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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Liberalismus und Grganisation?

Parteistatut treibt er Orgcmik, wirbt um Aufnahme und Geltung im Organismus
des Volkes, "qualifiziert" er, der Liberale, sich zum eigentlichen Träger des
Staatsgedankens und der Staatserhaltung. Die Liberalen rühmen doch in der
Gütererzeugung die Qualitätsarbeit, die Erzeugnisse von persönlicher Note
und eigentümlich harmonischer Durchbildung gegenüber der wohlfeilen Dutzend-
und Tausendware. Gleiches Wertgesetz gilt für die Glieder der Staatsgemeinschaft.
Der gegenwärtige Liberalismus hat allen Grund, sich seiner Herkunft von der
Liberalität und Libertät zu erinnern. Als der geborene Gegner aller Verbands¬
bewegung, alles Zusammenschlusses von Gleich und Gleich bedeutet er recht¬
schaffenerweise die Heranbildung des Eigenartigen, die Anbringung eines jeden
Gliedes an seinem eigentümlichen Platz.

"Parteigroßbetrieb" lasen wir in einer neuen Wochenschrift der Liberalen?
Es gibt allerdings Großbetriebe, wie Krupp, die den Organismen einigermaßen
gleichen, indem sie alle Mittel zur Herstellung vollkommener Waren in sich ver¬
einigen. Aber die größere Zahl und schlimmere Art und die allein verführerische
für eine Partei sind jene Großbetriebe, die in einer Spezialität irgendwelcher
Massenfabrikation aufgehen und erstarren: ein abschreckendes Beispiel gerade für
den gereiften Liberalismus. Die Schuljugend zwar, die unmündige, wird zur
sogenannten Qualifikation zusammen mit ihresgleichen erzogen. Zum Glück
sorgt nebenher die Familie für Differenzierung, für die eigentliche Qualifi¬
zierung, und auch in dem Geschrei nach "individueller Behandlung" in der
Schule steckt so etwas wie ein gut liberaler Kern obendrein. Der Mündige
jedenfalls ist zu anderem geschaffen, als sich in Quantitäten zusammenzuschließen,
ist geschaffen, seinen Platz da zu suchen, wo seine Qualität ihn hin¬
bestimmt.

Kann es den: Liberalismus als den: Träger des wahren Organisations¬
prinzips nicht um Massenaufgebot zu tun sein, so auch nicht zunächst
um Massenerziehung. Zur Gesundung des Körpers gehört vor allem die
Gesundheit der maßgeblichen Organe; der Anfang aller Erziehung geschieht
desgleichen mit den einflußreichsten Organen des Staatsorganismus: mit den
vermögenden und leitenden Gliedern der Volksgemeinde. Ein Grundirrtum
liberaler wie sozial gerichteter Volksfreunde ist es, daß sie mit der Erziehung
der Massen beginnen wollen. Weder Mannhaftigkeit noch Einheitlichkeit ist
das Ideal des echten Liberalismus; er, wie der echte Protestantismus, steht
und fällt allein mit der Freiheitlichkeit, dieser Blüte und Frucht fein
organisierter Persönlichkeit. Nicht von der Masse, sondern von den Führern
entspringt erfahrungsgemäß das Heil wie das Verderben des Volkes. Und um
politische Organisation zu treiben, müssen ihnen, aller Massenpolitik voran,
die zwei Hauptstücke des staatsbürgerlichen Katechismus, wie Schild und Schwert,
zur Hand und in Übung sein: das Recht der Gemeinde auf den Gemeinde¬
boden und die Opferpflicht der Person fürs Gemeindeleben. "Bodenrecht und
Steuerpflicht"!


Liberalismus und Grganisation?

Parteistatut treibt er Orgcmik, wirbt um Aufnahme und Geltung im Organismus
des Volkes, „qualifiziert" er, der Liberale, sich zum eigentlichen Träger des
Staatsgedankens und der Staatserhaltung. Die Liberalen rühmen doch in der
Gütererzeugung die Qualitätsarbeit, die Erzeugnisse von persönlicher Note
und eigentümlich harmonischer Durchbildung gegenüber der wohlfeilen Dutzend-
und Tausendware. Gleiches Wertgesetz gilt für die Glieder der Staatsgemeinschaft.
Der gegenwärtige Liberalismus hat allen Grund, sich seiner Herkunft von der
Liberalität und Libertät zu erinnern. Als der geborene Gegner aller Verbands¬
bewegung, alles Zusammenschlusses von Gleich und Gleich bedeutet er recht¬
schaffenerweise die Heranbildung des Eigenartigen, die Anbringung eines jeden
Gliedes an seinem eigentümlichen Platz.

„Parteigroßbetrieb" lasen wir in einer neuen Wochenschrift der Liberalen?
Es gibt allerdings Großbetriebe, wie Krupp, die den Organismen einigermaßen
gleichen, indem sie alle Mittel zur Herstellung vollkommener Waren in sich ver¬
einigen. Aber die größere Zahl und schlimmere Art und die allein verführerische
für eine Partei sind jene Großbetriebe, die in einer Spezialität irgendwelcher
Massenfabrikation aufgehen und erstarren: ein abschreckendes Beispiel gerade für
den gereiften Liberalismus. Die Schuljugend zwar, die unmündige, wird zur
sogenannten Qualifikation zusammen mit ihresgleichen erzogen. Zum Glück
sorgt nebenher die Familie für Differenzierung, für die eigentliche Qualifi¬
zierung, und auch in dem Geschrei nach „individueller Behandlung" in der
Schule steckt so etwas wie ein gut liberaler Kern obendrein. Der Mündige
jedenfalls ist zu anderem geschaffen, als sich in Quantitäten zusammenzuschließen,
ist geschaffen, seinen Platz da zu suchen, wo seine Qualität ihn hin¬
bestimmt.

Kann es den: Liberalismus als den: Träger des wahren Organisations¬
prinzips nicht um Massenaufgebot zu tun sein, so auch nicht zunächst
um Massenerziehung. Zur Gesundung des Körpers gehört vor allem die
Gesundheit der maßgeblichen Organe; der Anfang aller Erziehung geschieht
desgleichen mit den einflußreichsten Organen des Staatsorganismus: mit den
vermögenden und leitenden Gliedern der Volksgemeinde. Ein Grundirrtum
liberaler wie sozial gerichteter Volksfreunde ist es, daß sie mit der Erziehung
der Massen beginnen wollen. Weder Mannhaftigkeit noch Einheitlichkeit ist
das Ideal des echten Liberalismus; er, wie der echte Protestantismus, steht
und fällt allein mit der Freiheitlichkeit, dieser Blüte und Frucht fein
organisierter Persönlichkeit. Nicht von der Masse, sondern von den Führern
entspringt erfahrungsgemäß das Heil wie das Verderben des Volkes. Und um
politische Organisation zu treiben, müssen ihnen, aller Massenpolitik voran,
die zwei Hauptstücke des staatsbürgerlichen Katechismus, wie Schild und Schwert,
zur Hand und in Übung sein: das Recht der Gemeinde auf den Gemeinde¬
boden und die Opferpflicht der Person fürs Gemeindeleben. „Bodenrecht und
Steuerpflicht"!


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/433>, abgerufen am 01.10.2024.