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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Der Austcmschprofcssor

Alles ging gut.

Als aber die Stute mit einem kühnen Satz von dem gepflasterten Weg in
die knupperigen Gleise des ungepflasterten Dammes hineinfegte, ging der alten
Großmutter der Atem aus. Die Räder lösten sich von ihren Achsen, und der
obere Teil sank mit kläglichem Seufzen in sich zusammen.

"Gott sei Dank," rief Alice, nachdem sie mit Hilfe des Kutschers und Ilus
aus dem Droschkenkasten frei geworden war.

"Ja, Gott sei Dank, daß Ihnen nichts passiert ist," fügte Doktor Jerum hinzu.

"So meine ich es nicht. Ich sage Gott sei Dank, denn nnn hab' ich kein,
gar kein troubls mehr wegen Verkaufen."

"Wat maakt wi nu?" fragte der Kutscher, indem er sich den Kopf kratzte.
"Wi könnt dar Schiel hier doch nich liggen laden. Dar sparrt ja den ganzen
Damm to."

"Das will ich Ihnen sagen," sagte Doktor Jerum. "Sie laden die Räder
in den Kasten hinein, schleifen den Kram nach Schmied Puttfarken in Kruslak
und bestellen: es wäre ein Geschenk von einer amerikanischen Dame. Nicht
wahr, Miß Alice? Vielleicht fügen Sie Ihre Visitenkarte bei."

Das wollte Miß Alice nicht, war aber sonst mit Doktor Jerums Verfügung
über ihre .fahrende' Habe einverstanden.

Ilm erhielt den Befehl, in der Kruslaker Post auf die Rückkehr der Herr¬
schaften zu warten. Die Karawane ging ab.

"Jetzt fahren die Räder auf dem Kasten," sagte Doktor Jerum. "Vorhin
ist der Kasten auf den Rädern gefahren. So geht es oftmals in der Welt."

Dabei dachte er mit innerem Seufzen an den Umschwung seiner eigenen
Verhältnisse. Und Miß Granton dachte, ohne daß er es wußte, dasselbe.

Es hatte gefroren. Die Sonne schien mit hellen Strahlen auf die blänkernden
Eisflächen der Gräben und der übergelaufenen Wiesen. Die Arme der .tauben
Elbe' schlängelten sich in malerischen Windungen durch die Wiesengelände dahin;
schwärzliche Weidenstamme reckten ihre sperrigen Köpfe in die klare Luft; hinter
gestutzten kahlen Lindenbäumen senkten die Bauernhäuser die Walmen ihrer
Dächer vor wie Stiere, die den Kopf zum Stoß geneigt haben. Die Garteu¬
steige leuchteten vom gelben, frisch geharkten Kies, der Buchsbaum der Blumen¬
beete ließ seine grün-blanken Blätter erglänzen, die letzten Georginen standen
wie Purpur und Gold in den Gärten, und in der Mitte der Beete vereinzelt
"och blühende Rosen. Auf den dunklen Retdächern saß das grüne Moos, aus
ihren Schornsteinen stieg der blaue Rauch und kräuselte sich, vom Windhauch
gedrückt, den Dachfirst entlang und durch die geschnitzte schwammartige Giebel¬
verzierung in die Luft hinaus. Kinder spielten vor den Türen, Hähne krähten,
von fern her läutete eine Kirchenglocke.

Es war Sonntag, es war Friede.

"Doktor," sagte Miß Alice, "wie ist es schön heute. Geben Sie mir
Ihren Arm. So. Und nun erzählen Sie mir ein wenig von diesen Häusern


Der Austcmschprofcssor

Alles ging gut.

Als aber die Stute mit einem kühnen Satz von dem gepflasterten Weg in
die knupperigen Gleise des ungepflasterten Dammes hineinfegte, ging der alten
Großmutter der Atem aus. Die Räder lösten sich von ihren Achsen, und der
obere Teil sank mit kläglichem Seufzen in sich zusammen.

„Gott sei Dank," rief Alice, nachdem sie mit Hilfe des Kutschers und Ilus
aus dem Droschkenkasten frei geworden war.

„Ja, Gott sei Dank, daß Ihnen nichts passiert ist," fügte Doktor Jerum hinzu.

„So meine ich es nicht. Ich sage Gott sei Dank, denn nnn hab' ich kein,
gar kein troubls mehr wegen Verkaufen."

„Wat maakt wi nu?" fragte der Kutscher, indem er sich den Kopf kratzte.
„Wi könnt dar Schiel hier doch nich liggen laden. Dar sparrt ja den ganzen
Damm to."

„Das will ich Ihnen sagen," sagte Doktor Jerum. „Sie laden die Räder
in den Kasten hinein, schleifen den Kram nach Schmied Puttfarken in Kruslak
und bestellen: es wäre ein Geschenk von einer amerikanischen Dame. Nicht
wahr, Miß Alice? Vielleicht fügen Sie Ihre Visitenkarte bei."

Das wollte Miß Alice nicht, war aber sonst mit Doktor Jerums Verfügung
über ihre .fahrende' Habe einverstanden.

Ilm erhielt den Befehl, in der Kruslaker Post auf die Rückkehr der Herr¬
schaften zu warten. Die Karawane ging ab.

„Jetzt fahren die Räder auf dem Kasten," sagte Doktor Jerum. „Vorhin
ist der Kasten auf den Rädern gefahren. So geht es oftmals in der Welt."

Dabei dachte er mit innerem Seufzen an den Umschwung seiner eigenen
Verhältnisse. Und Miß Granton dachte, ohne daß er es wußte, dasselbe.

Es hatte gefroren. Die Sonne schien mit hellen Strahlen auf die blänkernden
Eisflächen der Gräben und der übergelaufenen Wiesen. Die Arme der .tauben
Elbe' schlängelten sich in malerischen Windungen durch die Wiesengelände dahin;
schwärzliche Weidenstamme reckten ihre sperrigen Köpfe in die klare Luft; hinter
gestutzten kahlen Lindenbäumen senkten die Bauernhäuser die Walmen ihrer
Dächer vor wie Stiere, die den Kopf zum Stoß geneigt haben. Die Garteu¬
steige leuchteten vom gelben, frisch geharkten Kies, der Buchsbaum der Blumen¬
beete ließ seine grün-blanken Blätter erglänzen, die letzten Georginen standen
wie Purpur und Gold in den Gärten, und in der Mitte der Beete vereinzelt
«och blühende Rosen. Auf den dunklen Retdächern saß das grüne Moos, aus
ihren Schornsteinen stieg der blaue Rauch und kräuselte sich, vom Windhauch
gedrückt, den Dachfirst entlang und durch die geschnitzte schwammartige Giebel¬
verzierung in die Luft hinaus. Kinder spielten vor den Türen, Hähne krähten,
von fern her läutete eine Kirchenglocke.

Es war Sonntag, es war Friede.

„Doktor," sagte Miß Alice, „wie ist es schön heute. Geben Sie mir
Ihren Arm. So. Und nun erzählen Sie mir ein wenig von diesen Häusern


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[0575] Der Austcmschprofcssor Alles ging gut. Als aber die Stute mit einem kühnen Satz von dem gepflasterten Weg in die knupperigen Gleise des ungepflasterten Dammes hineinfegte, ging der alten Großmutter der Atem aus. Die Räder lösten sich von ihren Achsen, und der obere Teil sank mit kläglichem Seufzen in sich zusammen. „Gott sei Dank," rief Alice, nachdem sie mit Hilfe des Kutschers und Ilus aus dem Droschkenkasten frei geworden war. „Ja, Gott sei Dank, daß Ihnen nichts passiert ist," fügte Doktor Jerum hinzu. „So meine ich es nicht. Ich sage Gott sei Dank, denn nnn hab' ich kein, gar kein troubls mehr wegen Verkaufen." „Wat maakt wi nu?" fragte der Kutscher, indem er sich den Kopf kratzte. „Wi könnt dar Schiel hier doch nich liggen laden. Dar sparrt ja den ganzen Damm to." „Das will ich Ihnen sagen," sagte Doktor Jerum. „Sie laden die Räder in den Kasten hinein, schleifen den Kram nach Schmied Puttfarken in Kruslak und bestellen: es wäre ein Geschenk von einer amerikanischen Dame. Nicht wahr, Miß Alice? Vielleicht fügen Sie Ihre Visitenkarte bei." Das wollte Miß Alice nicht, war aber sonst mit Doktor Jerums Verfügung über ihre .fahrende' Habe einverstanden. Ilm erhielt den Befehl, in der Kruslaker Post auf die Rückkehr der Herr¬ schaften zu warten. Die Karawane ging ab. „Jetzt fahren die Räder auf dem Kasten," sagte Doktor Jerum. „Vorhin ist der Kasten auf den Rädern gefahren. So geht es oftmals in der Welt." Dabei dachte er mit innerem Seufzen an den Umschwung seiner eigenen Verhältnisse. Und Miß Granton dachte, ohne daß er es wußte, dasselbe. Es hatte gefroren. Die Sonne schien mit hellen Strahlen auf die blänkernden Eisflächen der Gräben und der übergelaufenen Wiesen. Die Arme der .tauben Elbe' schlängelten sich in malerischen Windungen durch die Wiesengelände dahin; schwärzliche Weidenstamme reckten ihre sperrigen Köpfe in die klare Luft; hinter gestutzten kahlen Lindenbäumen senkten die Bauernhäuser die Walmen ihrer Dächer vor wie Stiere, die den Kopf zum Stoß geneigt haben. Die Garteu¬ steige leuchteten vom gelben, frisch geharkten Kies, der Buchsbaum der Blumen¬ beete ließ seine grün-blanken Blätter erglänzen, die letzten Georginen standen wie Purpur und Gold in den Gärten, und in der Mitte der Beete vereinzelt «och blühende Rosen. Auf den dunklen Retdächern saß das grüne Moos, aus ihren Schornsteinen stieg der blaue Rauch und kräuselte sich, vom Windhauch gedrückt, den Dachfirst entlang und durch die geschnitzte schwammartige Giebel¬ verzierung in die Luft hinaus. Kinder spielten vor den Türen, Hähne krähten, von fern her läutete eine Kirchenglocke. Es war Sonntag, es war Friede. „Doktor," sagte Miß Alice, „wie ist es schön heute. Geben Sie mir Ihren Arm. So. Und nun erzählen Sie mir ein wenig von diesen Häusern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/575>, abgerufen am 01.07.2024.