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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Das Uastensystem Indiens, sein Wesen und seine Bekämpfung

Familie, dem Staat zu nützen sucht. Der Bund rechnet mit den Tatsachen:
die Hälfte aller erwachsenen deutschen Frauen findet nicht mehr Arbeit und Brot
im Hause; es ist ihnen also damit nicht geholfen, daß wir sagen, die Frau
gehört ins Haus. Die Aufgabe des Bundes wie aller einsichtigen Frauen und
Männer besteht also darin, diesen Tatsachen Rechnung zu tragen und eine
Lösung zu finden, die Frau, Mann, Kind, Haus, Gemeinde, Staat und Mensch¬
heit nicht nur nicht schädigt, sondern fördert. Und somit ist die Frauenbewegung
eine unvermeidliche und eine gemeinnützige Bewegung, gegen die des einzelnen
Widerstand aussichtslos und machtlos ist.




Das Aastensystem Indiens,
sein Wesen und seine Bekämpfung
von Dr. Freiherr von Mackay

!me der größten Seltsamkeiten auf der Schaubühne der Welt¬
geschichte ist zweifellos die jahrhundertlang ungebrochen aufrecht
erhaltene Herrschaft der kleinen Schar britischer Eroberer über
das Indische Reich mit seinen dreihundert Millionen Einwohnern.
^Als nach dem Boxeraufstand der Gedanke einer Aufteilung
Chinas unter die Westmächte auftauchte, erkannte man in den europäischen
Kabinetten das Utopistischc eines solchen Plans sehr bald, und doch war damals
das Reich der Mitte militärisch ebenso schwach und politisch ebensowenig
zentralisiert wie das Reich des Brcchmcmentums zur Zeit, da England in ihm
festen Fuß faßte. Das Abendland sah sehr wohl ein, daß keine noch so große
militärische Macht auf die Dauer imstande sein würde, dem Unwillen und dem
Druck der chinesischen Volksmassen zu widerstehen, und begnügte sich daher
bescheiden zur Sicherung der europäischen Kultur- und Wirtschaftsinteressen mit
ein paar kleinen, leichter zu verteidigenden Außenposten am Meer. Der Erfolg
der britischen Herrenpolitik am Indus und Ganges wird meist seiner klug
angewandten Diplomatie des "viviäe et impers!" zugeschrieben, worunter man
das Ausspielen der Gegensätze zwischen der Hinduistischen Mehrheit und der
mohammedanischen Minderheit versteht. Daß diese Motivierung ganz ungenügend
ist, geht schon daraus hervor, daß jene Taktik erst jüngeren Datums, mit klarem
Zielbewußtsein im Grunde erst von Lord Curzon angewandt worden ist. Die
eigentliche Wurzel der politischen Ohnmacht Indiens ist vielmehr unzweifelhaft
das Kastenwesen. Kämmel, der treffliche Schilderer der sozialen Verhältnisse
des Landes, meint, der Durchschnittsinder werde auf die Frage nach seiner


Das Uastensystem Indiens, sein Wesen und seine Bekämpfung

Familie, dem Staat zu nützen sucht. Der Bund rechnet mit den Tatsachen:
die Hälfte aller erwachsenen deutschen Frauen findet nicht mehr Arbeit und Brot
im Hause; es ist ihnen also damit nicht geholfen, daß wir sagen, die Frau
gehört ins Haus. Die Aufgabe des Bundes wie aller einsichtigen Frauen und
Männer besteht also darin, diesen Tatsachen Rechnung zu tragen und eine
Lösung zu finden, die Frau, Mann, Kind, Haus, Gemeinde, Staat und Mensch¬
heit nicht nur nicht schädigt, sondern fördert. Und somit ist die Frauenbewegung
eine unvermeidliche und eine gemeinnützige Bewegung, gegen die des einzelnen
Widerstand aussichtslos und machtlos ist.




Das Aastensystem Indiens,
sein Wesen und seine Bekämpfung
von Dr. Freiherr von Mackay

!me der größten Seltsamkeiten auf der Schaubühne der Welt¬
geschichte ist zweifellos die jahrhundertlang ungebrochen aufrecht
erhaltene Herrschaft der kleinen Schar britischer Eroberer über
das Indische Reich mit seinen dreihundert Millionen Einwohnern.
^Als nach dem Boxeraufstand der Gedanke einer Aufteilung
Chinas unter die Westmächte auftauchte, erkannte man in den europäischen
Kabinetten das Utopistischc eines solchen Plans sehr bald, und doch war damals
das Reich der Mitte militärisch ebenso schwach und politisch ebensowenig
zentralisiert wie das Reich des Brcchmcmentums zur Zeit, da England in ihm
festen Fuß faßte. Das Abendland sah sehr wohl ein, daß keine noch so große
militärische Macht auf die Dauer imstande sein würde, dem Unwillen und dem
Druck der chinesischen Volksmassen zu widerstehen, und begnügte sich daher
bescheiden zur Sicherung der europäischen Kultur- und Wirtschaftsinteressen mit
ein paar kleinen, leichter zu verteidigenden Außenposten am Meer. Der Erfolg
der britischen Herrenpolitik am Indus und Ganges wird meist seiner klug
angewandten Diplomatie des „viviäe et impers!" zugeschrieben, worunter man
das Ausspielen der Gegensätze zwischen der Hinduistischen Mehrheit und der
mohammedanischen Minderheit versteht. Daß diese Motivierung ganz ungenügend
ist, geht schon daraus hervor, daß jene Taktik erst jüngeren Datums, mit klarem
Zielbewußtsein im Grunde erst von Lord Curzon angewandt worden ist. Die
eigentliche Wurzel der politischen Ohnmacht Indiens ist vielmehr unzweifelhaft
das Kastenwesen. Kämmel, der treffliche Schilderer der sozialen Verhältnisse
des Landes, meint, der Durchschnittsinder werde auf die Frage nach seiner


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[0268] Das Uastensystem Indiens, sein Wesen und seine Bekämpfung Familie, dem Staat zu nützen sucht. Der Bund rechnet mit den Tatsachen: die Hälfte aller erwachsenen deutschen Frauen findet nicht mehr Arbeit und Brot im Hause; es ist ihnen also damit nicht geholfen, daß wir sagen, die Frau gehört ins Haus. Die Aufgabe des Bundes wie aller einsichtigen Frauen und Männer besteht also darin, diesen Tatsachen Rechnung zu tragen und eine Lösung zu finden, die Frau, Mann, Kind, Haus, Gemeinde, Staat und Mensch¬ heit nicht nur nicht schädigt, sondern fördert. Und somit ist die Frauenbewegung eine unvermeidliche und eine gemeinnützige Bewegung, gegen die des einzelnen Widerstand aussichtslos und machtlos ist. Das Aastensystem Indiens, sein Wesen und seine Bekämpfung von Dr. Freiherr von Mackay !me der größten Seltsamkeiten auf der Schaubühne der Welt¬ geschichte ist zweifellos die jahrhundertlang ungebrochen aufrecht erhaltene Herrschaft der kleinen Schar britischer Eroberer über das Indische Reich mit seinen dreihundert Millionen Einwohnern. ^Als nach dem Boxeraufstand der Gedanke einer Aufteilung Chinas unter die Westmächte auftauchte, erkannte man in den europäischen Kabinetten das Utopistischc eines solchen Plans sehr bald, und doch war damals das Reich der Mitte militärisch ebenso schwach und politisch ebensowenig zentralisiert wie das Reich des Brcchmcmentums zur Zeit, da England in ihm festen Fuß faßte. Das Abendland sah sehr wohl ein, daß keine noch so große militärische Macht auf die Dauer imstande sein würde, dem Unwillen und dem Druck der chinesischen Volksmassen zu widerstehen, und begnügte sich daher bescheiden zur Sicherung der europäischen Kultur- und Wirtschaftsinteressen mit ein paar kleinen, leichter zu verteidigenden Außenposten am Meer. Der Erfolg der britischen Herrenpolitik am Indus und Ganges wird meist seiner klug angewandten Diplomatie des „viviäe et impers!" zugeschrieben, worunter man das Ausspielen der Gegensätze zwischen der Hinduistischen Mehrheit und der mohammedanischen Minderheit versteht. Daß diese Motivierung ganz ungenügend ist, geht schon daraus hervor, daß jene Taktik erst jüngeren Datums, mit klarem Zielbewußtsein im Grunde erst von Lord Curzon angewandt worden ist. Die eigentliche Wurzel der politischen Ohnmacht Indiens ist vielmehr unzweifelhaft das Kastenwesen. Kämmel, der treffliche Schilderer der sozialen Verhältnisse des Landes, meint, der Durchschnittsinder werde auf die Frage nach seiner

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/268>, abgerufen am 26.06.2024.