangen, parteilos würdigen' zu dürfen. Der freisinnige Mann verklärt das Andenken eines Rovalisten. Er verteidigt sein Tun mit dem viel umstrittenen Wort: „Der Dichter steht auf einer höhern Warte als auf den Zinnen der Partei". Nun zwingt ihn die weitere Entwicklung der Dinge und seines eigenen Charakters dennoch Partei zu ergreifen, genau so links wie Herwegh, aber bei schärferer Einsicht, nach besserer Vorbereitung als dieser. Und so hält denn Freiligrath als Dichter auch länger und tapferer auf der Linken aus als der Lebendige. Der findet 1848/49 nur noch ein paar bitter satirische Verse, während Freiligrath sich zum eigentlichen Tnrtäus der Revolution, wenn die seltsame Zusammen- koppelung erlaubt ist, zu ihrem Tnrtäus und Rembrandt aufschwingt. Er malt die blutigen Kämpfe wie kein anderer, und wie kein anderer feuert er zum Kampf für die Freiheit an. Dabei läßt sich nicht sagen, ob seine Liebe mehr der Freiheit oder dem Vaterland gelte, denn er trennt die Begriffe Freiheit und Deutschland nicht. Nach dein Scheitern der revolutionären Bewegung schweigt er; aber es ist kein verbittertes Schweigen, sondern wieder ein stilles Lernen. In einem Briefe vom Jahre 1857 schreibt er: „Ich halte fest an meinen Überzeugungen und wirke für sie, nach dem Maß meiner Kräfte, wo ich immer kann, aber ich bin kein Fanatiker. Ich bin, eben weil ich die Freiheit will, tolerant. Wer das Gute und Rechte anstrebt, ist mir wert, auch wenn er es nicht auf meine Weise und auf meinem Wege anstrebt." So verfolgt er denu, zwar mit tiefem Mißtrauen, aber mit einem lerneifrigen uuverbohrten Mißtrauen die Entwicklung der Dinge. Auch er sieht in Preußen einigermaßen das böse Prinzip, aber er kann sich doch der Bewunderung für das festgefügte, starkgeleitete Staatswesen nicht erwehren, und von solchem Bewundern zur Hoffnung für Deutschland ist nur ein Schritt. 1866 meint er noch, „die Erfolge Grenzboten II 1910 76

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/613>, abgerufen am 22.07.2024.