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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Der Anstauschprofessor

herunterleckte. Dazu spielten die Musikanten, daß die Wände wackelten und
der Sturm draußen aus Konkurrenzneid immer stärker zu heulen begann. Miß
Granton rief unausgesetzt: "0 tlisse xvkirleis, elle3e wliirlors!" (amerikanischer
Ausdruck für flotte Tänzer), Doktor Jerum und die Zuschauerschaft klatschten
aus Leibeskräften und befeuerteu die Tanzbeine zu immer neuen Anstrengungen,
bis ihre Besitzer erklärten, um könnten sie nicht mehr. Dann wurde eine Tafel
hergerichtet, getrunken und gesungen:

und viele andere schöne plattdeutsche Lieder.

Aber der Sturm draußen sang mit.

"Miß Granton," sagte Doktor Jerum nach beendigter Vorstellung, "ich
weiß vieles. Aber eins weiß ich nicht: wie wir wieder nach Bergstadt kommen
sollen. Es ist ein Sturm draußen, daß die Hänser wackeln, und der Deich hat
sich in seine Bestandteile aufgelöst. Der reine Schlamm. Drei von unseren
Parforcetänzem haben schon dringelegen."

"Wegen Gröck," sagte Miß Alice. "Also was tun? Wir nehmen einen
Wagen."

"Eine gute Idee. Aber leider nicht ausführbar. Ich habe den Wirt
gefragt. Es gibt nur eine Kutsche in Altpoggensiel und die ist nach Bergstadt."

"So nehmen wir einen Bauerwagen."

"Glauben Sie, daß ein Poggensieler Bauer bei diesem grauenhaften Wetter
und diesem noch grauenhafteren Deich Wagen und Pferde hergibt, um uns nach
Bergstadt zu ziehen?"

"So gehen wir zu Fuß."

"Auf diesem Deich? Danke vielmals."

"So werde ich allein gehen."

"Sie sollten hier übernachten und morgen früh fahren."

"Geht nicht wegen 8teamor."

"Miß Alice, Sie sind ein..."

"Nun, was bin ich? Sagen Sie es nur."

"Ein Dickkopf."

"Danke. Also ich -- ich werde gehen."

"Dann geh' ich natürlich mit," sagte Jerum.

"Ich denke, Sie fürchten sich wegen Sturm und Deich."

"Fürchten? Nicht gerade. Aber ich halte es für richtiger, einen Bogen
Papier zu besorgen, damit wir vorher unser Testament machen."



") Ausgelassene Festlichkeit.
Grenzvoten II 191072
Der Anstauschprofessor

herunterleckte. Dazu spielten die Musikanten, daß die Wände wackelten und
der Sturm draußen aus Konkurrenzneid immer stärker zu heulen begann. Miß
Granton rief unausgesetzt: „0 tlisse xvkirleis, elle3e wliirlors!" (amerikanischer
Ausdruck für flotte Tänzer), Doktor Jerum und die Zuschauerschaft klatschten
aus Leibeskräften und befeuerteu die Tanzbeine zu immer neuen Anstrengungen,
bis ihre Besitzer erklärten, um könnten sie nicht mehr. Dann wurde eine Tafel
hergerichtet, getrunken und gesungen:

und viele andere schöne plattdeutsche Lieder.

Aber der Sturm draußen sang mit.

„Miß Granton," sagte Doktor Jerum nach beendigter Vorstellung, „ich
weiß vieles. Aber eins weiß ich nicht: wie wir wieder nach Bergstadt kommen
sollen. Es ist ein Sturm draußen, daß die Hänser wackeln, und der Deich hat
sich in seine Bestandteile aufgelöst. Der reine Schlamm. Drei von unseren
Parforcetänzem haben schon dringelegen."

„Wegen Gröck," sagte Miß Alice. „Also was tun? Wir nehmen einen
Wagen."

„Eine gute Idee. Aber leider nicht ausführbar. Ich habe den Wirt
gefragt. Es gibt nur eine Kutsche in Altpoggensiel und die ist nach Bergstadt."

„So nehmen wir einen Bauerwagen."

„Glauben Sie, daß ein Poggensieler Bauer bei diesem grauenhaften Wetter
und diesem noch grauenhafteren Deich Wagen und Pferde hergibt, um uns nach
Bergstadt zu ziehen?"

„So gehen wir zu Fuß."

„Auf diesem Deich? Danke vielmals."

„So werde ich allein gehen."

„Sie sollten hier übernachten und morgen früh fahren."

„Geht nicht wegen 8teamor."

„Miß Alice, Sie sind ein..."

„Nun, was bin ich? Sagen Sie es nur."

„Ein Dickkopf."

„Danke. Also ich — ich werde gehen."

„Dann geh' ich natürlich mit," sagte Jerum.

„Ich denke, Sie fürchten sich wegen Sturm und Deich."

„Fürchten? Nicht gerade. Aber ich halte es für richtiger, einen Bogen
Papier zu besorgen, damit wir vorher unser Testament machen."



") Ausgelassene Festlichkeit.
Grenzvoten II 191072
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[0581] Der Anstauschprofessor herunterleckte. Dazu spielten die Musikanten, daß die Wände wackelten und der Sturm draußen aus Konkurrenzneid immer stärker zu heulen begann. Miß Granton rief unausgesetzt: „0 tlisse xvkirleis, elle3e wliirlors!" (amerikanischer Ausdruck für flotte Tänzer), Doktor Jerum und die Zuschauerschaft klatschten aus Leibeskräften und befeuerteu die Tanzbeine zu immer neuen Anstrengungen, bis ihre Besitzer erklärten, um könnten sie nicht mehr. Dann wurde eine Tafel hergerichtet, getrunken und gesungen: und viele andere schöne plattdeutsche Lieder. Aber der Sturm draußen sang mit. „Miß Granton," sagte Doktor Jerum nach beendigter Vorstellung, „ich weiß vieles. Aber eins weiß ich nicht: wie wir wieder nach Bergstadt kommen sollen. Es ist ein Sturm draußen, daß die Hänser wackeln, und der Deich hat sich in seine Bestandteile aufgelöst. Der reine Schlamm. Drei von unseren Parforcetänzem haben schon dringelegen." „Wegen Gröck," sagte Miß Alice. „Also was tun? Wir nehmen einen Wagen." „Eine gute Idee. Aber leider nicht ausführbar. Ich habe den Wirt gefragt. Es gibt nur eine Kutsche in Altpoggensiel und die ist nach Bergstadt." „So nehmen wir einen Bauerwagen." „Glauben Sie, daß ein Poggensieler Bauer bei diesem grauenhaften Wetter und diesem noch grauenhafteren Deich Wagen und Pferde hergibt, um uns nach Bergstadt zu ziehen?" „So gehen wir zu Fuß." „Auf diesem Deich? Danke vielmals." „So werde ich allein gehen." „Sie sollten hier übernachten und morgen früh fahren." „Geht nicht wegen 8teamor." „Miß Alice, Sie sind ein..." „Nun, was bin ich? Sagen Sie es nur." „Ein Dickkopf." „Danke. Also ich — ich werde gehen." „Dann geh' ich natürlich mit," sagte Jerum. „Ich denke, Sie fürchten sich wegen Sturm und Deich." „Fürchten? Nicht gerade. Aber ich halte es für richtiger, einen Bogen Papier zu besorgen, damit wir vorher unser Testament machen." ") Ausgelassene Festlichkeit. Grenzvoten II 191072

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/581>, abgerufen am 01.07.2024.