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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Im Kampf gegen die Übermacht

die vermessensten, Worte reden, die Sünde als Schönheit und Recht preisen, seine
Reue verdammen, . . . Ja, sie lehnte sich vor seinen Angen auf als wilde Heidin,
die die Gebote des Herrn nicht kannte.

Und dies war sein Werk, das Werk des Pfarrers, deS Dieners des Herrn.

Mit ihr reden! Ja, er hatte geredet. In Wahnsinn und Geistesverwirrung
hatte er ihre Seele erschreckt. Und sie kam so still zu ihm und sagte, sie wolle
von ihm gehen, denn sie sähe, daß sie ihm ein Leid zufügte. So schön und so
still hatte sie es zu ihm gesagt -- und ihn dadurch tiefer gedemütigt, als sie auch
nur ahnen konnte.

Er sollte sie gehen lassen -- verführt und geschändet von ihm sollte sie zu
den Ihren zurückkehren. Nachdem sie alle ihre guten Werke an ihm geübt hatte,
der sie so schlecht dafür lohnte! . . .

Und sein ermatteter, gehetzter, gequälter Gedanke stand wieder und wieder
still vor dem unumgänglichen Abschluß:

Er mußte Thorborg heiraten.

Es gab keine Grenze für sein Grauen.

Denn er wußte, wenn er Thorborg heiratete -- falls nicht der Herr sie
vorher durch ein Wunder umwandelte, sie und ihn selber --, da verpflichtete er
sich für sein Leben dem Satan, dem übermächtigen Feind seiner Seele und seiner
Seligkeit -- der Sünde in seinem Fleisch.

Denn das wußte Sören Römer jetzt, er war sein ganzes Leben lang mit
gefesselten wilden Tieren in seinen schlummernden Sinnen umhergegangen.

Er wußte das immer klarer mit jedem Mal, das er in den Pfarrhof und
zu ihr zurückkehrte -- und seine Todesangst und seine Seelenqual in ihren
Armen war groß.




An einem Tag im Januar kam er zu ihr in die Wohnstube hinein.

Sie sah müde ans und trank. Aber sie legte ihre Arbeit nieder und lächelte
ihm zu. Es war Sonnabend und sie hatte ihn nicht erwartet, da er mit seiner
Predigt im Studierzimmer beschäftigt war.

"Bist du fertig?" fragte sie.

Er aniwortete nicht. Er setzte sich ihr gegenüber und sagte schließlich, ohne
sie anzusehen:

"Thorborg! Ich habe eben an den Pfarrer in Nyborg geschrieben, ob er
kommen und uns trollen will."

Sie wurde dunkelrot und sah ihn an. Dann, barg sie das Gesicht in beiden
Händen und flüsterte:

"Nein -- nein! Wozu denn das? Wozu denn das?"

Er wandte sich heftig um.

"Wozu -- ?"

Als er aber sah, daß sie vor Weinen bebte, hielt er inne. Endlich streckte
er die Hand über den Tisch aus und sagte freundlich und mit einem Lächeln:

"Thorborg! Willst du denn nicht--?"

Sie nahm die Hände vom Gesicht und sah ihn durch Trauen an:

"Es hat wohl nichts gegeben, was ich lieber gewollt hätte, als deine Fran
werde", Sören Römer. Aber jetzt fürchte ich mich. Schließlich --"

"Schließlich?"

"Ja, dit hast meinen Mut geknickt -- glaube ich. Schließlich. Ich habe
solange gehofft und gewartet. . ."

"Worauf hast du gewartet?"


Im Kampf gegen die Übermacht

die vermessensten, Worte reden, die Sünde als Schönheit und Recht preisen, seine
Reue verdammen, . . . Ja, sie lehnte sich vor seinen Angen auf als wilde Heidin,
die die Gebote des Herrn nicht kannte.

Und dies war sein Werk, das Werk des Pfarrers, deS Dieners des Herrn.

Mit ihr reden! Ja, er hatte geredet. In Wahnsinn und Geistesverwirrung
hatte er ihre Seele erschreckt. Und sie kam so still zu ihm und sagte, sie wolle
von ihm gehen, denn sie sähe, daß sie ihm ein Leid zufügte. So schön und so
still hatte sie es zu ihm gesagt — und ihn dadurch tiefer gedemütigt, als sie auch
nur ahnen konnte.

Er sollte sie gehen lassen — verführt und geschändet von ihm sollte sie zu
den Ihren zurückkehren. Nachdem sie alle ihre guten Werke an ihm geübt hatte,
der sie so schlecht dafür lohnte! . . .

Und sein ermatteter, gehetzter, gequälter Gedanke stand wieder und wieder
still vor dem unumgänglichen Abschluß:

Er mußte Thorborg heiraten.

Es gab keine Grenze für sein Grauen.

Denn er wußte, wenn er Thorborg heiratete — falls nicht der Herr sie
vorher durch ein Wunder umwandelte, sie und ihn selber —, da verpflichtete er
sich für sein Leben dem Satan, dem übermächtigen Feind seiner Seele und seiner
Seligkeit — der Sünde in seinem Fleisch.

Denn das wußte Sören Römer jetzt, er war sein ganzes Leben lang mit
gefesselten wilden Tieren in seinen schlummernden Sinnen umhergegangen.

Er wußte das immer klarer mit jedem Mal, das er in den Pfarrhof und
zu ihr zurückkehrte — und seine Todesangst und seine Seelenqual in ihren
Armen war groß.




An einem Tag im Januar kam er zu ihr in die Wohnstube hinein.

Sie sah müde ans und trank. Aber sie legte ihre Arbeit nieder und lächelte
ihm zu. Es war Sonnabend und sie hatte ihn nicht erwartet, da er mit seiner
Predigt im Studierzimmer beschäftigt war.

„Bist du fertig?" fragte sie.

Er aniwortete nicht. Er setzte sich ihr gegenüber und sagte schließlich, ohne
sie anzusehen:

„Thorborg! Ich habe eben an den Pfarrer in Nyborg geschrieben, ob er
kommen und uns trollen will."

Sie wurde dunkelrot und sah ihn an. Dann, barg sie das Gesicht in beiden
Händen und flüsterte:

„Nein — nein! Wozu denn das? Wozu denn das?"

Er wandte sich heftig um.

„Wozu — ?"

Als er aber sah, daß sie vor Weinen bebte, hielt er inne. Endlich streckte
er die Hand über den Tisch aus und sagte freundlich und mit einem Lächeln:

„Thorborg! Willst du denn nicht—?"

Sie nahm die Hände vom Gesicht und sah ihn durch Trauen an:

„Es hat wohl nichts gegeben, was ich lieber gewollt hätte, als deine Fran
werde», Sören Römer. Aber jetzt fürchte ich mich. Schließlich —"

„Schließlich?"

„Ja, dit hast meinen Mut geknickt — glaube ich. Schließlich. Ich habe
solange gehofft und gewartet. . ."

„Worauf hast du gewartet?"


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[0236] Im Kampf gegen die Übermacht die vermessensten, Worte reden, die Sünde als Schönheit und Recht preisen, seine Reue verdammen, . . . Ja, sie lehnte sich vor seinen Angen auf als wilde Heidin, die die Gebote des Herrn nicht kannte. Und dies war sein Werk, das Werk des Pfarrers, deS Dieners des Herrn. Mit ihr reden! Ja, er hatte geredet. In Wahnsinn und Geistesverwirrung hatte er ihre Seele erschreckt. Und sie kam so still zu ihm und sagte, sie wolle von ihm gehen, denn sie sähe, daß sie ihm ein Leid zufügte. So schön und so still hatte sie es zu ihm gesagt — und ihn dadurch tiefer gedemütigt, als sie auch nur ahnen konnte. Er sollte sie gehen lassen — verführt und geschändet von ihm sollte sie zu den Ihren zurückkehren. Nachdem sie alle ihre guten Werke an ihm geübt hatte, der sie so schlecht dafür lohnte! . . . Und sein ermatteter, gehetzter, gequälter Gedanke stand wieder und wieder still vor dem unumgänglichen Abschluß: Er mußte Thorborg heiraten. Es gab keine Grenze für sein Grauen. Denn er wußte, wenn er Thorborg heiratete — falls nicht der Herr sie vorher durch ein Wunder umwandelte, sie und ihn selber —, da verpflichtete er sich für sein Leben dem Satan, dem übermächtigen Feind seiner Seele und seiner Seligkeit — der Sünde in seinem Fleisch. Denn das wußte Sören Römer jetzt, er war sein ganzes Leben lang mit gefesselten wilden Tieren in seinen schlummernden Sinnen umhergegangen. Er wußte das immer klarer mit jedem Mal, das er in den Pfarrhof und zu ihr zurückkehrte — und seine Todesangst und seine Seelenqual in ihren Armen war groß. An einem Tag im Januar kam er zu ihr in die Wohnstube hinein. Sie sah müde ans und trank. Aber sie legte ihre Arbeit nieder und lächelte ihm zu. Es war Sonnabend und sie hatte ihn nicht erwartet, da er mit seiner Predigt im Studierzimmer beschäftigt war. „Bist du fertig?" fragte sie. Er aniwortete nicht. Er setzte sich ihr gegenüber und sagte schließlich, ohne sie anzusehen: „Thorborg! Ich habe eben an den Pfarrer in Nyborg geschrieben, ob er kommen und uns trollen will." Sie wurde dunkelrot und sah ihn an. Dann, barg sie das Gesicht in beiden Händen und flüsterte: „Nein — nein! Wozu denn das? Wozu denn das?" Er wandte sich heftig um. „Wozu — ?" Als er aber sah, daß sie vor Weinen bebte, hielt er inne. Endlich streckte er die Hand über den Tisch aus und sagte freundlich und mit einem Lächeln: „Thorborg! Willst du denn nicht—?" Sie nahm die Hände vom Gesicht und sah ihn durch Trauen an: „Es hat wohl nichts gegeben, was ich lieber gewollt hätte, als deine Fran werde», Sören Römer. Aber jetzt fürchte ich mich. Schließlich —" „Schließlich?" „Ja, dit hast meinen Mut geknickt — glaube ich. Schließlich. Ich habe solange gehofft und gewartet. . ." „Worauf hast du gewartet?"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/236>, abgerufen am 29.06.2024.