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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Der praktische Nutzen der Kauenbewegung
von Dr. Aäthc Schirmachcr-

I er die Notwendigkeit einer Bewegung erkennt, vermag sie nicht mehr
völlig abzulehnen. Sie mag ihm sympathisch oder unsympathisch
sein, läßt sich aber nicht mehr von der Hand weisen. Gehört
die Frauenbewegung zu diesen notwendigen Bewegungen, mit
denen man sich rivlens voler8 abfinden muß? Hat sie einen
deutlich sichtbaren Interessentenkreis? Erfüllt sie dessen Forderungen? Wirkt
sie darüber hinaus allgemein nützlich? Hat sie einen praktischen Nutzen?

Die organisierte Frauenbewegung begann am Ende des achtzehnten Jahr¬
hunderts in den Vereinigten Staaten, zur Zeit des amerikanischen Unabhängigkeits¬
krieges. Sie entstand in Deutschland im Jahre 1865, zur Zeit der beginnenden
Großindustrie. Damals gründeten Luise Otto-Peters und Auguste Schmidt in
Leipzig den Allgemeinen deutschen Frauenverein. Sie gründeten ihn
am Jahrestag der Schlacht von Leipzig, denn sie standen für Freiheit und
Vaterland. Beide Frauen, sowie ihre Mitarbeiterinnen, Ottilie von Steyber,
Henriette Goldschmidt, Lina Morgenstern, Marie Cain u. a. in., gehörten
den bürgerlichen Kreisen an, waren teils Hausfrauen, wie die bedeutende Luise
Otto-Peters, teils außerhäuslich erwerbende Frauen, wie Auguste Schmidt,
die Lehrerin war und später eine große Mädchenschule mit Seminar leitete.

Da der Lehrberuf damals die fast einzige Laufbahn für gebildete Mädchen
war, Vorbildung und Aussichten darin aber gleich mangelhaft, richteten die
deutschen Frauenrechtlerinnen ihr Verlangen in erster Linie auf Verbesserung der
Mädchenbildung. Frau Loeper-Housselle und Fräulein Helene Lange
griffen fünfzehn bis zwanzig Jahre später hier fördernd ein. Frau Ketteler
war es, die, den Verein Frauenstudium gründend, auch das erste deutsche
Mädchengymnasium, in Karlsruhe, ins Leben rief. Seit jener Zeit vermehrten
sich in allen Teilen Deutschlands die Bildungsanstalten für Frauen -- Real¬
kurse, Gymnasialkurse, Mädchengymnasien, Oberlehrerinnenkurse, Zulassung von
Hörerinnen zu den Universitäten usw. Hand in Hand damit ging die Berufs¬
organisation der Lehrerinnen im Allgemeinen deutschen Lehrerinnen¬
verein und in den verschieden-staatlichen Volksschullehrerinnenvereinen.




Der praktische Nutzen der Kauenbewegung
von Dr. Aäthc Schirmachcr-

I er die Notwendigkeit einer Bewegung erkennt, vermag sie nicht mehr
völlig abzulehnen. Sie mag ihm sympathisch oder unsympathisch
sein, läßt sich aber nicht mehr von der Hand weisen. Gehört
die Frauenbewegung zu diesen notwendigen Bewegungen, mit
denen man sich rivlens voler8 abfinden muß? Hat sie einen
deutlich sichtbaren Interessentenkreis? Erfüllt sie dessen Forderungen? Wirkt
sie darüber hinaus allgemein nützlich? Hat sie einen praktischen Nutzen?

Die organisierte Frauenbewegung begann am Ende des achtzehnten Jahr¬
hunderts in den Vereinigten Staaten, zur Zeit des amerikanischen Unabhängigkeits¬
krieges. Sie entstand in Deutschland im Jahre 1865, zur Zeit der beginnenden
Großindustrie. Damals gründeten Luise Otto-Peters und Auguste Schmidt in
Leipzig den Allgemeinen deutschen Frauenverein. Sie gründeten ihn
am Jahrestag der Schlacht von Leipzig, denn sie standen für Freiheit und
Vaterland. Beide Frauen, sowie ihre Mitarbeiterinnen, Ottilie von Steyber,
Henriette Goldschmidt, Lina Morgenstern, Marie Cain u. a. in., gehörten
den bürgerlichen Kreisen an, waren teils Hausfrauen, wie die bedeutende Luise
Otto-Peters, teils außerhäuslich erwerbende Frauen, wie Auguste Schmidt,
die Lehrerin war und später eine große Mädchenschule mit Seminar leitete.

Da der Lehrberuf damals die fast einzige Laufbahn für gebildete Mädchen
war, Vorbildung und Aussichten darin aber gleich mangelhaft, richteten die
deutschen Frauenrechtlerinnen ihr Verlangen in erster Linie auf Verbesserung der
Mädchenbildung. Frau Loeper-Housselle und Fräulein Helene Lange
griffen fünfzehn bis zwanzig Jahre später hier fördernd ein. Frau Ketteler
war es, die, den Verein Frauenstudium gründend, auch das erste deutsche
Mädchengymnasium, in Karlsruhe, ins Leben rief. Seit jener Zeit vermehrten
sich in allen Teilen Deutschlands die Bildungsanstalten für Frauen — Real¬
kurse, Gymnasialkurse, Mädchengymnasien, Oberlehrerinnenkurse, Zulassung von
Hörerinnen zu den Universitäten usw. Hand in Hand damit ging die Berufs¬
organisation der Lehrerinnen im Allgemeinen deutschen Lehrerinnen¬
verein und in den verschieden-staatlichen Volksschullehrerinnenvereinen.


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[0263] [Abbildung] Der praktische Nutzen der Kauenbewegung von Dr. Aäthc Schirmachcr- I er die Notwendigkeit einer Bewegung erkennt, vermag sie nicht mehr völlig abzulehnen. Sie mag ihm sympathisch oder unsympathisch sein, läßt sich aber nicht mehr von der Hand weisen. Gehört die Frauenbewegung zu diesen notwendigen Bewegungen, mit denen man sich rivlens voler8 abfinden muß? Hat sie einen deutlich sichtbaren Interessentenkreis? Erfüllt sie dessen Forderungen? Wirkt sie darüber hinaus allgemein nützlich? Hat sie einen praktischen Nutzen? Die organisierte Frauenbewegung begann am Ende des achtzehnten Jahr¬ hunderts in den Vereinigten Staaten, zur Zeit des amerikanischen Unabhängigkeits¬ krieges. Sie entstand in Deutschland im Jahre 1865, zur Zeit der beginnenden Großindustrie. Damals gründeten Luise Otto-Peters und Auguste Schmidt in Leipzig den Allgemeinen deutschen Frauenverein. Sie gründeten ihn am Jahrestag der Schlacht von Leipzig, denn sie standen für Freiheit und Vaterland. Beide Frauen, sowie ihre Mitarbeiterinnen, Ottilie von Steyber, Henriette Goldschmidt, Lina Morgenstern, Marie Cain u. a. in., gehörten den bürgerlichen Kreisen an, waren teils Hausfrauen, wie die bedeutende Luise Otto-Peters, teils außerhäuslich erwerbende Frauen, wie Auguste Schmidt, die Lehrerin war und später eine große Mädchenschule mit Seminar leitete. Da der Lehrberuf damals die fast einzige Laufbahn für gebildete Mädchen war, Vorbildung und Aussichten darin aber gleich mangelhaft, richteten die deutschen Frauenrechtlerinnen ihr Verlangen in erster Linie auf Verbesserung der Mädchenbildung. Frau Loeper-Housselle und Fräulein Helene Lange griffen fünfzehn bis zwanzig Jahre später hier fördernd ein. Frau Ketteler war es, die, den Verein Frauenstudium gründend, auch das erste deutsche Mädchengymnasium, in Karlsruhe, ins Leben rief. Seit jener Zeit vermehrten sich in allen Teilen Deutschlands die Bildungsanstalten für Frauen — Real¬ kurse, Gymnasialkurse, Mädchengymnasien, Oberlehrerinnenkurse, Zulassung von Hörerinnen zu den Universitäten usw. Hand in Hand damit ging die Berufs¬ organisation der Lehrerinnen im Allgemeinen deutschen Lehrerinnen¬ verein und in den verschieden-staatlichen Volksschullehrerinnenvereinen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/263>, abgerufen am 26.06.2024.