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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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wirtschaftliche Einflüsse

seine kriegerischen Erfolge nicht beliebt gemacht hat; die andern Völker haben
den harmlosen deutschen Kulturträger des zerrissenen Vaterlandes mehr geschätzt.

Es gibt indes eine ganze Reihe von politischen Ursachen, die in den letzten
dreißig Jahren die Selbstbehauptung des Deutschtums in Osterreich erschwert haben:
die nationale Bewegung, die natürlich nicht auf alte Kulturvölker, wie Deutsche
und Italiener, beschränkt blieb, vor allein aber der Siegeszug demokratischer
Einrichtungen im Staatsleben, der dem Deutschtum überall da verderblich werden
mußte, wo es nach Kultur und Besitz und nicht auf Grund seiner Zahl eine
bevorzugte Stellung einnahm. Daß aber mit all dem die Gründe für die
nationale Bedrängnis der Deutschen in der Donaumonarchie nicht erschöpft
sind, lehrt eine einfache Nebeneinanderstellung: in der Zeit von 1870 bis .1900
ging das Deutschtum in Posen von 46 Prozent der Bevölkerung auf 40 Prozent
zurück, cur Rückgang, der in keinem Lande der Donaumonarchie ein Seitenstück
findet. Hier beruht der Rückgang uun zweifellos auf wirtschaftlichen Verhält¬
nissen und nicht auf den: Mallgel politischer Macht; wenn wir ähnliche Ursachen
auch in Osterreich am Werke finden, so werden wir uns über entsprechende
Wirkungen nicht wundern dürfen.

Zahlenmäßig läßt sich der Rückgang des österreichische" Deutschtums oder
besser gesagt seines Besitzstandes nicht gut erfassen. Die erste brauchbare
Nationalitätenstatistik wurde bei der Volkszählung des Jahres 1880 auf¬
genommen, und wenn man die Ziffern des Jahres 1900 damit vergleicht, so
ergibt sich für das Deutschtum kein nennenswerter Rückgang; dies also in den
zwanzig Jahren, in denen die Sonne der Regierungsgunst den Deutschen
wahrhaftig nicht schien. Aber die Deutschen Österreichs haben mit Recht das
Gefühl, daß sich trotzdem ihre strategische Stellung verschlechtert hat, daß sie
vielleicht nicht Menschen, aber Positionen verloren haben; und sie sehen, wie
die ungünstigen Momente sich voll Jahr zu Jahr verstärken und uicht abschwächen.
Die Wirkungen werden zwar an der politischen Skala abgelesen; eine deutsche
Stadt in Mähren gilt in dem Augenblick als dein Deutschtum verloren, wo die
Tschechen die Gemeindestube erobert haben, was ja dann auch stets der Ver¬
drängung der deutschen Minderheit einen stärkeren Anstoß gibt; bis dieses
Ereignis aber eintritt, muß doch schon jahrelang eine allmähliche Zunahme des
tschechischen und eine Abnahme des deutschen Elements vorausgegangen sein,
wofür die Ursachen in Verschiedenheiten der Volksvermehrung oder in Wander-
bewegungen, die auf wirtschaftliche Ursachen zurückzuführen sind, gelegen sind.

Zunächst die Wanderungen. Die Industrie ist in Österreich eine deutsche
Schöpfung und konzentriert sich im deutschen Gebiet. Sie zeitigt dieselben
Erscheinungen wie im Reich: Anhäufung von Menschenmassen, Landflucht. Die
Deutschen können den Bedarf an Arbeitern nicht decken, Tschechen kommen
massenhaft ins deutsche Industriegebiet Nordböhmens und uach Wien. Deutsche
Sprachiuselu, besouders wenn es sich um rein städtische Siedlungen in slawischer
Umgebung handelt, leiden ein Blutleere; der jugendliche Nachwuchs drängt in die


wirtschaftliche Einflüsse

seine kriegerischen Erfolge nicht beliebt gemacht hat; die andern Völker haben
den harmlosen deutschen Kulturträger des zerrissenen Vaterlandes mehr geschätzt.

Es gibt indes eine ganze Reihe von politischen Ursachen, die in den letzten
dreißig Jahren die Selbstbehauptung des Deutschtums in Osterreich erschwert haben:
die nationale Bewegung, die natürlich nicht auf alte Kulturvölker, wie Deutsche
und Italiener, beschränkt blieb, vor allein aber der Siegeszug demokratischer
Einrichtungen im Staatsleben, der dem Deutschtum überall da verderblich werden
mußte, wo es nach Kultur und Besitz und nicht auf Grund seiner Zahl eine
bevorzugte Stellung einnahm. Daß aber mit all dem die Gründe für die
nationale Bedrängnis der Deutschen in der Donaumonarchie nicht erschöpft
sind, lehrt eine einfache Nebeneinanderstellung: in der Zeit von 1870 bis .1900
ging das Deutschtum in Posen von 46 Prozent der Bevölkerung auf 40 Prozent
zurück, cur Rückgang, der in keinem Lande der Donaumonarchie ein Seitenstück
findet. Hier beruht der Rückgang uun zweifellos auf wirtschaftlichen Verhält¬
nissen und nicht auf den: Mallgel politischer Macht; wenn wir ähnliche Ursachen
auch in Osterreich am Werke finden, so werden wir uns über entsprechende
Wirkungen nicht wundern dürfen.

Zahlenmäßig läßt sich der Rückgang des österreichische» Deutschtums oder
besser gesagt seines Besitzstandes nicht gut erfassen. Die erste brauchbare
Nationalitätenstatistik wurde bei der Volkszählung des Jahres 1880 auf¬
genommen, und wenn man die Ziffern des Jahres 1900 damit vergleicht, so
ergibt sich für das Deutschtum kein nennenswerter Rückgang; dies also in den
zwanzig Jahren, in denen die Sonne der Regierungsgunst den Deutschen
wahrhaftig nicht schien. Aber die Deutschen Österreichs haben mit Recht das
Gefühl, daß sich trotzdem ihre strategische Stellung verschlechtert hat, daß sie
vielleicht nicht Menschen, aber Positionen verloren haben; und sie sehen, wie
die ungünstigen Momente sich voll Jahr zu Jahr verstärken und uicht abschwächen.
Die Wirkungen werden zwar an der politischen Skala abgelesen; eine deutsche
Stadt in Mähren gilt in dem Augenblick als dein Deutschtum verloren, wo die
Tschechen die Gemeindestube erobert haben, was ja dann auch stets der Ver¬
drängung der deutschen Minderheit einen stärkeren Anstoß gibt; bis dieses
Ereignis aber eintritt, muß doch schon jahrelang eine allmähliche Zunahme des
tschechischen und eine Abnahme des deutschen Elements vorausgegangen sein,
wofür die Ursachen in Verschiedenheiten der Volksvermehrung oder in Wander-
bewegungen, die auf wirtschaftliche Ursachen zurückzuführen sind, gelegen sind.

Zunächst die Wanderungen. Die Industrie ist in Österreich eine deutsche
Schöpfung und konzentriert sich im deutschen Gebiet. Sie zeitigt dieselben
Erscheinungen wie im Reich: Anhäufung von Menschenmassen, Landflucht. Die
Deutschen können den Bedarf an Arbeitern nicht decken, Tschechen kommen
massenhaft ins deutsche Industriegebiet Nordböhmens und uach Wien. Deutsche
Sprachiuselu, besouders wenn es sich um rein städtische Siedlungen in slawischer
Umgebung handelt, leiden ein Blutleere; der jugendliche Nachwuchs drängt in die


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[0454] wirtschaftliche Einflüsse seine kriegerischen Erfolge nicht beliebt gemacht hat; die andern Völker haben den harmlosen deutschen Kulturträger des zerrissenen Vaterlandes mehr geschätzt. Es gibt indes eine ganze Reihe von politischen Ursachen, die in den letzten dreißig Jahren die Selbstbehauptung des Deutschtums in Osterreich erschwert haben: die nationale Bewegung, die natürlich nicht auf alte Kulturvölker, wie Deutsche und Italiener, beschränkt blieb, vor allein aber der Siegeszug demokratischer Einrichtungen im Staatsleben, der dem Deutschtum überall da verderblich werden mußte, wo es nach Kultur und Besitz und nicht auf Grund seiner Zahl eine bevorzugte Stellung einnahm. Daß aber mit all dem die Gründe für die nationale Bedrängnis der Deutschen in der Donaumonarchie nicht erschöpft sind, lehrt eine einfache Nebeneinanderstellung: in der Zeit von 1870 bis .1900 ging das Deutschtum in Posen von 46 Prozent der Bevölkerung auf 40 Prozent zurück, cur Rückgang, der in keinem Lande der Donaumonarchie ein Seitenstück findet. Hier beruht der Rückgang uun zweifellos auf wirtschaftlichen Verhält¬ nissen und nicht auf den: Mallgel politischer Macht; wenn wir ähnliche Ursachen auch in Osterreich am Werke finden, so werden wir uns über entsprechende Wirkungen nicht wundern dürfen. Zahlenmäßig läßt sich der Rückgang des österreichische» Deutschtums oder besser gesagt seines Besitzstandes nicht gut erfassen. Die erste brauchbare Nationalitätenstatistik wurde bei der Volkszählung des Jahres 1880 auf¬ genommen, und wenn man die Ziffern des Jahres 1900 damit vergleicht, so ergibt sich für das Deutschtum kein nennenswerter Rückgang; dies also in den zwanzig Jahren, in denen die Sonne der Regierungsgunst den Deutschen wahrhaftig nicht schien. Aber die Deutschen Österreichs haben mit Recht das Gefühl, daß sich trotzdem ihre strategische Stellung verschlechtert hat, daß sie vielleicht nicht Menschen, aber Positionen verloren haben; und sie sehen, wie die ungünstigen Momente sich voll Jahr zu Jahr verstärken und uicht abschwächen. Die Wirkungen werden zwar an der politischen Skala abgelesen; eine deutsche Stadt in Mähren gilt in dem Augenblick als dein Deutschtum verloren, wo die Tschechen die Gemeindestube erobert haben, was ja dann auch stets der Ver¬ drängung der deutschen Minderheit einen stärkeren Anstoß gibt; bis dieses Ereignis aber eintritt, muß doch schon jahrelang eine allmähliche Zunahme des tschechischen und eine Abnahme des deutschen Elements vorausgegangen sein, wofür die Ursachen in Verschiedenheiten der Volksvermehrung oder in Wander- bewegungen, die auf wirtschaftliche Ursachen zurückzuführen sind, gelegen sind. Zunächst die Wanderungen. Die Industrie ist in Österreich eine deutsche Schöpfung und konzentriert sich im deutschen Gebiet. Sie zeitigt dieselben Erscheinungen wie im Reich: Anhäufung von Menschenmassen, Landflucht. Die Deutschen können den Bedarf an Arbeitern nicht decken, Tschechen kommen massenhaft ins deutsche Industriegebiet Nordböhmens und uach Wien. Deutsche Sprachiuselu, besouders wenn es sich um rein städtische Siedlungen in slawischer Umgebung handelt, leiden ein Blutleere; der jugendliche Nachwuchs drängt in die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/454>, abgerufen am 29.06.2024.