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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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T>le polnischen Volksbanken in Vbevschlesien

bei lässiger Geschäftsführung jahrelang im Portefeuille liegen und völlig vergessen
werden können, und ein Nachteil ist, daß sie mangels sofortigen Feststehens des
Fälligkeitstages nicht zur Kreditbeschaffung in Umlauf gesetzt werden können wie
die Kreditwechsel der deutschen Genossenschaftsbanken. Aber diesen Nachteil
empfinden die Polen nicht, da sie ihren Geldbedarf für Darlehenszwecke aus ihren
Depositen decken können, und nicht nötig haben, wie viele der deutschen
Genossenschaftsbanken, sich durch Diskontierung von Wechseln Geld zu
verschaffen.

Für die Höhe des Kredits ist der oben betonte Gesichtspunkt der Polen¬
banken als Kampfbanken von entscheidenden Einfluß. Im deutschen Genossen¬
schaftswesen hat sich die Regel herausgebildet, einem einzelnen Genossen keinen
höheren Kredit zu gewähren, als der Reservefonds der Genossenschaft
beträgt. Es soll eben durch den Verlust bei dem einzelnen Schuldner nicht
unter Umständen die ganze Genossenschaft erschüttert werden.

Die Polen kehren sich an diesen Grundsatz nicht und können sich auch
nicht daran kehren. Einmal sind die Reservefonds der polnischen Genossenschaften
zum Teil so gering, daß diese Kreditgrenze wirtschaftlich unbrauchbar ist, zum
zweiten aber sind die Genossenschaften die einzige Kreditorganisation des polnischen
Gemeinwesens. Der Deutsche, der größere Kapitalien braucht, den können
die deutschen Genossenschaften an Kreditbanken, Hypothekenbanken, Privatbankiers
und Sparkassen verweisen. Das polnische Gemeinwesen ermangelt aller dieser
Geldgeberschichten. Es hat einzig seine Genossenschaften; so müssen sie überall
in die Bresche treten, wo Kredit für Polen und polnische Zwecke gebraucht wird,
und können oft nicht nach dem Prinzip einer soliden Geschäftsführung fragen.
Von welchen:, durch Mißerfolge nicht zu erschütternden Optimismus sie erfüllt
sind, davon gibt ein interessantes Beispiel die diesjährige Generalversammlung
der Bank Ludowv in Siemanowitz. In dieser wird ein Verlust der Bank aus
dem letzten Geschäftsjahr in Höhe von 76000 Mark mitgeteilt (bei einem eigenen
Vermögen der Bank von nicht 6000 Mark), gleichzeitig beschließt die General¬
versammlung aber, einzelnen Genossen Darlehen nur bis zurHöhe von 100000 Mark
zu geben. Daß dies nicht etwa eine Farce ist, dagegen sprechen die Depositen
der Bank, die fast 1 Million Mark erreicht haben. (Ein anderer Gedanke drängt
sich einem aber bei solcher Geschäftsgebarung auf: In Berlin tagt noch immer
die Bank-Enquete-Kommisston. Sie erwägt unter anderem die Regelung des
Depositenwesens. Wird sie nicht doch das von den deutschen Genossenschaften
als solide erprobte Prinzip, daß keine Beleihung den Reservefonds überschreite,
zum Gesetz erheben, wird sie nicht das zulässige Verhältnis zwischen Kapital
und Depositen bei den Genossenschaften im Interesse der Sicherheit der Depositen¬
gläubiger regeln und wird sie nicht einen gesetzlichen Zwang schaffen, daß ein
Teil des Reservefonds in Staats- oder wenigstens in Reichsbank-lombardfähigen
Wertpapieren angelegt werde? Solche schreienden Mißverhältnisse, wie sie bei
vielen polnischen Banken zwischen Kapital und Depositen bestehen, sind, von


T>le polnischen Volksbanken in Vbevschlesien

bei lässiger Geschäftsführung jahrelang im Portefeuille liegen und völlig vergessen
werden können, und ein Nachteil ist, daß sie mangels sofortigen Feststehens des
Fälligkeitstages nicht zur Kreditbeschaffung in Umlauf gesetzt werden können wie
die Kreditwechsel der deutschen Genossenschaftsbanken. Aber diesen Nachteil
empfinden die Polen nicht, da sie ihren Geldbedarf für Darlehenszwecke aus ihren
Depositen decken können, und nicht nötig haben, wie viele der deutschen
Genossenschaftsbanken, sich durch Diskontierung von Wechseln Geld zu
verschaffen.

Für die Höhe des Kredits ist der oben betonte Gesichtspunkt der Polen¬
banken als Kampfbanken von entscheidenden Einfluß. Im deutschen Genossen¬
schaftswesen hat sich die Regel herausgebildet, einem einzelnen Genossen keinen
höheren Kredit zu gewähren, als der Reservefonds der Genossenschaft
beträgt. Es soll eben durch den Verlust bei dem einzelnen Schuldner nicht
unter Umständen die ganze Genossenschaft erschüttert werden.

Die Polen kehren sich an diesen Grundsatz nicht und können sich auch
nicht daran kehren. Einmal sind die Reservefonds der polnischen Genossenschaften
zum Teil so gering, daß diese Kreditgrenze wirtschaftlich unbrauchbar ist, zum
zweiten aber sind die Genossenschaften die einzige Kreditorganisation des polnischen
Gemeinwesens. Der Deutsche, der größere Kapitalien braucht, den können
die deutschen Genossenschaften an Kreditbanken, Hypothekenbanken, Privatbankiers
und Sparkassen verweisen. Das polnische Gemeinwesen ermangelt aller dieser
Geldgeberschichten. Es hat einzig seine Genossenschaften; so müssen sie überall
in die Bresche treten, wo Kredit für Polen und polnische Zwecke gebraucht wird,
und können oft nicht nach dem Prinzip einer soliden Geschäftsführung fragen.
Von welchen:, durch Mißerfolge nicht zu erschütternden Optimismus sie erfüllt
sind, davon gibt ein interessantes Beispiel die diesjährige Generalversammlung
der Bank Ludowv in Siemanowitz. In dieser wird ein Verlust der Bank aus
dem letzten Geschäftsjahr in Höhe von 76000 Mark mitgeteilt (bei einem eigenen
Vermögen der Bank von nicht 6000 Mark), gleichzeitig beschließt die General¬
versammlung aber, einzelnen Genossen Darlehen nur bis zurHöhe von 100000 Mark
zu geben. Daß dies nicht etwa eine Farce ist, dagegen sprechen die Depositen
der Bank, die fast 1 Million Mark erreicht haben. (Ein anderer Gedanke drängt
sich einem aber bei solcher Geschäftsgebarung auf: In Berlin tagt noch immer
die Bank-Enquete-Kommisston. Sie erwägt unter anderem die Regelung des
Depositenwesens. Wird sie nicht doch das von den deutschen Genossenschaften
als solide erprobte Prinzip, daß keine Beleihung den Reservefonds überschreite,
zum Gesetz erheben, wird sie nicht das zulässige Verhältnis zwischen Kapital
und Depositen bei den Genossenschaften im Interesse der Sicherheit der Depositen¬
gläubiger regeln und wird sie nicht einen gesetzlichen Zwang schaffen, daß ein
Teil des Reservefonds in Staats- oder wenigstens in Reichsbank-lombardfähigen
Wertpapieren angelegt werde? Solche schreienden Mißverhältnisse, wie sie bei
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/260>, abgerufen am 26.06.2024.