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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Die Freiheit der Wissenschaft

aber 101. übertroffen wird Belgien nur von Italien und Rußland. Das
ist das Ergebnis eines klerikalen Regiments von nur fünfundzwanzig Jahren
unter der Devise Freiheit und Parität.

Wie merkwürdig müßte nun eine Universität aussehen, die unter den Maximen
der Freiheit der Wissenschaft steht, wie sie Donat und mit ihm der gesamte
Ultramontanismus anpreist. Man gehe nur die einzelnen Fakultäten einmal
durch. Ich will hier gar nicht von der theologischen Fakultät sprechen, obwohl
die zahlreichen Maßregelungen von Leuten, die sich in eine Kritik der ultra¬
montanen Anschauungen einließen, genügende Anhaltspunkte geben, um sich eine
Vorstellung zu bilden, wie weit in dieser Fakultät eine Forschungsfreiheit über¬
haupt möglich ist. Die Exkommunizierung von Loisy, die Verurteilung von
Schelk, das Vorgehen gegen Professor Schnitzer, Wahrmund, Günther in
Tübingen, Güttler und viele andere reden aufs deutlichste, und es handelt
sich hier fast überall um gutgläubige Katholiken, die nur nicht ultramontan
sind. Die juristische Fakultät: Man vergleiche hierzu das Staatslexikon
der Görres-Gesellschaft (das gerade in dritter Auflage erscheint und an dem
die ersten Zentrumsführer mitgearbeitet haben) und schlage aufs Geratewohl
irgendein Stichwort auf, das in die Rechtslehre hineingehört, z.B. das Stich¬
wort "Eid". Da wird man finden, daß der Eid gelöst werden kann durch
die Kirche und durch den Papst, falls dies von ihnen für opportun gehalten
wird. Man wird dort als vollkommen zulässig dargestellt finden, daß die Kirche
die Untertanen von ihrem Eid gegen den Landesherrn entbinden kann. Es
heißt wörtlich: "Durch äußere Gründe endet die eigentliche Verpflichtung
infolge Eideslösung durch die kompetenten kirchlichen Oberen." Auch für das
Gebiet der Nationalökonomie soll ein Beispiel angeführt werden. Professor
Göpfert in Würzburg hat eine Moraltheologie herausgegeben, in der es unter
vielem anderen heißt: "Es ist manchmal erlaubt, ja Pflicht, den wahren
Glauben zu verbergen . . ., nämlich da, wo es gilt, einen großen Vorteil für
Religion und Kirche zu erreichen, eine große Gefahr von der Religion und
Kirche, oder auch von uns selbst abzuwenden. . . . Man kann es nicht als
ungerechtes Mittel ansehen, wenn jemand, um der Steuer oder dem Zoll zu
entgehen, Mangel an Zeit vorschützt, ernstlich behauptet oder beschwört, er habe
nichts Steuerpflichtiges, oder wenn man auf Fragen sagt, man habe nichts zu
deklarieren; es liegt auch keine Ungerechtigkeit vor, wenn der Steuerbeamte die
fehlende Summe ersetzen müßte, denn das hat er seiner eigenen Nachlässigkeit
und Leichtgläubigkeit zuzuschreiben." Es handelt sich ja hier nur um Stich¬
proben, die man leicht um beliebig viele vermehren könnte. Gerade das
eben genannte Staatslexikon der Görres-Gesellschaft enthält die wunder¬
barsten Dinge. Fast ebenso bemerkenswert ist, wie auf dem Gebiete der
Geschichte, und zwar nicht bloß der Kirchengeschichte, verfahren wird. Ältere
sowie auch neuere Ereignisse werden in der willkürlichsten Weise zugunsten der
ultramontanen Kirche entstellt. Auch hierfür sollen uur einige wenige Beispiele


Die Freiheit der Wissenschaft

aber 101. übertroffen wird Belgien nur von Italien und Rußland. Das
ist das Ergebnis eines klerikalen Regiments von nur fünfundzwanzig Jahren
unter der Devise Freiheit und Parität.

Wie merkwürdig müßte nun eine Universität aussehen, die unter den Maximen
der Freiheit der Wissenschaft steht, wie sie Donat und mit ihm der gesamte
Ultramontanismus anpreist. Man gehe nur die einzelnen Fakultäten einmal
durch. Ich will hier gar nicht von der theologischen Fakultät sprechen, obwohl
die zahlreichen Maßregelungen von Leuten, die sich in eine Kritik der ultra¬
montanen Anschauungen einließen, genügende Anhaltspunkte geben, um sich eine
Vorstellung zu bilden, wie weit in dieser Fakultät eine Forschungsfreiheit über¬
haupt möglich ist. Die Exkommunizierung von Loisy, die Verurteilung von
Schelk, das Vorgehen gegen Professor Schnitzer, Wahrmund, Günther in
Tübingen, Güttler und viele andere reden aufs deutlichste, und es handelt
sich hier fast überall um gutgläubige Katholiken, die nur nicht ultramontan
sind. Die juristische Fakultät: Man vergleiche hierzu das Staatslexikon
der Görres-Gesellschaft (das gerade in dritter Auflage erscheint und an dem
die ersten Zentrumsführer mitgearbeitet haben) und schlage aufs Geratewohl
irgendein Stichwort auf, das in die Rechtslehre hineingehört, z.B. das Stich¬
wort „Eid". Da wird man finden, daß der Eid gelöst werden kann durch
die Kirche und durch den Papst, falls dies von ihnen für opportun gehalten
wird. Man wird dort als vollkommen zulässig dargestellt finden, daß die Kirche
die Untertanen von ihrem Eid gegen den Landesherrn entbinden kann. Es
heißt wörtlich: „Durch äußere Gründe endet die eigentliche Verpflichtung
infolge Eideslösung durch die kompetenten kirchlichen Oberen." Auch für das
Gebiet der Nationalökonomie soll ein Beispiel angeführt werden. Professor
Göpfert in Würzburg hat eine Moraltheologie herausgegeben, in der es unter
vielem anderen heißt: „Es ist manchmal erlaubt, ja Pflicht, den wahren
Glauben zu verbergen . . ., nämlich da, wo es gilt, einen großen Vorteil für
Religion und Kirche zu erreichen, eine große Gefahr von der Religion und
Kirche, oder auch von uns selbst abzuwenden. . . . Man kann es nicht als
ungerechtes Mittel ansehen, wenn jemand, um der Steuer oder dem Zoll zu
entgehen, Mangel an Zeit vorschützt, ernstlich behauptet oder beschwört, er habe
nichts Steuerpflichtiges, oder wenn man auf Fragen sagt, man habe nichts zu
deklarieren; es liegt auch keine Ungerechtigkeit vor, wenn der Steuerbeamte die
fehlende Summe ersetzen müßte, denn das hat er seiner eigenen Nachlässigkeit
und Leichtgläubigkeit zuzuschreiben." Es handelt sich ja hier nur um Stich¬
proben, die man leicht um beliebig viele vermehren könnte. Gerade das
eben genannte Staatslexikon der Görres-Gesellschaft enthält die wunder¬
barsten Dinge. Fast ebenso bemerkenswert ist, wie auf dem Gebiete der
Geschichte, und zwar nicht bloß der Kirchengeschichte, verfahren wird. Ältere
sowie auch neuere Ereignisse werden in der willkürlichsten Weise zugunsten der
ultramontanen Kirche entstellt. Auch hierfür sollen uur einige wenige Beispiele


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[0410] Die Freiheit der Wissenschaft aber 101. übertroffen wird Belgien nur von Italien und Rußland. Das ist das Ergebnis eines klerikalen Regiments von nur fünfundzwanzig Jahren unter der Devise Freiheit und Parität. Wie merkwürdig müßte nun eine Universität aussehen, die unter den Maximen der Freiheit der Wissenschaft steht, wie sie Donat und mit ihm der gesamte Ultramontanismus anpreist. Man gehe nur die einzelnen Fakultäten einmal durch. Ich will hier gar nicht von der theologischen Fakultät sprechen, obwohl die zahlreichen Maßregelungen von Leuten, die sich in eine Kritik der ultra¬ montanen Anschauungen einließen, genügende Anhaltspunkte geben, um sich eine Vorstellung zu bilden, wie weit in dieser Fakultät eine Forschungsfreiheit über¬ haupt möglich ist. Die Exkommunizierung von Loisy, die Verurteilung von Schelk, das Vorgehen gegen Professor Schnitzer, Wahrmund, Günther in Tübingen, Güttler und viele andere reden aufs deutlichste, und es handelt sich hier fast überall um gutgläubige Katholiken, die nur nicht ultramontan sind. Die juristische Fakultät: Man vergleiche hierzu das Staatslexikon der Görres-Gesellschaft (das gerade in dritter Auflage erscheint und an dem die ersten Zentrumsführer mitgearbeitet haben) und schlage aufs Geratewohl irgendein Stichwort auf, das in die Rechtslehre hineingehört, z.B. das Stich¬ wort „Eid". Da wird man finden, daß der Eid gelöst werden kann durch die Kirche und durch den Papst, falls dies von ihnen für opportun gehalten wird. Man wird dort als vollkommen zulässig dargestellt finden, daß die Kirche die Untertanen von ihrem Eid gegen den Landesherrn entbinden kann. Es heißt wörtlich: „Durch äußere Gründe endet die eigentliche Verpflichtung infolge Eideslösung durch die kompetenten kirchlichen Oberen." Auch für das Gebiet der Nationalökonomie soll ein Beispiel angeführt werden. Professor Göpfert in Würzburg hat eine Moraltheologie herausgegeben, in der es unter vielem anderen heißt: „Es ist manchmal erlaubt, ja Pflicht, den wahren Glauben zu verbergen . . ., nämlich da, wo es gilt, einen großen Vorteil für Religion und Kirche zu erreichen, eine große Gefahr von der Religion und Kirche, oder auch von uns selbst abzuwenden. . . . Man kann es nicht als ungerechtes Mittel ansehen, wenn jemand, um der Steuer oder dem Zoll zu entgehen, Mangel an Zeit vorschützt, ernstlich behauptet oder beschwört, er habe nichts Steuerpflichtiges, oder wenn man auf Fragen sagt, man habe nichts zu deklarieren; es liegt auch keine Ungerechtigkeit vor, wenn der Steuerbeamte die fehlende Summe ersetzen müßte, denn das hat er seiner eigenen Nachlässigkeit und Leichtgläubigkeit zuzuschreiben." Es handelt sich ja hier nur um Stich¬ proben, die man leicht um beliebig viele vermehren könnte. Gerade das eben genannte Staatslexikon der Görres-Gesellschaft enthält die wunder¬ barsten Dinge. Fast ebenso bemerkenswert ist, wie auf dem Gebiete der Geschichte, und zwar nicht bloß der Kirchengeschichte, verfahren wird. Ältere sowie auch neuere Ereignisse werden in der willkürlichsten Weise zugunsten der ultramontanen Kirche entstellt. Auch hierfür sollen uur einige wenige Beispiele

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/410>, abgerufen am 23.07.2024.