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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Argentinien

italienisches und spanisches Drama und mehrere kleinere spanische Theater. Die
Theatertruppen kommen alle aus Europa; der Peso lockt die ersten Berühmtheiten
ebenso an wie der Dollar im Lande der unbegrenzten Möglichkeiten.

Die Klubs sind besonders vornehm eingerichtet; sie haben Fechtsäle und
Badeeinrichtung- italienische Fechtmeister erteilen Unterricht. Namentlich
.in den Nachmittagsstunden zwischen 5 und 7 Uhr findet man dort Leute
jeden Alters, die dem Fechtsport huldigen. Obenan steht der Jockei-Klub,
wohl der eleganteste der ganzen Welt.

Die Gesellschaft in Buenos Aires setzt sich vorzugsweise aus reichen Gro߬
grundbesitzern, Estancieros genannt, zusammen, unter denen wieder einige wenige
Familien vornehmer altspanischer Abkunft hervortreten, die dem Lande seit der
Eroberung augehören und in der Geschichte eine Rolle gespielt haben. Der
äußere Firnis ist der der Pariser Gesellschaft; große Liebenswürdigkeit und
angenehme äußere Formen zeichnen den Argentinier ebenso aus wie stark ent¬
wickelter persönlicher Stolz. Die Frauen sind von berückender Schönheit; sie
vereinen die Eleganz der Französin mit der Grazie der Andalusierin. Da
Argentinien vorzugsweise von Südspaniern besiedelt wurde, haben sich maurische
Gepflogenheiten noch bis in die Gegenwart hinein erhalten; die Frau gehört
daher dein Hause, der Familie an, sie bewegt sich nicht entfernt so frei wie die
europäischen Damen oder gar ihre nordamerikanischen Schwestern. Die elegante
Gesellschaft neigt nach Frankreich. Wenn der vornehme Argentinier eine
Vergnügungsreise unternimmt, so reist er nicht auf seinem eigenen Kon¬
tinent, sondern er geht nach Paris. Die Kenntnis der französischen Sprache
sowie eine verhältnismäßig große argentinische Kolonie in der französischen
Hauptstadt erleichtern ihm diesen Besuch. Nächst Paris und der Riviera werden
Italien und Spanien bevorzugt; England und Deutschland sind weniger gekannt.
Im Sommer trifft sich die elegante Welt in dem Seebade Mar del Plata, das
von Buenos Aires aus mit der Bahn in etwa zwölf Stunden zu erreichen ist.
In seiner Anlage erinnert es um San Sebastian in Spanien. Auch hier herrscht
großer Luxus; Taubenschießen, Roulette und Treille et Quarante sorgen
ebenso wie in Monte Carlo für Zerstreuung. Die Argentinier sind von Natur recht
begabt und gewandt. Der junge vornehme Argentinier erwirbt sich gewöhnlich
den Grad eines OoLtor juri8. Einige wenige praktizieren später als Advokat; die
meisten reisen und warten ab, bis ihnen eine Stelle in der Verwaltung zufällt.
Beim Präsidentenwechsel treten andere an ihre Stelle, bis sie nach einigen
Jahren, sobald neue Machthaber an die Spitze treten, wieder dem Staatsdienst
zugeführt werden. So bekommt der Staat eingearbeitete höhere Beamte, die sich
in der Welt umgesehen, einen freien Blick bewahrt haben und nicht im Bureau¬
kratismus verknöchert sind. Da sich diese Beamten aus einer verhältnis¬
mäßig kleinen Zahl unabhängiger, einflußreicher Familien rekrutieren, so
geht schon hieraus hervor, daß der Charakter der Republik ein oligarchischer
sein muß.


Argentinien

italienisches und spanisches Drama und mehrere kleinere spanische Theater. Die
Theatertruppen kommen alle aus Europa; der Peso lockt die ersten Berühmtheiten
ebenso an wie der Dollar im Lande der unbegrenzten Möglichkeiten.

Die Klubs sind besonders vornehm eingerichtet; sie haben Fechtsäle und
Badeeinrichtung- italienische Fechtmeister erteilen Unterricht. Namentlich
.in den Nachmittagsstunden zwischen 5 und 7 Uhr findet man dort Leute
jeden Alters, die dem Fechtsport huldigen. Obenan steht der Jockei-Klub,
wohl der eleganteste der ganzen Welt.

Die Gesellschaft in Buenos Aires setzt sich vorzugsweise aus reichen Gro߬
grundbesitzern, Estancieros genannt, zusammen, unter denen wieder einige wenige
Familien vornehmer altspanischer Abkunft hervortreten, die dem Lande seit der
Eroberung augehören und in der Geschichte eine Rolle gespielt haben. Der
äußere Firnis ist der der Pariser Gesellschaft; große Liebenswürdigkeit und
angenehme äußere Formen zeichnen den Argentinier ebenso aus wie stark ent¬
wickelter persönlicher Stolz. Die Frauen sind von berückender Schönheit; sie
vereinen die Eleganz der Französin mit der Grazie der Andalusierin. Da
Argentinien vorzugsweise von Südspaniern besiedelt wurde, haben sich maurische
Gepflogenheiten noch bis in die Gegenwart hinein erhalten; die Frau gehört
daher dein Hause, der Familie an, sie bewegt sich nicht entfernt so frei wie die
europäischen Damen oder gar ihre nordamerikanischen Schwestern. Die elegante
Gesellschaft neigt nach Frankreich. Wenn der vornehme Argentinier eine
Vergnügungsreise unternimmt, so reist er nicht auf seinem eigenen Kon¬
tinent, sondern er geht nach Paris. Die Kenntnis der französischen Sprache
sowie eine verhältnismäßig große argentinische Kolonie in der französischen
Hauptstadt erleichtern ihm diesen Besuch. Nächst Paris und der Riviera werden
Italien und Spanien bevorzugt; England und Deutschland sind weniger gekannt.
Im Sommer trifft sich die elegante Welt in dem Seebade Mar del Plata, das
von Buenos Aires aus mit der Bahn in etwa zwölf Stunden zu erreichen ist.
In seiner Anlage erinnert es um San Sebastian in Spanien. Auch hier herrscht
großer Luxus; Taubenschießen, Roulette und Treille et Quarante sorgen
ebenso wie in Monte Carlo für Zerstreuung. Die Argentinier sind von Natur recht
begabt und gewandt. Der junge vornehme Argentinier erwirbt sich gewöhnlich
den Grad eines OoLtor juri8. Einige wenige praktizieren später als Advokat; die
meisten reisen und warten ab, bis ihnen eine Stelle in der Verwaltung zufällt.
Beim Präsidentenwechsel treten andere an ihre Stelle, bis sie nach einigen
Jahren, sobald neue Machthaber an die Spitze treten, wieder dem Staatsdienst
zugeführt werden. So bekommt der Staat eingearbeitete höhere Beamte, die sich
in der Welt umgesehen, einen freien Blick bewahrt haben und nicht im Bureau¬
kratismus verknöchert sind. Da sich diese Beamten aus einer verhältnis¬
mäßig kleinen Zahl unabhängiger, einflußreicher Familien rekrutieren, so
geht schon hieraus hervor, daß der Charakter der Republik ein oligarchischer
sein muß.


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[0423] Argentinien italienisches und spanisches Drama und mehrere kleinere spanische Theater. Die Theatertruppen kommen alle aus Europa; der Peso lockt die ersten Berühmtheiten ebenso an wie der Dollar im Lande der unbegrenzten Möglichkeiten. Die Klubs sind besonders vornehm eingerichtet; sie haben Fechtsäle und Badeeinrichtung- italienische Fechtmeister erteilen Unterricht. Namentlich .in den Nachmittagsstunden zwischen 5 und 7 Uhr findet man dort Leute jeden Alters, die dem Fechtsport huldigen. Obenan steht der Jockei-Klub, wohl der eleganteste der ganzen Welt. Die Gesellschaft in Buenos Aires setzt sich vorzugsweise aus reichen Gro߬ grundbesitzern, Estancieros genannt, zusammen, unter denen wieder einige wenige Familien vornehmer altspanischer Abkunft hervortreten, die dem Lande seit der Eroberung augehören und in der Geschichte eine Rolle gespielt haben. Der äußere Firnis ist der der Pariser Gesellschaft; große Liebenswürdigkeit und angenehme äußere Formen zeichnen den Argentinier ebenso aus wie stark ent¬ wickelter persönlicher Stolz. Die Frauen sind von berückender Schönheit; sie vereinen die Eleganz der Französin mit der Grazie der Andalusierin. Da Argentinien vorzugsweise von Südspaniern besiedelt wurde, haben sich maurische Gepflogenheiten noch bis in die Gegenwart hinein erhalten; die Frau gehört daher dein Hause, der Familie an, sie bewegt sich nicht entfernt so frei wie die europäischen Damen oder gar ihre nordamerikanischen Schwestern. Die elegante Gesellschaft neigt nach Frankreich. Wenn der vornehme Argentinier eine Vergnügungsreise unternimmt, so reist er nicht auf seinem eigenen Kon¬ tinent, sondern er geht nach Paris. Die Kenntnis der französischen Sprache sowie eine verhältnismäßig große argentinische Kolonie in der französischen Hauptstadt erleichtern ihm diesen Besuch. Nächst Paris und der Riviera werden Italien und Spanien bevorzugt; England und Deutschland sind weniger gekannt. Im Sommer trifft sich die elegante Welt in dem Seebade Mar del Plata, das von Buenos Aires aus mit der Bahn in etwa zwölf Stunden zu erreichen ist. In seiner Anlage erinnert es um San Sebastian in Spanien. Auch hier herrscht großer Luxus; Taubenschießen, Roulette und Treille et Quarante sorgen ebenso wie in Monte Carlo für Zerstreuung. Die Argentinier sind von Natur recht begabt und gewandt. Der junge vornehme Argentinier erwirbt sich gewöhnlich den Grad eines OoLtor juri8. Einige wenige praktizieren später als Advokat; die meisten reisen und warten ab, bis ihnen eine Stelle in der Verwaltung zufällt. Beim Präsidentenwechsel treten andere an ihre Stelle, bis sie nach einigen Jahren, sobald neue Machthaber an die Spitze treten, wieder dem Staatsdienst zugeführt werden. So bekommt der Staat eingearbeitete höhere Beamte, die sich in der Welt umgesehen, einen freien Blick bewahrt haben und nicht im Bureau¬ kratismus verknöchert sind. Da sich diese Beamten aus einer verhältnis¬ mäßig kleinen Zahl unabhängiger, einflußreicher Familien rekrutieren, so geht schon hieraus hervor, daß der Charakter der Republik ein oligarchischer sein muß.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/423>, abgerufen am 01.07.2024.