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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Der Superlativ in der Aritik

Pulver im voraus verpufft und ernsthafte Leute glauben ihm seine durch
Mißbrauch entwerteten Anpreisungen nicht mehr. Und das ist so ziemlich das
Schlimmste, was ihm begegnen kann. Denn auch der Kritiker darf sich durch
seinen strengen Beruf nicht des schönen menschlichen Rechts der Begeisterungs¬
fähigkeit berauben lassen. Nur muß er davon sparsamen Gebrauch machen,
um in entscheidenden Augenblicken desto nachdrücklicher wirken zu können.

Rascher Enthusiasmus ist ein Privileg der Jugend. Daraus folgt, daß
große Jugendlichkeit keine Empfehlung für den Beruf des Kritikers ist. Wir
haben es schon häufig erlebt und erleben es fast täglich, wie das heißblutige
Naturell der Allzu-Jungen der Würde der Kritik Schaden zufügt. Doppelt
gefährlich ist es, wenn so ein kritisches Temperament, das keine rechte Gelegen¬
heit hat, sich auszutoben, endlich einmal auf seine Beute losgelassen wird. Es
gibt nicht nur Sonntagsreiter, sondern auch Sonntagsrezensenten. Sie treten
in die Lücke, wenn die ständigen Berichterstatter erkrankt, beurlaubt oder sonstwie
verhindert sind, oder wenn diesen eine Sache zu geringfügig ist, um sich damit
zu befassen. Ihr Weizen blüht hauptsächlich in den Hundstagen. Manchmal
dürfen sie sogar Hintertreppenromane anzeigen. Im übrigen sind neben Varietös
oder Kinematographen Theater siebenten Rangs die Objekte, an denen sie ihren
Tatendrang kühlen. Alles was sich in ihrem Gemüt an unverbrauchter Begeisterung
angesammelt hat, alles was in ihrem Hirn an Superlativen aufgestapelt liegt,
wird nun mit der Verschwendung des in der Kleinstadt wohnenden Millionärs,
der nur einmal im Jahre sein Geld unter die Leute bringen kann, vergeudet.
Der Eingeweihte lächelt natürlich über solchen Übereifer, der über Vorstadt¬
komiker und Operettentenöre in Verzückungen gerät. Aber die naive Mehrzahl
des lesenden Publikums nimmt auch in diesen: Falle wieder alles für bare
Münze. Namentlich muß es verwirren, wenn in derselben Zeitung, vielleicht
sogar in derselben Nummer grundverschiedene Maßstäbe angelegt werden, und
man darf es den Laien nicht verübeln, wenn sie sich einbilden, daß eine kleine
Bühne, an der so ein Sonntagsrezensent alles herrlich findet, Besseres leiste als
eine große Kunstanstalt, die ein ernsthafter Kritiker im Hinblick auf die höchsten
Kunstideale beurteilt.

Vielfach sind die Überwertungen in Kunst und Literatur rein geschäftlicher
Natur, ersonnen vom Spekulationsgeist derer, die als Manager bei Künstlern
und Dichtern fungieren, also der Verleger, Kunsthändler usw. Damit kann die
Selbstreklame einträchtig Hand in Hand gehen, und meist fehlt es auch nicht
an guten Freunden oder Cliquenbrüdern, die mit vollen Backen in die Ruhmes-
posaune stoßen. Dazu gesellen sich die Bedürfnisse der illustrierten Wochen¬
schriften, die alle acht Tage ihrem Publikum ein halb Dutzend Berühmtheiten in
Wort und Bild vorführen müssen und solche aus eigener Vollmacht schaffen,
falls gerade keine allgemein anerkannten vorhanden sind.

Man weiß, wie das gemacht wird und was man davon zu halten hat.
Ungleich ernsthafter sind die Versuche zu nehmen, neue literarische Größen zu


Der Superlativ in der Aritik

Pulver im voraus verpufft und ernsthafte Leute glauben ihm seine durch
Mißbrauch entwerteten Anpreisungen nicht mehr. Und das ist so ziemlich das
Schlimmste, was ihm begegnen kann. Denn auch der Kritiker darf sich durch
seinen strengen Beruf nicht des schönen menschlichen Rechts der Begeisterungs¬
fähigkeit berauben lassen. Nur muß er davon sparsamen Gebrauch machen,
um in entscheidenden Augenblicken desto nachdrücklicher wirken zu können.

Rascher Enthusiasmus ist ein Privileg der Jugend. Daraus folgt, daß
große Jugendlichkeit keine Empfehlung für den Beruf des Kritikers ist. Wir
haben es schon häufig erlebt und erleben es fast täglich, wie das heißblutige
Naturell der Allzu-Jungen der Würde der Kritik Schaden zufügt. Doppelt
gefährlich ist es, wenn so ein kritisches Temperament, das keine rechte Gelegen¬
heit hat, sich auszutoben, endlich einmal auf seine Beute losgelassen wird. Es
gibt nicht nur Sonntagsreiter, sondern auch Sonntagsrezensenten. Sie treten
in die Lücke, wenn die ständigen Berichterstatter erkrankt, beurlaubt oder sonstwie
verhindert sind, oder wenn diesen eine Sache zu geringfügig ist, um sich damit
zu befassen. Ihr Weizen blüht hauptsächlich in den Hundstagen. Manchmal
dürfen sie sogar Hintertreppenromane anzeigen. Im übrigen sind neben Varietös
oder Kinematographen Theater siebenten Rangs die Objekte, an denen sie ihren
Tatendrang kühlen. Alles was sich in ihrem Gemüt an unverbrauchter Begeisterung
angesammelt hat, alles was in ihrem Hirn an Superlativen aufgestapelt liegt,
wird nun mit der Verschwendung des in der Kleinstadt wohnenden Millionärs,
der nur einmal im Jahre sein Geld unter die Leute bringen kann, vergeudet.
Der Eingeweihte lächelt natürlich über solchen Übereifer, der über Vorstadt¬
komiker und Operettentenöre in Verzückungen gerät. Aber die naive Mehrzahl
des lesenden Publikums nimmt auch in diesen: Falle wieder alles für bare
Münze. Namentlich muß es verwirren, wenn in derselben Zeitung, vielleicht
sogar in derselben Nummer grundverschiedene Maßstäbe angelegt werden, und
man darf es den Laien nicht verübeln, wenn sie sich einbilden, daß eine kleine
Bühne, an der so ein Sonntagsrezensent alles herrlich findet, Besseres leiste als
eine große Kunstanstalt, die ein ernsthafter Kritiker im Hinblick auf die höchsten
Kunstideale beurteilt.

Vielfach sind die Überwertungen in Kunst und Literatur rein geschäftlicher
Natur, ersonnen vom Spekulationsgeist derer, die als Manager bei Künstlern
und Dichtern fungieren, also der Verleger, Kunsthändler usw. Damit kann die
Selbstreklame einträchtig Hand in Hand gehen, und meist fehlt es auch nicht
an guten Freunden oder Cliquenbrüdern, die mit vollen Backen in die Ruhmes-
posaune stoßen. Dazu gesellen sich die Bedürfnisse der illustrierten Wochen¬
schriften, die alle acht Tage ihrem Publikum ein halb Dutzend Berühmtheiten in
Wort und Bild vorführen müssen und solche aus eigener Vollmacht schaffen,
falls gerade keine allgemein anerkannten vorhanden sind.

Man weiß, wie das gemacht wird und was man davon zu halten hat.
Ungleich ernsthafter sind die Versuche zu nehmen, neue literarische Größen zu


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[0214] Der Superlativ in der Aritik Pulver im voraus verpufft und ernsthafte Leute glauben ihm seine durch Mißbrauch entwerteten Anpreisungen nicht mehr. Und das ist so ziemlich das Schlimmste, was ihm begegnen kann. Denn auch der Kritiker darf sich durch seinen strengen Beruf nicht des schönen menschlichen Rechts der Begeisterungs¬ fähigkeit berauben lassen. Nur muß er davon sparsamen Gebrauch machen, um in entscheidenden Augenblicken desto nachdrücklicher wirken zu können. Rascher Enthusiasmus ist ein Privileg der Jugend. Daraus folgt, daß große Jugendlichkeit keine Empfehlung für den Beruf des Kritikers ist. Wir haben es schon häufig erlebt und erleben es fast täglich, wie das heißblutige Naturell der Allzu-Jungen der Würde der Kritik Schaden zufügt. Doppelt gefährlich ist es, wenn so ein kritisches Temperament, das keine rechte Gelegen¬ heit hat, sich auszutoben, endlich einmal auf seine Beute losgelassen wird. Es gibt nicht nur Sonntagsreiter, sondern auch Sonntagsrezensenten. Sie treten in die Lücke, wenn die ständigen Berichterstatter erkrankt, beurlaubt oder sonstwie verhindert sind, oder wenn diesen eine Sache zu geringfügig ist, um sich damit zu befassen. Ihr Weizen blüht hauptsächlich in den Hundstagen. Manchmal dürfen sie sogar Hintertreppenromane anzeigen. Im übrigen sind neben Varietös oder Kinematographen Theater siebenten Rangs die Objekte, an denen sie ihren Tatendrang kühlen. Alles was sich in ihrem Gemüt an unverbrauchter Begeisterung angesammelt hat, alles was in ihrem Hirn an Superlativen aufgestapelt liegt, wird nun mit der Verschwendung des in der Kleinstadt wohnenden Millionärs, der nur einmal im Jahre sein Geld unter die Leute bringen kann, vergeudet. Der Eingeweihte lächelt natürlich über solchen Übereifer, der über Vorstadt¬ komiker und Operettentenöre in Verzückungen gerät. Aber die naive Mehrzahl des lesenden Publikums nimmt auch in diesen: Falle wieder alles für bare Münze. Namentlich muß es verwirren, wenn in derselben Zeitung, vielleicht sogar in derselben Nummer grundverschiedene Maßstäbe angelegt werden, und man darf es den Laien nicht verübeln, wenn sie sich einbilden, daß eine kleine Bühne, an der so ein Sonntagsrezensent alles herrlich findet, Besseres leiste als eine große Kunstanstalt, die ein ernsthafter Kritiker im Hinblick auf die höchsten Kunstideale beurteilt. Vielfach sind die Überwertungen in Kunst und Literatur rein geschäftlicher Natur, ersonnen vom Spekulationsgeist derer, die als Manager bei Künstlern und Dichtern fungieren, also der Verleger, Kunsthändler usw. Damit kann die Selbstreklame einträchtig Hand in Hand gehen, und meist fehlt es auch nicht an guten Freunden oder Cliquenbrüdern, die mit vollen Backen in die Ruhmes- posaune stoßen. Dazu gesellen sich die Bedürfnisse der illustrierten Wochen¬ schriften, die alle acht Tage ihrem Publikum ein halb Dutzend Berühmtheiten in Wort und Bild vorführen müssen und solche aus eigener Vollmacht schaffen, falls gerade keine allgemein anerkannten vorhanden sind. Man weiß, wie das gemacht wird und was man davon zu halten hat. Ungleich ernsthafter sind die Versuche zu nehmen, neue literarische Größen zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/214>, abgerufen am 29.06.2024.