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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Robert Schumann der Achtundvierziger

Ja, es liegt eine starke revolutionäre Kraft in diesen Marschbildern,

Aber nicht die Revolution, die vernichtet, die Revolution, die neu schafft,
neue Werte an die Stelle der alten setzt, will hier zum Lichte dringen. So
wie es auch ausschließlich Schumanns Innersten: entsprach.

Über die Erlebnisse während des Mai-Aufstandes in Dresden gibt uns
wiederum das Tagebuch Aufschluß. Am 3. Mai wird die ahnungslose
Familie dnrch Sturmläuten und Generalmarschschlagen überrascht. Das Herüber¬
hallen der Schüsse deutet an, daß man Ernst gemacht. "Der König hatte die
Reichsverfassung nicht anerkennen wollen, bevor es nicht Preußen getan, und
da hatte man denn die Stränge seines Wagens, in dein er fliehen wollte,
zerschnitten, ihn somit gezwungen zu bleiben." Die Folgen des ersten Sturmes
wirken erschütternd ans die Schumanns. "Auf unserer Promenade durch die
Stadt wurde uns der schreckliche Anblick von vierzehn Toten, die tags vorher
gefallen und schrecklich zugerichtet zur Schall des Publikums im Hof des Klinikums
lagen." Der Schrecken steigert sich, da man bei Formierung der Wache auch
Robert zu den Waffen ruft. "Nachdem ich ihn zweimal verleugnet," schreibt
Klara im Tagebuch, "die Leute aber drohten, ihn suchen zu wollen, flüchteten
wir zur Gartentür hinaus auf den Böhmischen Bahnhof." Nein, so freiheitlich
auch Roberts Anschauung war, mit der Waffe sie zu erkämpfen, dazu war er
nicht der Mann.

Man kam also heimlich aus der Stadt und fand zunächst in Strehla ein
Asyl, von dem aus man den Wandel der Dinge betrachtete: "Es ist zu schrecklich,
solche Dinge erleben zu müssen! So müssen sich die Menschen das bißchen Freiheit
erkämpfen! Wann wird einmal die Zeit kommen, wo die Menschen alle gleiche
Rechte haben werden? Wie ist es möglich, daß der Glaube unter den Adlichen,
als seien sie andere Menschen als wir Bürgerliche, so eingewurzelt durch so
lange Zeit hindurch sein konnte!"

Wir sehen aus all diesen Nachrichten, wie Schumann fiir die revolutionären
Ideen schwärmte, freilich ohne sie in Taten umzusetzen. Er war ein Freiheits¬
kämpfer der Studierstube, nicht des Pulverdampfes. In diesem Sinne hat er
auch die Stimmung der Zeit in seiner Kunst eingefangen.

Wie eine Rückschau über das "schaudernd Miterlebte" klingt das "Neujahrs¬
lied", nach Rückert, das Schumann um die Wende des Jahres 1849 zu kom¬
ponieren begann.

"Mit eherner Zunge, bei ruft es: gebt nicht!
Ein Jahr ist im Schwunge zu Ende gebracht.
Ihr freudigen Zecher, hebt tönende Becher,
Begrüßt das junge, das Jahr, das erwacht.
Im Dunkel geboren, im mächtigen Schoß,
Da tritt'S aus den Toren des Lebens wie groß!
Was führst du im Schilde? Was zeigst du im Bilde!
Was rüsten die Hören für wechselndes Los?"



Robert Schumann der Achtundvierziger

Ja, es liegt eine starke revolutionäre Kraft in diesen Marschbildern,

Aber nicht die Revolution, die vernichtet, die Revolution, die neu schafft,
neue Werte an die Stelle der alten setzt, will hier zum Lichte dringen. So
wie es auch ausschließlich Schumanns Innersten: entsprach.

Über die Erlebnisse während des Mai-Aufstandes in Dresden gibt uns
wiederum das Tagebuch Aufschluß. Am 3. Mai wird die ahnungslose
Familie dnrch Sturmläuten und Generalmarschschlagen überrascht. Das Herüber¬
hallen der Schüsse deutet an, daß man Ernst gemacht. „Der König hatte die
Reichsverfassung nicht anerkennen wollen, bevor es nicht Preußen getan, und
da hatte man denn die Stränge seines Wagens, in dein er fliehen wollte,
zerschnitten, ihn somit gezwungen zu bleiben." Die Folgen des ersten Sturmes
wirken erschütternd ans die Schumanns. „Auf unserer Promenade durch die
Stadt wurde uns der schreckliche Anblick von vierzehn Toten, die tags vorher
gefallen und schrecklich zugerichtet zur Schall des Publikums im Hof des Klinikums
lagen." Der Schrecken steigert sich, da man bei Formierung der Wache auch
Robert zu den Waffen ruft. „Nachdem ich ihn zweimal verleugnet," schreibt
Klara im Tagebuch, „die Leute aber drohten, ihn suchen zu wollen, flüchteten
wir zur Gartentür hinaus auf den Böhmischen Bahnhof." Nein, so freiheitlich
auch Roberts Anschauung war, mit der Waffe sie zu erkämpfen, dazu war er
nicht der Mann.

Man kam also heimlich aus der Stadt und fand zunächst in Strehla ein
Asyl, von dem aus man den Wandel der Dinge betrachtete: „Es ist zu schrecklich,
solche Dinge erleben zu müssen! So müssen sich die Menschen das bißchen Freiheit
erkämpfen! Wann wird einmal die Zeit kommen, wo die Menschen alle gleiche
Rechte haben werden? Wie ist es möglich, daß der Glaube unter den Adlichen,
als seien sie andere Menschen als wir Bürgerliche, so eingewurzelt durch so
lange Zeit hindurch sein konnte!"

Wir sehen aus all diesen Nachrichten, wie Schumann fiir die revolutionären
Ideen schwärmte, freilich ohne sie in Taten umzusetzen. Er war ein Freiheits¬
kämpfer der Studierstube, nicht des Pulverdampfes. In diesem Sinne hat er
auch die Stimmung der Zeit in seiner Kunst eingefangen.

Wie eine Rückschau über das „schaudernd Miterlebte" klingt das „Neujahrs¬
lied", nach Rückert, das Schumann um die Wende des Jahres 1849 zu kom¬
ponieren begann.

„Mit eherner Zunge, bei ruft es: gebt nicht!
Ein Jahr ist im Schwunge zu Ende gebracht.
Ihr freudigen Zecher, hebt tönende Becher,
Begrüßt das junge, das Jahr, das erwacht.
Im Dunkel geboren, im mächtigen Schoß,
Da tritt'S aus den Toren des Lebens wie groß!
Was führst du im Schilde? Was zeigst du im Bilde!
Was rüsten die Hören für wechselndes Los?"



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[0478] Robert Schumann der Achtundvierziger Ja, es liegt eine starke revolutionäre Kraft in diesen Marschbildern, Aber nicht die Revolution, die vernichtet, die Revolution, die neu schafft, neue Werte an die Stelle der alten setzt, will hier zum Lichte dringen. So wie es auch ausschließlich Schumanns Innersten: entsprach. Über die Erlebnisse während des Mai-Aufstandes in Dresden gibt uns wiederum das Tagebuch Aufschluß. Am 3. Mai wird die ahnungslose Familie dnrch Sturmläuten und Generalmarschschlagen überrascht. Das Herüber¬ hallen der Schüsse deutet an, daß man Ernst gemacht. „Der König hatte die Reichsverfassung nicht anerkennen wollen, bevor es nicht Preußen getan, und da hatte man denn die Stränge seines Wagens, in dein er fliehen wollte, zerschnitten, ihn somit gezwungen zu bleiben." Die Folgen des ersten Sturmes wirken erschütternd ans die Schumanns. „Auf unserer Promenade durch die Stadt wurde uns der schreckliche Anblick von vierzehn Toten, die tags vorher gefallen und schrecklich zugerichtet zur Schall des Publikums im Hof des Klinikums lagen." Der Schrecken steigert sich, da man bei Formierung der Wache auch Robert zu den Waffen ruft. „Nachdem ich ihn zweimal verleugnet," schreibt Klara im Tagebuch, „die Leute aber drohten, ihn suchen zu wollen, flüchteten wir zur Gartentür hinaus auf den Böhmischen Bahnhof." Nein, so freiheitlich auch Roberts Anschauung war, mit der Waffe sie zu erkämpfen, dazu war er nicht der Mann. Man kam also heimlich aus der Stadt und fand zunächst in Strehla ein Asyl, von dem aus man den Wandel der Dinge betrachtete: „Es ist zu schrecklich, solche Dinge erleben zu müssen! So müssen sich die Menschen das bißchen Freiheit erkämpfen! Wann wird einmal die Zeit kommen, wo die Menschen alle gleiche Rechte haben werden? Wie ist es möglich, daß der Glaube unter den Adlichen, als seien sie andere Menschen als wir Bürgerliche, so eingewurzelt durch so lange Zeit hindurch sein konnte!" Wir sehen aus all diesen Nachrichten, wie Schumann fiir die revolutionären Ideen schwärmte, freilich ohne sie in Taten umzusetzen. Er war ein Freiheits¬ kämpfer der Studierstube, nicht des Pulverdampfes. In diesem Sinne hat er auch die Stimmung der Zeit in seiner Kunst eingefangen. Wie eine Rückschau über das „schaudernd Miterlebte" klingt das „Neujahrs¬ lied", nach Rückert, das Schumann um die Wende des Jahres 1849 zu kom¬ ponieren begann. „Mit eherner Zunge, bei ruft es: gebt nicht! Ein Jahr ist im Schwunge zu Ende gebracht. Ihr freudigen Zecher, hebt tönende Becher, Begrüßt das junge, das Jahr, das erwacht. Im Dunkel geboren, im mächtigen Schoß, Da tritt'S aus den Toren des Lebens wie groß! Was führst du im Schilde? Was zeigst du im Bilde! Was rüsten die Hören für wechselndes Los?"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/478>, abgerufen am 29.06.2024.