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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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wirtschaftliche Einflüsse

Ergebnis ist: die industrielle Entwicklung hat eine Gefährdung des Deutschtums
in seinen Wohngebieten zur Folge; aber bei planmäßigem Vorgehen lassen sich
die nationalen Gefahren, die die Industrie im Gefolge hat, abschwächen. Ist
schließlich auch niemand stark genug, um dem Wirtschaftsleben willkürlich Bahnen
zu weisen, so kann ein starker kollektiver Wille es doch erheblich beeinflussen.
Dieser Wille betätigt sich auch in anderer Weise, z. B. in der stärkeren Heran¬
ziehung der kapitalkräftigen Kreise zu Steuern für nationale Zwecke, was sich
bei der Rosegger-Spende kürzlich kundtat. Der gebildete Mittelstand ist auch
bei den Deutschen der Träger der nationalen Bewegung und die Mehrzahl
der Reichen, die dieser sozialen Schicht entstammt, kann sich der Beeinflussung
durch sie doch nicht entziehen.

Fast notgedrungen geht auch bei den Deutschen das Wirtschaftsleben den
von den Slawen gewiesenen Weg der Nationalisierung; nicht gerne, denn es
hat dabei zweifellos verloren. Aber es steht gar nicht in seiner Macht, dies
zu ändern, weil die nationalen Gegner dies auch keineswegs beabsichtigen,
denn vorläufig bekommt ihnen das System ganz gut. Es könnte aber auch
einmal anders kommen; wenn nämlich die nationale Organisation bei den
Deutschen ebenso weit vorgeschritten wäre wie bei ihnen, und man dann auf
deutscher Seite ernsthaft zum Angriff überginge, während man sich jetzt ja
bestenfalls auf laue Abwehr beschränkt. Dann würde den Tschechen, Polen usw.
wohl früher der Atem ausgehen als den Deutschen und die künstlichen Mauern,
mit denen diese slawischen Völker entgegen den Gesetzen der Wirtschaftsgeographie
ihr Wirtschaftsleben umgeben, müßten dann fallen. Da indes die Deutschen
aus begreiflichen Gründen in ihrer Organisation weit hinter den Tscheschen
zurück sind, hegen diese die Hoffnung, daß es zu solchem Angriff überhaupt
nie kommen werde. Jedenfalls ist das Deutschtum vor ein solches Problem noch
nie gestellt worden; irgendwie wird es sich mit ihm auseinandersetzen müssen.




wirtschaftliche Einflüsse

Ergebnis ist: die industrielle Entwicklung hat eine Gefährdung des Deutschtums
in seinen Wohngebieten zur Folge; aber bei planmäßigem Vorgehen lassen sich
die nationalen Gefahren, die die Industrie im Gefolge hat, abschwächen. Ist
schließlich auch niemand stark genug, um dem Wirtschaftsleben willkürlich Bahnen
zu weisen, so kann ein starker kollektiver Wille es doch erheblich beeinflussen.
Dieser Wille betätigt sich auch in anderer Weise, z. B. in der stärkeren Heran¬
ziehung der kapitalkräftigen Kreise zu Steuern für nationale Zwecke, was sich
bei der Rosegger-Spende kürzlich kundtat. Der gebildete Mittelstand ist auch
bei den Deutschen der Träger der nationalen Bewegung und die Mehrzahl
der Reichen, die dieser sozialen Schicht entstammt, kann sich der Beeinflussung
durch sie doch nicht entziehen.

Fast notgedrungen geht auch bei den Deutschen das Wirtschaftsleben den
von den Slawen gewiesenen Weg der Nationalisierung; nicht gerne, denn es
hat dabei zweifellos verloren. Aber es steht gar nicht in seiner Macht, dies
zu ändern, weil die nationalen Gegner dies auch keineswegs beabsichtigen,
denn vorläufig bekommt ihnen das System ganz gut. Es könnte aber auch
einmal anders kommen; wenn nämlich die nationale Organisation bei den
Deutschen ebenso weit vorgeschritten wäre wie bei ihnen, und man dann auf
deutscher Seite ernsthaft zum Angriff überginge, während man sich jetzt ja
bestenfalls auf laue Abwehr beschränkt. Dann würde den Tschechen, Polen usw.
wohl früher der Atem ausgehen als den Deutschen und die künstlichen Mauern,
mit denen diese slawischen Völker entgegen den Gesetzen der Wirtschaftsgeographie
ihr Wirtschaftsleben umgeben, müßten dann fallen. Da indes die Deutschen
aus begreiflichen Gründen in ihrer Organisation weit hinter den Tscheschen
zurück sind, hegen diese die Hoffnung, daß es zu solchem Angriff überhaupt
nie kommen werde. Jedenfalls ist das Deutschtum vor ein solches Problem noch
nie gestellt worden; irgendwie wird es sich mit ihm auseinandersetzen müssen.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/460>, abgerufen am 29.06.2024.