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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Bismarck und England

aber nicht als Quellensmrogat gedachten) Aphorismenwerkes "Bismarck als
Erzieher" von Paul Dehn: unternimmt er es dennoch, denen, die zur Verhütung
einer Katastrophe in dein Konflikt mit dem nervösen England, auf die Autorität
Bismarcks gestützt, Innehalten im Flottenrüsten und Verständigung um jeden
Preis verlangen, aus den Worten und Taten des ersten Kanzlers zu erweisen,
daß dieser über das Bedürfnis einer Deutschland würdigen Flotte sowie über
Kolonial- und Weltpolitik moderner gedacht habe, als man gewöhnlich annehme
-- im Sinne der alldeutschen Postulate eines "größeren" Deutschland. Diese
Grundtendenz, durch die dann Bismarck nach seiner Schutzzoll- und Kolonial¬
politik zum Propheten der "Weltpolitik" wird -- die Reventlow übrigens (in
seinem "Kaiser Wilhelm II. und die Byzantiner") noch vor drei Jahren selbst
bekämpft hat! -- diese Grundtendenz, die Bismarck nach seinen gelegentlichen,
sicher mäßigen Marineforderuugen zum Flottenenthusiasten nach dem Herzen des
Flottenvereius macht, die ihn wegen seiner Abneigung gegen Englands "Heuchelei
und Perfidie", seinen Krämer- und Diebesgeist in Politik und Wirtschaft zum
ideellen Vorkämpfer unserer antienglischen Liga in Deutschland stempelt, diese
Grundtendenz läßt sich mit dem einen Bismarckschen Worte von der "saturierten"
Politik Deutschlands aus den Angeln heben.

In richtiger Erkenntnis dieses fundamentalen Widerspruches verläßt auch
Reventlow, unmerklich fast, den Weg seiner Geschichtsmethode, das Passende aus¬
zuwählen und das Nichtpassende fortzulassen, um so lange gegen das genannte,
allbekannte und darum nicht zu ignorierende "Schlagwort" zu polemisieren, bis
es der gläubige Leser als solches empfindet und in: Grunde für uubismarckisch
hält. Und doch hat Bismarck selten einen Terminus öfter im Munde geführt,
um seine Ziele zu veranschaulichen, als dies Wort, das er 1851 von Metternichs
Lippen hörte und das, wenn überhaupt eins, einen hohen Erkenntniswert für
die Prinzipien seiner Politik besitzt. Denn seit 1871 war sein ganzes Sinnen
auf die Befestigung des von ihm geschmiedeten Reiches, auf dessen Sicherung
gegen äußere Feinde und seine Selbstündigmachung in finanzieller und wirt¬
schaftlicher Beziehung gerichtet und blieb auch "saturiert", d. h. innerhalb der
Grenzen kontinentaler Interessen, trotz seiner Kolonialpolitik, weil diese nicht im
Sinne eines weltwirtschaftlichen Jmperalismus gedacht war, sondern im Nahmen
eines staatlichen Schutzsystems, wie es Bismarck seit Gründung des Reiches auf
alle Teile des Ganzen anwandte: eine Politik, die (wie Reventlow auch ganz
richtig bemerkt) "von innen nach auszen" ging, d. h. vom Ackerbau über
Gewerbe und Industrie zum Handel und zu den Kolonien, also folgerichtig
vom heimischen Boden über See geleitet wurde. Dasselbe ist der Sinn seines
kontinental verankerten Prinzips, daß die deutsche Flagge dem Handel zu folgen
habe und nicht das umgekehrte -- meist "französisch" genannte -- System
nachzuahmen sei. Erst die Konsequenzen lehrten ihn verstehen, was er mit den
kolonialen Erwerbungen Neues geschaffen, und in diesen: Zusammenhang sprach
er wohl auch gelegentlich von "Weltpolitik". Sicher aber faßte er sie viel


Bismarck und England

aber nicht als Quellensmrogat gedachten) Aphorismenwerkes „Bismarck als
Erzieher" von Paul Dehn: unternimmt er es dennoch, denen, die zur Verhütung
einer Katastrophe in dein Konflikt mit dem nervösen England, auf die Autorität
Bismarcks gestützt, Innehalten im Flottenrüsten und Verständigung um jeden
Preis verlangen, aus den Worten und Taten des ersten Kanzlers zu erweisen,
daß dieser über das Bedürfnis einer Deutschland würdigen Flotte sowie über
Kolonial- und Weltpolitik moderner gedacht habe, als man gewöhnlich annehme
— im Sinne der alldeutschen Postulate eines „größeren" Deutschland. Diese
Grundtendenz, durch die dann Bismarck nach seiner Schutzzoll- und Kolonial¬
politik zum Propheten der „Weltpolitik" wird — die Reventlow übrigens (in
seinem „Kaiser Wilhelm II. und die Byzantiner") noch vor drei Jahren selbst
bekämpft hat! — diese Grundtendenz, die Bismarck nach seinen gelegentlichen,
sicher mäßigen Marineforderuugen zum Flottenenthusiasten nach dem Herzen des
Flottenvereius macht, die ihn wegen seiner Abneigung gegen Englands „Heuchelei
und Perfidie", seinen Krämer- und Diebesgeist in Politik und Wirtschaft zum
ideellen Vorkämpfer unserer antienglischen Liga in Deutschland stempelt, diese
Grundtendenz läßt sich mit dem einen Bismarckschen Worte von der „saturierten"
Politik Deutschlands aus den Angeln heben.

In richtiger Erkenntnis dieses fundamentalen Widerspruches verläßt auch
Reventlow, unmerklich fast, den Weg seiner Geschichtsmethode, das Passende aus¬
zuwählen und das Nichtpassende fortzulassen, um so lange gegen das genannte,
allbekannte und darum nicht zu ignorierende „Schlagwort" zu polemisieren, bis
es der gläubige Leser als solches empfindet und in: Grunde für uubismarckisch
hält. Und doch hat Bismarck selten einen Terminus öfter im Munde geführt,
um seine Ziele zu veranschaulichen, als dies Wort, das er 1851 von Metternichs
Lippen hörte und das, wenn überhaupt eins, einen hohen Erkenntniswert für
die Prinzipien seiner Politik besitzt. Denn seit 1871 war sein ganzes Sinnen
auf die Befestigung des von ihm geschmiedeten Reiches, auf dessen Sicherung
gegen äußere Feinde und seine Selbstündigmachung in finanzieller und wirt¬
schaftlicher Beziehung gerichtet und blieb auch „saturiert", d. h. innerhalb der
Grenzen kontinentaler Interessen, trotz seiner Kolonialpolitik, weil diese nicht im
Sinne eines weltwirtschaftlichen Jmperalismus gedacht war, sondern im Nahmen
eines staatlichen Schutzsystems, wie es Bismarck seit Gründung des Reiches auf
alle Teile des Ganzen anwandte: eine Politik, die (wie Reventlow auch ganz
richtig bemerkt) „von innen nach auszen" ging, d. h. vom Ackerbau über
Gewerbe und Industrie zum Handel und zu den Kolonien, also folgerichtig
vom heimischen Boden über See geleitet wurde. Dasselbe ist der Sinn seines
kontinental verankerten Prinzips, daß die deutsche Flagge dem Handel zu folgen
habe und nicht das umgekehrte — meist „französisch" genannte — System
nachzuahmen sei. Erst die Konsequenzen lehrten ihn verstehen, was er mit den
kolonialen Erwerbungen Neues geschaffen, und in diesen: Zusammenhang sprach
er wohl auch gelegentlich von „Weltpolitik". Sicher aber faßte er sie viel


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/502>, abgerufen am 01.07.2024.