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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Die polnischen volksbankcn in Vberschlcsien

licherweise das Recht eigener Revisoren zugestanden hat. So darf man wohl
die bestimmte Erwartung aussprechen, daß dieser Antrag der oberschlesischen
Polenbanken abgelehnt werden wird. Die gesetzliche Handhabe hierzu bietet der
§ 55 des Genossenschaftsgesetzes*).

Nachdem wir so den Aufbau der polnischen Banken und ihre Kreditpolitik
kennen gelernt haben, können wir nun an die Untersuchung der Frage
herantreten, welchen Einfluß üben sie auf die Polonisierung Ober¬
schlesiens aus.

Das Oberschlesien zwischen Malapane und Przemsa, in dein 1848 Virchow
noch den Hungertyphus feststellte, hat in den sechzig Jahren seit dieser Zeit an
Kultur und Wohlhabenheit eine ungeahnte und außergewöhnlich schnelle Entwickelung
durchgemacht. Durch die Auffindung und Förderung der reichen Kohlen-
und Erzschätze ist nicht allein eine wirtschaftliche Oberschicht bereichert
worden, haben sich nicht allein die Löhne der oberschlesischen Arbeiter stark
gehoben, sondern es ist von dem Spekulationsgeist der Oberschicht, von dem
Amerikanismus, von dem man sogar in Oberschlesien spricht, auch etwas auf
die Bauern und Arbeitnehmer abgefärbt. Kaum eine andere Gegend in
Deutschland wird es geben, in der sich simple Arbeiter Jndustriepapiere kaufen.
Bei uns aber erlebt es der Bankier täglich, daß Oberhäuer und Puddler,
Wettermeister und Steiger sich eine Bismarckhütte- oder Donnersmarkhtttteaktie
kaufen und das Steigen des Papiers verfolgen, um es nach einiger Zeit wieder
mit Gewinn abzustoßen. Der Bauer in dem Jndustriebezirk, der ein Stückchen
Land an der Chaussee besitzt, kommt auf die Idee, dieses trägt dir mehr, wenn
du ein Haus darauf baust, als wenn du es mühsam beackerst. An den Hand¬
werker treten in dem geschäftlich regen Jndustriebezirk Aufträge heran, deren
Materialbeschaffung seine Geldmittel übersteigen. Auch auf den Kleinkaufmann
und Gewerbetreibenden geht etwas von der Siedehitze, in der das geschäftliche
Leben Oberschlesiens pulsiert, über. So sitzt er nicht wie der Krämer der
Kleinstadt und wartet, bis die Kunden zu ihm kommen, sondern in kauf¬
männischer Betriebsamkeit ist er bemüht, durch Reklame, glänzenderes Geschäfts¬
lokal und sonstige Anziehungsmittel die Kundschaft an sich zu locken. Sie alle
brauchen also für die Art, wie sie ihre Geschäfte betreiben und wirtschaftliche
Unternehmungen anfangen wollen, Kredit, und sie sind auf diesen mehr denn
anderwärts angewiesen, da wir in Oberschlesien keinen Bürgerstand haben, der
bereits vom Vater und Großvater ein behagliches Vermögen ererbt hat, das er
als Betriebskapital verwenden könnte. Nichts ist darum irriger als die in
Berliner Regierungskreiseu noch vielfach vertretene Ansicht, daß Oberschlesien
mit Kredit gesättigt sei und weiterer Geldmittel gar nicht bedürfe. Im Gegen¬
teil, es kann vorläufig noch gar nicht genug Geld nach Oberschlestcn gebracht werden!



") Des Näheren vgl, über diesen Vorstoß der Polenbankcn und seine Gefahren nieinen
Artikel in Ur. 178 der "Schlesischen Zeitung" von, t2, März 1909.
Die polnischen volksbankcn in Vberschlcsien

licherweise das Recht eigener Revisoren zugestanden hat. So darf man wohl
die bestimmte Erwartung aussprechen, daß dieser Antrag der oberschlesischen
Polenbanken abgelehnt werden wird. Die gesetzliche Handhabe hierzu bietet der
§ 55 des Genossenschaftsgesetzes*).

Nachdem wir so den Aufbau der polnischen Banken und ihre Kreditpolitik
kennen gelernt haben, können wir nun an die Untersuchung der Frage
herantreten, welchen Einfluß üben sie auf die Polonisierung Ober¬
schlesiens aus.

Das Oberschlesien zwischen Malapane und Przemsa, in dein 1848 Virchow
noch den Hungertyphus feststellte, hat in den sechzig Jahren seit dieser Zeit an
Kultur und Wohlhabenheit eine ungeahnte und außergewöhnlich schnelle Entwickelung
durchgemacht. Durch die Auffindung und Förderung der reichen Kohlen-
und Erzschätze ist nicht allein eine wirtschaftliche Oberschicht bereichert
worden, haben sich nicht allein die Löhne der oberschlesischen Arbeiter stark
gehoben, sondern es ist von dem Spekulationsgeist der Oberschicht, von dem
Amerikanismus, von dem man sogar in Oberschlesien spricht, auch etwas auf
die Bauern und Arbeitnehmer abgefärbt. Kaum eine andere Gegend in
Deutschland wird es geben, in der sich simple Arbeiter Jndustriepapiere kaufen.
Bei uns aber erlebt es der Bankier täglich, daß Oberhäuer und Puddler,
Wettermeister und Steiger sich eine Bismarckhütte- oder Donnersmarkhtttteaktie
kaufen und das Steigen des Papiers verfolgen, um es nach einiger Zeit wieder
mit Gewinn abzustoßen. Der Bauer in dem Jndustriebezirk, der ein Stückchen
Land an der Chaussee besitzt, kommt auf die Idee, dieses trägt dir mehr, wenn
du ein Haus darauf baust, als wenn du es mühsam beackerst. An den Hand¬
werker treten in dem geschäftlich regen Jndustriebezirk Aufträge heran, deren
Materialbeschaffung seine Geldmittel übersteigen. Auch auf den Kleinkaufmann
und Gewerbetreibenden geht etwas von der Siedehitze, in der das geschäftliche
Leben Oberschlesiens pulsiert, über. So sitzt er nicht wie der Krämer der
Kleinstadt und wartet, bis die Kunden zu ihm kommen, sondern in kauf¬
männischer Betriebsamkeit ist er bemüht, durch Reklame, glänzenderes Geschäfts¬
lokal und sonstige Anziehungsmittel die Kundschaft an sich zu locken. Sie alle
brauchen also für die Art, wie sie ihre Geschäfte betreiben und wirtschaftliche
Unternehmungen anfangen wollen, Kredit, und sie sind auf diesen mehr denn
anderwärts angewiesen, da wir in Oberschlesien keinen Bürgerstand haben, der
bereits vom Vater und Großvater ein behagliches Vermögen ererbt hat, das er
als Betriebskapital verwenden könnte. Nichts ist darum irriger als die in
Berliner Regierungskreiseu noch vielfach vertretene Ansicht, daß Oberschlesien
mit Kredit gesättigt sei und weiterer Geldmittel gar nicht bedürfe. Im Gegen¬
teil, es kann vorläufig noch gar nicht genug Geld nach Oberschlestcn gebracht werden!



") Des Näheren vgl, über diesen Vorstoß der Polenbankcn und seine Gefahren nieinen
Artikel in Ur. 178 der „Schlesischen Zeitung" von, t2, März 1909.
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[0334] Die polnischen volksbankcn in Vberschlcsien licherweise das Recht eigener Revisoren zugestanden hat. So darf man wohl die bestimmte Erwartung aussprechen, daß dieser Antrag der oberschlesischen Polenbanken abgelehnt werden wird. Die gesetzliche Handhabe hierzu bietet der § 55 des Genossenschaftsgesetzes*). Nachdem wir so den Aufbau der polnischen Banken und ihre Kreditpolitik kennen gelernt haben, können wir nun an die Untersuchung der Frage herantreten, welchen Einfluß üben sie auf die Polonisierung Ober¬ schlesiens aus. Das Oberschlesien zwischen Malapane und Przemsa, in dein 1848 Virchow noch den Hungertyphus feststellte, hat in den sechzig Jahren seit dieser Zeit an Kultur und Wohlhabenheit eine ungeahnte und außergewöhnlich schnelle Entwickelung durchgemacht. Durch die Auffindung und Förderung der reichen Kohlen- und Erzschätze ist nicht allein eine wirtschaftliche Oberschicht bereichert worden, haben sich nicht allein die Löhne der oberschlesischen Arbeiter stark gehoben, sondern es ist von dem Spekulationsgeist der Oberschicht, von dem Amerikanismus, von dem man sogar in Oberschlesien spricht, auch etwas auf die Bauern und Arbeitnehmer abgefärbt. Kaum eine andere Gegend in Deutschland wird es geben, in der sich simple Arbeiter Jndustriepapiere kaufen. Bei uns aber erlebt es der Bankier täglich, daß Oberhäuer und Puddler, Wettermeister und Steiger sich eine Bismarckhütte- oder Donnersmarkhtttteaktie kaufen und das Steigen des Papiers verfolgen, um es nach einiger Zeit wieder mit Gewinn abzustoßen. Der Bauer in dem Jndustriebezirk, der ein Stückchen Land an der Chaussee besitzt, kommt auf die Idee, dieses trägt dir mehr, wenn du ein Haus darauf baust, als wenn du es mühsam beackerst. An den Hand¬ werker treten in dem geschäftlich regen Jndustriebezirk Aufträge heran, deren Materialbeschaffung seine Geldmittel übersteigen. Auch auf den Kleinkaufmann und Gewerbetreibenden geht etwas von der Siedehitze, in der das geschäftliche Leben Oberschlesiens pulsiert, über. So sitzt er nicht wie der Krämer der Kleinstadt und wartet, bis die Kunden zu ihm kommen, sondern in kauf¬ männischer Betriebsamkeit ist er bemüht, durch Reklame, glänzenderes Geschäfts¬ lokal und sonstige Anziehungsmittel die Kundschaft an sich zu locken. Sie alle brauchen also für die Art, wie sie ihre Geschäfte betreiben und wirtschaftliche Unternehmungen anfangen wollen, Kredit, und sie sind auf diesen mehr denn anderwärts angewiesen, da wir in Oberschlesien keinen Bürgerstand haben, der bereits vom Vater und Großvater ein behagliches Vermögen ererbt hat, das er als Betriebskapital verwenden könnte. Nichts ist darum irriger als die in Berliner Regierungskreiseu noch vielfach vertretene Ansicht, daß Oberschlesien mit Kredit gesättigt sei und weiterer Geldmittel gar nicht bedürfe. Im Gegen¬ teil, es kann vorläufig noch gar nicht genug Geld nach Oberschlestcn gebracht werden! ") Des Näheren vgl, über diesen Vorstoß der Polenbankcn und seine Gefahren nieinen Artikel in Ur. 178 der „Schlesischen Zeitung" von, t2, März 1909.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/334>, abgerufen am 26.06.2024.