Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
wirtschaftliche Einflüsse

aus dem sich der Überschuß der dort nicht oder nur unter sehr kümmerlichen
Bedingungen Brot findenden Menschenmassen in das deutsche Gebiet ergießt,
keineswegs mehr den Tatsachen. Die Grundbesitzer im tschechischen Teile
Böhmens können heute auch gegen hohen Lohn keine einheimischen Feldarbeiter
mehr erhalten und arbeiten größtenteils mit Saisonarbeitern, die sie aus Ober¬
ungarn (Slowaken) oder Galizien (Polen und Ruthenen) beziehen. In Mähren
und Schlesien stehen die Verhältnisse sür das Deutschtum nicht ebenso günstig;
auch in Böhmen ist im deutschen Gebiet in sozialer Beziehung, insbesondere in
bezug auf die abnorm hohe Sterblichkeitsrate, noch sehr viel zu tun; aber
jedenfalls steht heute schon das eine fest, daß es sich hier in keiner Weise um
ein unaufhaltsames Verhängnis handelt, dem die Deutschen Österreichs als
"altes" Volk gegenüber den "jungen" slawischen Völkern unrettbar erliegen
mußten.

Dies ist natürlich auch für die politische,: Abwehrbestrebungen der Deutschen
von entscheidender Bedeutung; denn es ist ganz klar, daß alle Bemühungen, das
deutsche Sprachgebiet gegen slawische Einbrüche und Ansprüche zu sichern -- die
Zweiteilung und nationale Autonomie in Böhmen und die Festlegung der deutschen
Sprache als Amts- und Schulsprache in Niederösterreich --, eine ganz ephemere
Wirkung haben müßten, wenn der Strom neuen Zuzugs aus dem tschechischen
Gebiet doch nicht einzudämmen wäre. Gerade die Entwicklung der tschechischen
Volkswirtschaft, die ja in mancher Beziehung dem Deutschtum schädlich ist, stellt
aber mit den: Bemühen nach Schaffung einer eigenen Industrie in Aussicht, daß
der tschechische Bevölkerungsüberschuß künftig in seiner Heimat festgehalten wird,
eine Wirkung, die übrigens eine dort vom nationaltschechischen Standpunkt so
listige innere Kolonisation schon längst hätte haben müssen; politische Rücksichten
auf den verbündeten Feudaladel haben dies bisher verhindert. Über die politische
Seite des deutschen Wwehrkampfes will ich mich hier nicht verbreiten; ich
beschränke mich auf die Schilderung dessen, was von deutscher Seite geschieht,
um die ungünstigen Folgen wirtschaftlicher Verhältnisse auf ihre nationale
Behauptung abzuwehren. Zielbewußt arbeiten hier die nationalen Schutzvereine,
deren Einnahmen ständig steigen. Rechnet man den Schulverein, der sich
ja nur die Versorgung deutscher Minderheiten mit deutschen Schulen zur Aufgabe
setzt, mit ein, so haben diese Vereine eine Jahreseinnahme von 2 bis
3 Millionen Kronen jährlich. Vergleicht man diese Ziffer mit dem, was vom
preußischen Staat in der Ostmark zu dem gleichen Zwecke aufgewendet wird, so
erscheint sie lächerlich geringfügig. Es ist aber nicht uninteressant, hier zu sehen,
wie sich der Groschen gewissermaßen verzehnfacht, wenn hinter ihm der Wille
eines ganzen Volkes oder doch seiner führenden Mittelklasse steht, im Vergleich
zu der Arbeit des Staates, dem die werktätige Mitarbeit der Bevölkerung doch
im wesentlichen fehlt. So hat z. B. die "Südmark" in Untersteiermark sogar
schon einen Kolonisationsversuch mit württembergischen Weinbauern unter¬
nommen, -- wie ich mich aus eigener Anschauung überzeugen konnte, mit den


wirtschaftliche Einflüsse

aus dem sich der Überschuß der dort nicht oder nur unter sehr kümmerlichen
Bedingungen Brot findenden Menschenmassen in das deutsche Gebiet ergießt,
keineswegs mehr den Tatsachen. Die Grundbesitzer im tschechischen Teile
Böhmens können heute auch gegen hohen Lohn keine einheimischen Feldarbeiter
mehr erhalten und arbeiten größtenteils mit Saisonarbeitern, die sie aus Ober¬
ungarn (Slowaken) oder Galizien (Polen und Ruthenen) beziehen. In Mähren
und Schlesien stehen die Verhältnisse sür das Deutschtum nicht ebenso günstig;
auch in Böhmen ist im deutschen Gebiet in sozialer Beziehung, insbesondere in
bezug auf die abnorm hohe Sterblichkeitsrate, noch sehr viel zu tun; aber
jedenfalls steht heute schon das eine fest, daß es sich hier in keiner Weise um
ein unaufhaltsames Verhängnis handelt, dem die Deutschen Österreichs als
„altes" Volk gegenüber den „jungen" slawischen Völkern unrettbar erliegen
mußten.

Dies ist natürlich auch für die politische,: Abwehrbestrebungen der Deutschen
von entscheidender Bedeutung; denn es ist ganz klar, daß alle Bemühungen, das
deutsche Sprachgebiet gegen slawische Einbrüche und Ansprüche zu sichern — die
Zweiteilung und nationale Autonomie in Böhmen und die Festlegung der deutschen
Sprache als Amts- und Schulsprache in Niederösterreich —, eine ganz ephemere
Wirkung haben müßten, wenn der Strom neuen Zuzugs aus dem tschechischen
Gebiet doch nicht einzudämmen wäre. Gerade die Entwicklung der tschechischen
Volkswirtschaft, die ja in mancher Beziehung dem Deutschtum schädlich ist, stellt
aber mit den: Bemühen nach Schaffung einer eigenen Industrie in Aussicht, daß
der tschechische Bevölkerungsüberschuß künftig in seiner Heimat festgehalten wird,
eine Wirkung, die übrigens eine dort vom nationaltschechischen Standpunkt so
listige innere Kolonisation schon längst hätte haben müssen; politische Rücksichten
auf den verbündeten Feudaladel haben dies bisher verhindert. Über die politische
Seite des deutschen Wwehrkampfes will ich mich hier nicht verbreiten; ich
beschränke mich auf die Schilderung dessen, was von deutscher Seite geschieht,
um die ungünstigen Folgen wirtschaftlicher Verhältnisse auf ihre nationale
Behauptung abzuwehren. Zielbewußt arbeiten hier die nationalen Schutzvereine,
deren Einnahmen ständig steigen. Rechnet man den Schulverein, der sich
ja nur die Versorgung deutscher Minderheiten mit deutschen Schulen zur Aufgabe
setzt, mit ein, so haben diese Vereine eine Jahreseinnahme von 2 bis
3 Millionen Kronen jährlich. Vergleicht man diese Ziffer mit dem, was vom
preußischen Staat in der Ostmark zu dem gleichen Zwecke aufgewendet wird, so
erscheint sie lächerlich geringfügig. Es ist aber nicht uninteressant, hier zu sehen,
wie sich der Groschen gewissermaßen verzehnfacht, wenn hinter ihm der Wille
eines ganzen Volkes oder doch seiner führenden Mittelklasse steht, im Vergleich
zu der Arbeit des Staates, dem die werktätige Mitarbeit der Bevölkerung doch
im wesentlichen fehlt. So hat z. B. die „Südmark" in Untersteiermark sogar
schon einen Kolonisationsversuch mit württembergischen Weinbauern unter¬
nommen, — wie ich mich aus eigener Anschauung überzeugen konnte, mit den


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0457" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/316096"/>
          <fw type="header" place="top"> wirtschaftliche Einflüsse</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2401" prev="#ID_2400"> aus dem sich der Überschuß der dort nicht oder nur unter sehr kümmerlichen<lb/>
Bedingungen Brot findenden Menschenmassen in das deutsche Gebiet ergießt,<lb/>
keineswegs mehr den Tatsachen. Die Grundbesitzer im tschechischen Teile<lb/>
Böhmens können heute auch gegen hohen Lohn keine einheimischen Feldarbeiter<lb/>
mehr erhalten und arbeiten größtenteils mit Saisonarbeitern, die sie aus Ober¬<lb/>
ungarn (Slowaken) oder Galizien (Polen und Ruthenen) beziehen. In Mähren<lb/>
und Schlesien stehen die Verhältnisse sür das Deutschtum nicht ebenso günstig;<lb/>
auch in Böhmen ist im deutschen Gebiet in sozialer Beziehung, insbesondere in<lb/>
bezug auf die abnorm hohe Sterblichkeitsrate, noch sehr viel zu tun; aber<lb/>
jedenfalls steht heute schon das eine fest, daß es sich hier in keiner Weise um<lb/>
ein unaufhaltsames Verhängnis handelt, dem die Deutschen Österreichs als<lb/>
&#x201E;altes" Volk gegenüber den &#x201E;jungen" slawischen Völkern unrettbar erliegen<lb/>
mußten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2402" next="#ID_2403"> Dies ist natürlich auch für die politische,: Abwehrbestrebungen der Deutschen<lb/>
von entscheidender Bedeutung; denn es ist ganz klar, daß alle Bemühungen, das<lb/>
deutsche Sprachgebiet gegen slawische Einbrüche und Ansprüche zu sichern &#x2014; die<lb/>
Zweiteilung und nationale Autonomie in Böhmen und die Festlegung der deutschen<lb/>
Sprache als Amts- und Schulsprache in Niederösterreich &#x2014;, eine ganz ephemere<lb/>
Wirkung haben müßten, wenn der Strom neuen Zuzugs aus dem tschechischen<lb/>
Gebiet doch nicht einzudämmen wäre. Gerade die Entwicklung der tschechischen<lb/>
Volkswirtschaft, die ja in mancher Beziehung dem Deutschtum schädlich ist, stellt<lb/>
aber mit den: Bemühen nach Schaffung einer eigenen Industrie in Aussicht, daß<lb/>
der tschechische Bevölkerungsüberschuß künftig in seiner Heimat festgehalten wird,<lb/>
eine Wirkung, die übrigens eine dort vom nationaltschechischen Standpunkt so<lb/>
listige innere Kolonisation schon längst hätte haben müssen; politische Rücksichten<lb/>
auf den verbündeten Feudaladel haben dies bisher verhindert. Über die politische<lb/>
Seite des deutschen Wwehrkampfes will ich mich hier nicht verbreiten; ich<lb/>
beschränke mich auf die Schilderung dessen, was von deutscher Seite geschieht,<lb/>
um die ungünstigen Folgen wirtschaftlicher Verhältnisse auf ihre nationale<lb/>
Behauptung abzuwehren. Zielbewußt arbeiten hier die nationalen Schutzvereine,<lb/>
deren Einnahmen ständig steigen. Rechnet man den Schulverein, der sich<lb/>
ja nur die Versorgung deutscher Minderheiten mit deutschen Schulen zur Aufgabe<lb/>
setzt, mit ein, so haben diese Vereine eine Jahreseinnahme von 2 bis<lb/>
3 Millionen Kronen jährlich. Vergleicht man diese Ziffer mit dem, was vom<lb/>
preußischen Staat in der Ostmark zu dem gleichen Zwecke aufgewendet wird, so<lb/>
erscheint sie lächerlich geringfügig. Es ist aber nicht uninteressant, hier zu sehen,<lb/>
wie sich der Groschen gewissermaßen verzehnfacht, wenn hinter ihm der Wille<lb/>
eines ganzen Volkes oder doch seiner führenden Mittelklasse steht, im Vergleich<lb/>
zu der Arbeit des Staates, dem die werktätige Mitarbeit der Bevölkerung doch<lb/>
im wesentlichen fehlt. So hat z. B. die &#x201E;Südmark" in Untersteiermark sogar<lb/>
schon einen Kolonisationsversuch mit württembergischen Weinbauern unter¬<lb/>
nommen, &#x2014; wie ich mich aus eigener Anschauung überzeugen konnte, mit den</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0457] wirtschaftliche Einflüsse aus dem sich der Überschuß der dort nicht oder nur unter sehr kümmerlichen Bedingungen Brot findenden Menschenmassen in das deutsche Gebiet ergießt, keineswegs mehr den Tatsachen. Die Grundbesitzer im tschechischen Teile Böhmens können heute auch gegen hohen Lohn keine einheimischen Feldarbeiter mehr erhalten und arbeiten größtenteils mit Saisonarbeitern, die sie aus Ober¬ ungarn (Slowaken) oder Galizien (Polen und Ruthenen) beziehen. In Mähren und Schlesien stehen die Verhältnisse sür das Deutschtum nicht ebenso günstig; auch in Böhmen ist im deutschen Gebiet in sozialer Beziehung, insbesondere in bezug auf die abnorm hohe Sterblichkeitsrate, noch sehr viel zu tun; aber jedenfalls steht heute schon das eine fest, daß es sich hier in keiner Weise um ein unaufhaltsames Verhängnis handelt, dem die Deutschen Österreichs als „altes" Volk gegenüber den „jungen" slawischen Völkern unrettbar erliegen mußten. Dies ist natürlich auch für die politische,: Abwehrbestrebungen der Deutschen von entscheidender Bedeutung; denn es ist ganz klar, daß alle Bemühungen, das deutsche Sprachgebiet gegen slawische Einbrüche und Ansprüche zu sichern — die Zweiteilung und nationale Autonomie in Böhmen und die Festlegung der deutschen Sprache als Amts- und Schulsprache in Niederösterreich —, eine ganz ephemere Wirkung haben müßten, wenn der Strom neuen Zuzugs aus dem tschechischen Gebiet doch nicht einzudämmen wäre. Gerade die Entwicklung der tschechischen Volkswirtschaft, die ja in mancher Beziehung dem Deutschtum schädlich ist, stellt aber mit den: Bemühen nach Schaffung einer eigenen Industrie in Aussicht, daß der tschechische Bevölkerungsüberschuß künftig in seiner Heimat festgehalten wird, eine Wirkung, die übrigens eine dort vom nationaltschechischen Standpunkt so listige innere Kolonisation schon längst hätte haben müssen; politische Rücksichten auf den verbündeten Feudaladel haben dies bisher verhindert. Über die politische Seite des deutschen Wwehrkampfes will ich mich hier nicht verbreiten; ich beschränke mich auf die Schilderung dessen, was von deutscher Seite geschieht, um die ungünstigen Folgen wirtschaftlicher Verhältnisse auf ihre nationale Behauptung abzuwehren. Zielbewußt arbeiten hier die nationalen Schutzvereine, deren Einnahmen ständig steigen. Rechnet man den Schulverein, der sich ja nur die Versorgung deutscher Minderheiten mit deutschen Schulen zur Aufgabe setzt, mit ein, so haben diese Vereine eine Jahreseinnahme von 2 bis 3 Millionen Kronen jährlich. Vergleicht man diese Ziffer mit dem, was vom preußischen Staat in der Ostmark zu dem gleichen Zwecke aufgewendet wird, so erscheint sie lächerlich geringfügig. Es ist aber nicht uninteressant, hier zu sehen, wie sich der Groschen gewissermaßen verzehnfacht, wenn hinter ihm der Wille eines ganzen Volkes oder doch seiner führenden Mittelklasse steht, im Vergleich zu der Arbeit des Staates, dem die werktätige Mitarbeit der Bevölkerung doch im wesentlichen fehlt. So hat z. B. die „Südmark" in Untersteiermark sogar schon einen Kolonisationsversuch mit württembergischen Weinbauern unter¬ nommen, — wie ich mich aus eigener Anschauung überzeugen konnte, mit den

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/457
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/457>, abgerufen am 29.06.2024.