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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Im Kampf gegen die Übermacht

Das dicke, schwarze Haar war in einen losen Knoten geschlungen. Das Licht
fiel auf ihren schlanken Hals und den oberen Teil des Busens. Sie hatte noch
immer den Ellenbogen auf den Tisch gestützt, und die Wange ruhte in ihrer Hand.
Das Buch lag auf ihrem Schoß.

Er starrte sie an, das Blut hämmerte ihm im Herzen... Er stöhnte laut,
sie erwachte und sah zu ihm hinüber.

Entsetzt über seinen Blick -- in Angst -- ging sie zu ihn: hin und kniete an
seinem Bett nieder:

"Was haben Sie nur? Lieber Freund -- wollen Sie irgend etwas. . .?"

Da schlang er die Arme um sie, preßte sie an sich und flüsterte ihr ins Ohr:

"Sie -- Sie will ich!"

Er drückte seine Stirn gegen ihren Hals. Und da ward es still. Sie erhob
die Hand, legte sie auf seinen Kopf und sagte leise, mit unsagbarer Zärtlichkeit:

"Ja -- mich --I Mich sollen Sie haben! -- Sie Lieberl"




Nach dein Bootsunglück war der Pfarrer fast drei Wochen elend.

Er ließ sich nicht außerhalb des Pfarrhauses blicken, und das Arbeitszimmer
war strenge geschlossen. Alle Geschäfte wurden abgesagt.

Auch Jungfer Steenbnk war nicht zu sehen. Sie widmete sich ganz der
Pflege des Pfarrers. Kamen Leute nach dem Pfarrhause, so begegnete sie ihnen
still und ernst und erteilte Bescheid, daß der Pfarrer nicht gestört werden dürfe.
Sie sah angegriffen und bekümmert aus, die sonst so muntere, fröhliche Jungfer.

Jonina wußte zu berichten, daß es mit dem Verstände des Pfarrers wohl
nicht so ganz auf der Art sei. Er lag nicht zu Bett, hielt sich nur in seinem
Arbeitszimmer auf. Zuzeiten hatte sie ihn draußen von der Küche aus jammern
und weinen hören; ja bisweilen schrie er wie ein Verrückter. Jungfer Steenbuk
sorgte fast ausschließlich für ihn. Aber da waren Tage, wo er sie nicht sehen
wollte. Wo er sie mit Flüchen von sich jagte, so daß es schrecklich anzuhören
war. . . Und die Jungfer sei bange und weine und klage allein oben in ihrer
Stube. Und dann wolle er wieder, daß sie zu ihm kommen solle. Und sie bliebe
bei ihm und wache des Nachts im Schlafzimmer. Und dann war es still. Und
dann war die Jungfer ruhig und sagte tröstend zu Jonina:

"Jetzt geht es bald vorüber, Jonina. Jetzt findet der Pfarrer bald Ruhe
und Frieden .. .!"

Ja, es war wirklich eine Zeit der Prüfung für die Jungfer gewesen und
Jonina konnte sie nicht genng loben wegen ihrer Güte gegen den Pfarrer und
gegen sie selbst draußen in der Küche! -- -- --

Den dritten Sonntag war Gottesdienst auf Mcmsvär, und diesmal wurde
er nicht abgesagt.

Es waren viele Leute in der Kirche. Und es herrschte große Freude, daß
der Pfarrer wieder gesund geworden war.

Aber als er vor den Altar trat, ging eine Bewegung durch die ganze, dicht¬
gefüllte Kirche.

(Fortsetzung folgt,)




Grenzboten II 191023
Im Kampf gegen die Übermacht

Das dicke, schwarze Haar war in einen losen Knoten geschlungen. Das Licht
fiel auf ihren schlanken Hals und den oberen Teil des Busens. Sie hatte noch
immer den Ellenbogen auf den Tisch gestützt, und die Wange ruhte in ihrer Hand.
Das Buch lag auf ihrem Schoß.

Er starrte sie an, das Blut hämmerte ihm im Herzen... Er stöhnte laut,
sie erwachte und sah zu ihm hinüber.

Entsetzt über seinen Blick — in Angst — ging sie zu ihn: hin und kniete an
seinem Bett nieder:

„Was haben Sie nur? Lieber Freund — wollen Sie irgend etwas. . .?"

Da schlang er die Arme um sie, preßte sie an sich und flüsterte ihr ins Ohr:

„Sie — Sie will ich!"

Er drückte seine Stirn gegen ihren Hals. Und da ward es still. Sie erhob
die Hand, legte sie auf seinen Kopf und sagte leise, mit unsagbarer Zärtlichkeit:

„Ja — mich —I Mich sollen Sie haben! — Sie Lieberl"




Nach dein Bootsunglück war der Pfarrer fast drei Wochen elend.

Er ließ sich nicht außerhalb des Pfarrhauses blicken, und das Arbeitszimmer
war strenge geschlossen. Alle Geschäfte wurden abgesagt.

Auch Jungfer Steenbnk war nicht zu sehen. Sie widmete sich ganz der
Pflege des Pfarrers. Kamen Leute nach dem Pfarrhause, so begegnete sie ihnen
still und ernst und erteilte Bescheid, daß der Pfarrer nicht gestört werden dürfe.
Sie sah angegriffen und bekümmert aus, die sonst so muntere, fröhliche Jungfer.

Jonina wußte zu berichten, daß es mit dem Verstände des Pfarrers wohl
nicht so ganz auf der Art sei. Er lag nicht zu Bett, hielt sich nur in seinem
Arbeitszimmer auf. Zuzeiten hatte sie ihn draußen von der Küche aus jammern
und weinen hören; ja bisweilen schrie er wie ein Verrückter. Jungfer Steenbuk
sorgte fast ausschließlich für ihn. Aber da waren Tage, wo er sie nicht sehen
wollte. Wo er sie mit Flüchen von sich jagte, so daß es schrecklich anzuhören
war. . . Und die Jungfer sei bange und weine und klage allein oben in ihrer
Stube. Und dann wolle er wieder, daß sie zu ihm kommen solle. Und sie bliebe
bei ihm und wache des Nachts im Schlafzimmer. Und dann war es still. Und
dann war die Jungfer ruhig und sagte tröstend zu Jonina:

„Jetzt geht es bald vorüber, Jonina. Jetzt findet der Pfarrer bald Ruhe
und Frieden .. .!"

Ja, es war wirklich eine Zeit der Prüfung für die Jungfer gewesen und
Jonina konnte sie nicht genng loben wegen ihrer Güte gegen den Pfarrer und
gegen sie selbst draußen in der Küche! — — —

Den dritten Sonntag war Gottesdienst auf Mcmsvär, und diesmal wurde
er nicht abgesagt.

Es waren viele Leute in der Kirche. Und es herrschte große Freude, daß
der Pfarrer wieder gesund geworden war.

Aber als er vor den Altar trat, ging eine Bewegung durch die ganze, dicht¬
gefüllte Kirche.

(Fortsetzung folgt,)




Grenzboten II 191023
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[0189] Im Kampf gegen die Übermacht Das dicke, schwarze Haar war in einen losen Knoten geschlungen. Das Licht fiel auf ihren schlanken Hals und den oberen Teil des Busens. Sie hatte noch immer den Ellenbogen auf den Tisch gestützt, und die Wange ruhte in ihrer Hand. Das Buch lag auf ihrem Schoß. Er starrte sie an, das Blut hämmerte ihm im Herzen... Er stöhnte laut, sie erwachte und sah zu ihm hinüber. Entsetzt über seinen Blick — in Angst — ging sie zu ihn: hin und kniete an seinem Bett nieder: „Was haben Sie nur? Lieber Freund — wollen Sie irgend etwas. . .?" Da schlang er die Arme um sie, preßte sie an sich und flüsterte ihr ins Ohr: „Sie — Sie will ich!" Er drückte seine Stirn gegen ihren Hals. Und da ward es still. Sie erhob die Hand, legte sie auf seinen Kopf und sagte leise, mit unsagbarer Zärtlichkeit: „Ja — mich —I Mich sollen Sie haben! — Sie Lieberl" Nach dein Bootsunglück war der Pfarrer fast drei Wochen elend. Er ließ sich nicht außerhalb des Pfarrhauses blicken, und das Arbeitszimmer war strenge geschlossen. Alle Geschäfte wurden abgesagt. Auch Jungfer Steenbnk war nicht zu sehen. Sie widmete sich ganz der Pflege des Pfarrers. Kamen Leute nach dem Pfarrhause, so begegnete sie ihnen still und ernst und erteilte Bescheid, daß der Pfarrer nicht gestört werden dürfe. Sie sah angegriffen und bekümmert aus, die sonst so muntere, fröhliche Jungfer. Jonina wußte zu berichten, daß es mit dem Verstände des Pfarrers wohl nicht so ganz auf der Art sei. Er lag nicht zu Bett, hielt sich nur in seinem Arbeitszimmer auf. Zuzeiten hatte sie ihn draußen von der Küche aus jammern und weinen hören; ja bisweilen schrie er wie ein Verrückter. Jungfer Steenbuk sorgte fast ausschließlich für ihn. Aber da waren Tage, wo er sie nicht sehen wollte. Wo er sie mit Flüchen von sich jagte, so daß es schrecklich anzuhören war. . . Und die Jungfer sei bange und weine und klage allein oben in ihrer Stube. Und dann wolle er wieder, daß sie zu ihm kommen solle. Und sie bliebe bei ihm und wache des Nachts im Schlafzimmer. Und dann war es still. Und dann war die Jungfer ruhig und sagte tröstend zu Jonina: „Jetzt geht es bald vorüber, Jonina. Jetzt findet der Pfarrer bald Ruhe und Frieden .. .!" Ja, es war wirklich eine Zeit der Prüfung für die Jungfer gewesen und Jonina konnte sie nicht genng loben wegen ihrer Güte gegen den Pfarrer und gegen sie selbst draußen in der Küche! — — — Den dritten Sonntag war Gottesdienst auf Mcmsvär, und diesmal wurde er nicht abgesagt. Es waren viele Leute in der Kirche. Und es herrschte große Freude, daß der Pfarrer wieder gesund geworden war. Aber als er vor den Altar trat, ging eine Bewegung durch die ganze, dicht¬ gefüllte Kirche. (Fortsetzung folgt,) Grenzboten II 191023

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/189>, abgerufen am 29.06.2024.