Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches Schriften, die nur einem kurzen Aufenthalt in der Union ihr Dasein verdanken Maßgebliches und Unmaßgebliches Schriften, die nur einem kurzen Aufenthalt in der Union ihr Dasein verdanken <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0194" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/315833"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_1104" prev="#ID_1103" next="#ID_1105"> Schriften, die nur einem kurzen Aufenthalt in der Union ihr Dasein verdanken<lb/> und über die Fixierung von mehr oder minder tiefgehenden Neiseeindrücken nicht<lb/> hinauskommen. Zu den ernst zu nehmenden Büchern gehört ohne Zweifel ein<lb/> jüngst erschienenes Werk von Dr. Junge „Amerikanische Wirtschafts¬<lb/> politik. Ihre ökonomischen Grundlagen, ihre sozialen Wirkungen und ihre<lb/> Lehren für die deutsche Volkswirtschaft." (Von Dr. Franz Erich Junge. Beratender<lb/> Ingenieur, New Jork. Berlin, Verlag von Julius Springer. 1910). Der<lb/> Verfasser hat das wirtschaftliche Leben Amerikas jahrelang aus der Nähe<lb/> gesehen und mit scharfen Augen verfolgt. Er verfügt über eine gute national¬<lb/> ökonomische Bildung und über einen fesselnden Stil, dessen Amerikanismen<lb/> nicht ohne originelle Wirkung sind. Was das Buch aber bor allem<lb/> auszeichnet, ist ein scharf ausgeprägtes Deutschempfinden, das den Verfasser<lb/> davor bewahrt, die heimischen Zustände neu erworbenen Eindrücken zuliebe<lb/> herabzusetzen. Das Buch ist vielmehr ein Beispiel dafür, wie Beobachter von<lb/> nationalem Sinn und gleichzeitig scharfer Intelligenz durch die Erfahrungen draußen<lb/> zu einer hohen Schätzung heimischer Einrichtungen und Leistungen geführt werden<lb/> und in bemerkenswerten Gegensatz zu dein Pessimismus treten, der bei uns in der<lb/> Beurteilung des eigenen Landes so weit um sich greift. Gerade für die ehrlichen<lb/> Pessimisten bei uns, die nach Stützen für eine freundlichere Betrachtung unserer<lb/> Zukunft suchen, kann dies Buch eine wahrhafte Aufrichtung sein. Nicht deswegen,<lb/> weil es die amerikanischen Zustände in einem weniger glänzenden Lichte zeigt,<lb/> als oberflächliche Schilderungen zu tun pflegen. Nicht, weil es die Begrenztheit<lb/> der Möglichkeiten auch dieses so reich ausgestattete!: Landes mit einen: tief ins<lb/> Detail gehenden Material belegt. Sondern weil es uns ans dem Vergleich unserer<lb/> eigenen Verhältnisse mit denen Amerikas zur Anschauung bringt, wo unsere Stärke<lb/> liegt und wie wenig wir Ursache zu Kleinmut haben. Das Jungesche Buch stellt<lb/> aber auch zahlreiche Warnungstafeln auf. Indem es kritikloser Bewunderung amerika¬<lb/> nischer Vorbilder entgegenarbeitet, weist es nach, wie wenig mit der Übertragung<lb/> amerikanischer Methoden auf das deutsche Wirtschaftsleben zu gewinnen ist, wie sehr<lb/> wir uns zu hüten haben vor einer Nachahmung dieser Methoden, die auch ein vorläufig<lb/> noch aus dem Vollen schöpfendes Wirtschaftssystem wie das amerikanische nicht<lb/> auf lange Dauer wird ertragen können. Die Formulierungen, in denen Dr. Junge<lb/> die Ergebnisse seiner Beobachtungen niederlegt, sind zum Teil von außerordent¬<lb/> licher Schärfe. Die charakteristischen Merkmale der amerikanischen Volkswirtschaft<lb/> sieht er in „Systemlosigkeit, Mangel an Prestige und Inkompetenz auf feiten der<lb/> Staatsgewalt, Raubbau auf feiten der Unternehmer und Wirtschaft aus den: Vollen<lb/> auf feiten der Verbraucher". Er stellt die Verfassung der Union dem preußisch¬<lb/> deutschen Staatsbegriff gegenüber: dort Furcht vor dem Staat, Widerstand gegen<lb/> dessen Übergriffe in das Privatleben, Kultus des Geschäftserfolges, der Quantitäten,<lb/> der Persönlichkeiten; hier der Staat alles geltend, der einzelne nichts, sofern er<lb/> nicht als dienendes Glied dein nationalen Organismus einverleibt ist. „In Amerika<lb/> arbeiten einzelne Wirtschaftsorganismen in höchstbeschleunigteni Zeitmaß, mit<lb/> größten Leistungsmeugen und äußerster Anspannung der individuellen Fähigkeiten,<lb/> aber nicht einheitlich, oft gegeneinander. In Deutschland arbeitet die straff<lb/> organisierte und disziplinierte naiiouale Gesamtheit, Staats- und Privatwirtschaft,<lb/> in gemäßigteren Tempo, mit geringerer Einzelleistung, oft schwerfällig, aber alle<lb/> Volksglieder in einer Richtung, unter zentraler Leitung, mit methodischer Stetigkeit<lb/> und deshalb mit der vollen Wucht völkischer Kraft. Statt einer vielköpfigen inter¬<lb/> nationalen terrorisierenden Trustoligarchie erkennen wir nur einen alles umfassenden<lb/> Trust ein, und dieser Trust ist.der Staat." I)r. Junge verfolgt die Vergleichung</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0194]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Schriften, die nur einem kurzen Aufenthalt in der Union ihr Dasein verdanken
und über die Fixierung von mehr oder minder tiefgehenden Neiseeindrücken nicht
hinauskommen. Zu den ernst zu nehmenden Büchern gehört ohne Zweifel ein
jüngst erschienenes Werk von Dr. Junge „Amerikanische Wirtschafts¬
politik. Ihre ökonomischen Grundlagen, ihre sozialen Wirkungen und ihre
Lehren für die deutsche Volkswirtschaft." (Von Dr. Franz Erich Junge. Beratender
Ingenieur, New Jork. Berlin, Verlag von Julius Springer. 1910). Der
Verfasser hat das wirtschaftliche Leben Amerikas jahrelang aus der Nähe
gesehen und mit scharfen Augen verfolgt. Er verfügt über eine gute national¬
ökonomische Bildung und über einen fesselnden Stil, dessen Amerikanismen
nicht ohne originelle Wirkung sind. Was das Buch aber bor allem
auszeichnet, ist ein scharf ausgeprägtes Deutschempfinden, das den Verfasser
davor bewahrt, die heimischen Zustände neu erworbenen Eindrücken zuliebe
herabzusetzen. Das Buch ist vielmehr ein Beispiel dafür, wie Beobachter von
nationalem Sinn und gleichzeitig scharfer Intelligenz durch die Erfahrungen draußen
zu einer hohen Schätzung heimischer Einrichtungen und Leistungen geführt werden
und in bemerkenswerten Gegensatz zu dein Pessimismus treten, der bei uns in der
Beurteilung des eigenen Landes so weit um sich greift. Gerade für die ehrlichen
Pessimisten bei uns, die nach Stützen für eine freundlichere Betrachtung unserer
Zukunft suchen, kann dies Buch eine wahrhafte Aufrichtung sein. Nicht deswegen,
weil es die amerikanischen Zustände in einem weniger glänzenden Lichte zeigt,
als oberflächliche Schilderungen zu tun pflegen. Nicht, weil es die Begrenztheit
der Möglichkeiten auch dieses so reich ausgestattete!: Landes mit einen: tief ins
Detail gehenden Material belegt. Sondern weil es uns ans dem Vergleich unserer
eigenen Verhältnisse mit denen Amerikas zur Anschauung bringt, wo unsere Stärke
liegt und wie wenig wir Ursache zu Kleinmut haben. Das Jungesche Buch stellt
aber auch zahlreiche Warnungstafeln auf. Indem es kritikloser Bewunderung amerika¬
nischer Vorbilder entgegenarbeitet, weist es nach, wie wenig mit der Übertragung
amerikanischer Methoden auf das deutsche Wirtschaftsleben zu gewinnen ist, wie sehr
wir uns zu hüten haben vor einer Nachahmung dieser Methoden, die auch ein vorläufig
noch aus dem Vollen schöpfendes Wirtschaftssystem wie das amerikanische nicht
auf lange Dauer wird ertragen können. Die Formulierungen, in denen Dr. Junge
die Ergebnisse seiner Beobachtungen niederlegt, sind zum Teil von außerordent¬
licher Schärfe. Die charakteristischen Merkmale der amerikanischen Volkswirtschaft
sieht er in „Systemlosigkeit, Mangel an Prestige und Inkompetenz auf feiten der
Staatsgewalt, Raubbau auf feiten der Unternehmer und Wirtschaft aus den: Vollen
auf feiten der Verbraucher". Er stellt die Verfassung der Union dem preußisch¬
deutschen Staatsbegriff gegenüber: dort Furcht vor dem Staat, Widerstand gegen
dessen Übergriffe in das Privatleben, Kultus des Geschäftserfolges, der Quantitäten,
der Persönlichkeiten; hier der Staat alles geltend, der einzelne nichts, sofern er
nicht als dienendes Glied dein nationalen Organismus einverleibt ist. „In Amerika
arbeiten einzelne Wirtschaftsorganismen in höchstbeschleunigteni Zeitmaß, mit
größten Leistungsmeugen und äußerster Anspannung der individuellen Fähigkeiten,
aber nicht einheitlich, oft gegeneinander. In Deutschland arbeitet die straff
organisierte und disziplinierte naiiouale Gesamtheit, Staats- und Privatwirtschaft,
in gemäßigteren Tempo, mit geringerer Einzelleistung, oft schwerfällig, aber alle
Volksglieder in einer Richtung, unter zentraler Leitung, mit methodischer Stetigkeit
und deshalb mit der vollen Wucht völkischer Kraft. Statt einer vielköpfigen inter¬
nationalen terrorisierenden Trustoligarchie erkennen wir nur einen alles umfassenden
Trust ein, und dieser Trust ist.der Staat." I)r. Junge verfolgt die Vergleichung
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