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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Argentinien

hangt das Tempo der Gesetzgebung ab, von seiner eigenen politischen Weisheit
die Gute der Gesetze.

Während die erste Gesellschaft, wie bereits hervorgehoben, von französischer
Kultur beeinflußt wird, neigt die Armee mehr Deutschland zu. Das hat seinen
guten Grund. Im Jahre 1900 gingen auf Veranlassung des Präsidenten Rom
fünf deutsche Offiziere, unter denen sich auch der Verfasser dieser Zeilen befand,
nach Buenos Aires und gründeten die Escuela Superior de guerra, d. h. eine
Kriegsakademie nach Berliner Muster. Das Institut, in dem in allen mili¬
tärischen Fächern deutsche Offiziere als Lehrer tätig sind, besteht heute noch;
Direktor ist gegenwärtig Oberst Uriburu, der im Jahre 1900 die Akademie
besuchte, sie als bester Schüler verließ, hierfür außer der Reihe zum Major
befördert wurde und später in Berlin beim 1. Garde-Feld-Artillerie-Reginient
und denn 2. Garde-Ulanen-Regiment praktisch Dienst getan hat.

Der Wirksamkeit der Akademie in Verbindung mit dem Umstände, daß
zahlreiche Kommandos von argentinischen Offizieren zu deutschen Truppenteilen
stattgefunden haben, ist es zuzuschreiben, daß der deutsche Einfluß in der Armee
vorherrscht. Auch unserer Industrie ist er zugute gekommen, da die Waffen für
die Armee ans Deutschland stammen; das Artilleriematerial von Krupp, die
Gewehre von den Deutschen Waffen- und Munitionsfabriken (vorn?. Löwe).
Der Offizier nimmt eine geachtete Stellung ein, das Menschenmaterial ist vor¬
züglich; die Ausbildung schließt sich eng an deutsche Vorschriften an. Die Armee
zählt im Frieden 24000, im Kriege etwa 200000 Mann; das Offizierkorps
ist heute politischen Einflüssen gegenüber unzugänglich.

Die wirtschaftliche Entwickelung Argentiniens ist der politischen vorangeeilt.
Die Praxis in Verwaltung und Gesetzgebung ist vielfach noch immer dieselbe,
wie sie es vor etwa fünfzig Jahren unter viel weniger komplizierten Verhält¬
nissen war; hieraus erklärt sich eine Reihe unerfreulicher Erscheinungen, für die
man oft irrigerweise einzelne verantwortlich zu machen geneigt ist. Während
Politik und Verwaltung die Domäne der Criollos geblieben sind, sind die Fort¬
schritte anf wirtschaftlichen: Gebiet zum großen Teil das Werk der im Lande
ansässigen Ausländer. In der Hauptstadt sind Deutsche. Engländer, Italiener,
Franzosen, Spanier in starken Kolonien vertreten; jede dieser hat ihren eigenen
Klub, bewahrt ihre nationale Eigenart. Die Deutschen haben vorzugsweise den
Großhandel in Händen; die Engländer die großen Unternehmungen wie Eisen¬
bahnen, Hafenbauten, auch sehr viel Landbesitz. Die Italiener sind am zahl¬
reichsten vertreten, allein in Buenos Aires leben über zweihunderttausend. Sie
sind vorzugsweise Arbeiter in Stadt und Land; viele von ihnen kommen nur
zur Erntezeit -- also Februar, März -- herüber und kehren dann wieder in
die Heimat zurück. Die Franzosen haben besonders das Modegeschäft in Händen;
die Spanier sind in allen möglichen Berufen tütig.

Das geschäftliche Leben liegt also fast ganz in den Händen von Ausländern
und es ist klar, daß dadurch das Leben in der Hauptstadt international beeinflußt


Argentinien

hangt das Tempo der Gesetzgebung ab, von seiner eigenen politischen Weisheit
die Gute der Gesetze.

Während die erste Gesellschaft, wie bereits hervorgehoben, von französischer
Kultur beeinflußt wird, neigt die Armee mehr Deutschland zu. Das hat seinen
guten Grund. Im Jahre 1900 gingen auf Veranlassung des Präsidenten Rom
fünf deutsche Offiziere, unter denen sich auch der Verfasser dieser Zeilen befand,
nach Buenos Aires und gründeten die Escuela Superior de guerra, d. h. eine
Kriegsakademie nach Berliner Muster. Das Institut, in dem in allen mili¬
tärischen Fächern deutsche Offiziere als Lehrer tätig sind, besteht heute noch;
Direktor ist gegenwärtig Oberst Uriburu, der im Jahre 1900 die Akademie
besuchte, sie als bester Schüler verließ, hierfür außer der Reihe zum Major
befördert wurde und später in Berlin beim 1. Garde-Feld-Artillerie-Reginient
und denn 2. Garde-Ulanen-Regiment praktisch Dienst getan hat.

Der Wirksamkeit der Akademie in Verbindung mit dem Umstände, daß
zahlreiche Kommandos von argentinischen Offizieren zu deutschen Truppenteilen
stattgefunden haben, ist es zuzuschreiben, daß der deutsche Einfluß in der Armee
vorherrscht. Auch unserer Industrie ist er zugute gekommen, da die Waffen für
die Armee ans Deutschland stammen; das Artilleriematerial von Krupp, die
Gewehre von den Deutschen Waffen- und Munitionsfabriken (vorn?. Löwe).
Der Offizier nimmt eine geachtete Stellung ein, das Menschenmaterial ist vor¬
züglich; die Ausbildung schließt sich eng an deutsche Vorschriften an. Die Armee
zählt im Frieden 24000, im Kriege etwa 200000 Mann; das Offizierkorps
ist heute politischen Einflüssen gegenüber unzugänglich.

Die wirtschaftliche Entwickelung Argentiniens ist der politischen vorangeeilt.
Die Praxis in Verwaltung und Gesetzgebung ist vielfach noch immer dieselbe,
wie sie es vor etwa fünfzig Jahren unter viel weniger komplizierten Verhält¬
nissen war; hieraus erklärt sich eine Reihe unerfreulicher Erscheinungen, für die
man oft irrigerweise einzelne verantwortlich zu machen geneigt ist. Während
Politik und Verwaltung die Domäne der Criollos geblieben sind, sind die Fort¬
schritte anf wirtschaftlichen: Gebiet zum großen Teil das Werk der im Lande
ansässigen Ausländer. In der Hauptstadt sind Deutsche. Engländer, Italiener,
Franzosen, Spanier in starken Kolonien vertreten; jede dieser hat ihren eigenen
Klub, bewahrt ihre nationale Eigenart. Die Deutschen haben vorzugsweise den
Großhandel in Händen; die Engländer die großen Unternehmungen wie Eisen¬
bahnen, Hafenbauten, auch sehr viel Landbesitz. Die Italiener sind am zahl¬
reichsten vertreten, allein in Buenos Aires leben über zweihunderttausend. Sie
sind vorzugsweise Arbeiter in Stadt und Land; viele von ihnen kommen nur
zur Erntezeit — also Februar, März — herüber und kehren dann wieder in
die Heimat zurück. Die Franzosen haben besonders das Modegeschäft in Händen;
die Spanier sind in allen möglichen Berufen tütig.

Das geschäftliche Leben liegt also fast ganz in den Händen von Ausländern
und es ist klar, daß dadurch das Leben in der Hauptstadt international beeinflußt


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[0425] Argentinien hangt das Tempo der Gesetzgebung ab, von seiner eigenen politischen Weisheit die Gute der Gesetze. Während die erste Gesellschaft, wie bereits hervorgehoben, von französischer Kultur beeinflußt wird, neigt die Armee mehr Deutschland zu. Das hat seinen guten Grund. Im Jahre 1900 gingen auf Veranlassung des Präsidenten Rom fünf deutsche Offiziere, unter denen sich auch der Verfasser dieser Zeilen befand, nach Buenos Aires und gründeten die Escuela Superior de guerra, d. h. eine Kriegsakademie nach Berliner Muster. Das Institut, in dem in allen mili¬ tärischen Fächern deutsche Offiziere als Lehrer tätig sind, besteht heute noch; Direktor ist gegenwärtig Oberst Uriburu, der im Jahre 1900 die Akademie besuchte, sie als bester Schüler verließ, hierfür außer der Reihe zum Major befördert wurde und später in Berlin beim 1. Garde-Feld-Artillerie-Reginient und denn 2. Garde-Ulanen-Regiment praktisch Dienst getan hat. Der Wirksamkeit der Akademie in Verbindung mit dem Umstände, daß zahlreiche Kommandos von argentinischen Offizieren zu deutschen Truppenteilen stattgefunden haben, ist es zuzuschreiben, daß der deutsche Einfluß in der Armee vorherrscht. Auch unserer Industrie ist er zugute gekommen, da die Waffen für die Armee ans Deutschland stammen; das Artilleriematerial von Krupp, die Gewehre von den Deutschen Waffen- und Munitionsfabriken (vorn?. Löwe). Der Offizier nimmt eine geachtete Stellung ein, das Menschenmaterial ist vor¬ züglich; die Ausbildung schließt sich eng an deutsche Vorschriften an. Die Armee zählt im Frieden 24000, im Kriege etwa 200000 Mann; das Offizierkorps ist heute politischen Einflüssen gegenüber unzugänglich. Die wirtschaftliche Entwickelung Argentiniens ist der politischen vorangeeilt. Die Praxis in Verwaltung und Gesetzgebung ist vielfach noch immer dieselbe, wie sie es vor etwa fünfzig Jahren unter viel weniger komplizierten Verhält¬ nissen war; hieraus erklärt sich eine Reihe unerfreulicher Erscheinungen, für die man oft irrigerweise einzelne verantwortlich zu machen geneigt ist. Während Politik und Verwaltung die Domäne der Criollos geblieben sind, sind die Fort¬ schritte anf wirtschaftlichen: Gebiet zum großen Teil das Werk der im Lande ansässigen Ausländer. In der Hauptstadt sind Deutsche. Engländer, Italiener, Franzosen, Spanier in starken Kolonien vertreten; jede dieser hat ihren eigenen Klub, bewahrt ihre nationale Eigenart. Die Deutschen haben vorzugsweise den Großhandel in Händen; die Engländer die großen Unternehmungen wie Eisen¬ bahnen, Hafenbauten, auch sehr viel Landbesitz. Die Italiener sind am zahl¬ reichsten vertreten, allein in Buenos Aires leben über zweihunderttausend. Sie sind vorzugsweise Arbeiter in Stadt und Land; viele von ihnen kommen nur zur Erntezeit — also Februar, März — herüber und kehren dann wieder in die Heimat zurück. Die Franzosen haben besonders das Modegeschäft in Händen; die Spanier sind in allen möglichen Berufen tütig. Das geschäftliche Leben liegt also fast ganz in den Händen von Ausländern und es ist klar, daß dadurch das Leben in der Hauptstadt international beeinflußt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/425>, abgerufen am 26.06.2024.