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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Das Rultnrproblem und die Religion

irrationalen Not des Daseins geboren und durch Aufgebot von Lauterkeit,
Sachlichkeit und Treue gegenüber dem Innersten erkämpft werden. Das alles
sind aber keine wissenschaftlichen Gedanken, sondern moralische Kräfte, die, wie
schließlich ein jeder von sich selber weiß, am wärmsten und persönlichsten aus
religiösem Seelengrunde sprudeln. Nur ein Weg fuhrt hier nach oben und
zur wahren Kultur: nicht der Weg von außen her und vom Mittelbarer des
Intellektes und Schöngelernten her, sondern der Weg von innen her, vom
Unmittelbaren und Innersten der Schöpfung her. Es sei einer Künstler,
Architekt, Staatsmann, Pfarrer, Industrieller, will er Kulturförderer sein, dann
muß ein oberstes Gesetz seine Freiheit sein, nämlich dies, sich selber achten zu
können in seinem Werke, vor dem unerbittlichen Auge seines innersten Richters
kein Verworfener zu fein. Die so sich selber achten, die so sich verpflichtet
fühlen, ihrem innersten Drange Helfer und Ausgebärer zu sein, die allein
entbinden die schöpferischen Kräfte des Alls mit den Mitteln ihrer individuellen
Veranlagung und sind ein Aufwärtsgang für die Kultur. Denn sie entwickeln
das Leben in seinem ganzen Bereiche empor, aber immer aus den innersten
Kräften dieses Lebens selber her, also nie künstlich, sondern stets organisch; und
so nur wächst Kultur.

Und alle ernstesten Vorkämpfer der neuen Kulturbewegung sind in diesem
eben beschriebenen Sinne sittlich-religiöse Kämpfer gewesen und sind es
noch, sie kämpfen für das Leben und gegen seine Verwissenschaftlichung und
Jntellektualisierung, sie kämpfen für Eigenart und gegen den Historismus, sie
kämpfen gegen die Pöbelhaftigkeit und das Protzentum der Gesinnung, gegen
den Schein und die Imitation für die neue und doch uralte und einzige Moral
der Gradheit, Echtheit und Wahrhaftigkeit des seelischen Ausdrucks.

Von Ruskin und Gottfried Semper, von Crane und Morris über den
Rembrandt-Deutschen hin bis zu van de Velde hört man hell und deutlich die
moralischen Fanfaren. Noch in seinem letzten Artikel in den "Süddeutschen
Monatsheften" ruft van de Velde den Industriellen zu: "Die Industrie muß
die Moral, die wir predigen, annehmen," und dem Publikum: "Bereitet nur
den Weg vor, helft uns die Moral der Qualitätsarbeit predigen." Und wie
ernst und tief man es mit der Versittlichung der Arbeit meint, das möge sein
Mahnruf erhärten: "Helft uns nur die Ansicht verbreiten, daß es für einen
Sohn der besseren Stände ebenso ehrenwert ist, Buchbinder, Goldschmied, Kera¬
miker oder Emailleur zu werden, wie Advokat, Bankier oder Offizier." Denn,
so meint er, erst wenn es dahin kommt, wie es in Dänemark schon heute sich
ereignet, daß nämlich die höheren Klassen und Stände zu ihrem erhöhten
Kulturgefühl auch die Erkenntnis und den Willen fügen, daß Handarbeit
niemanden erniedrigt, sondern eine Quelle tiefster und edelster Schaffensfreude
ist, nur dann werden wir sähig zu wahrer Kultur.

Es handelt sich hier also wirklich nicht um geistreiche Spielereien und
absonderliche Einfälle eines überreizten ästhetischen Empfindens, sondern um eine


Das Rultnrproblem und die Religion

irrationalen Not des Daseins geboren und durch Aufgebot von Lauterkeit,
Sachlichkeit und Treue gegenüber dem Innersten erkämpft werden. Das alles
sind aber keine wissenschaftlichen Gedanken, sondern moralische Kräfte, die, wie
schließlich ein jeder von sich selber weiß, am wärmsten und persönlichsten aus
religiösem Seelengrunde sprudeln. Nur ein Weg fuhrt hier nach oben und
zur wahren Kultur: nicht der Weg von außen her und vom Mittelbarer des
Intellektes und Schöngelernten her, sondern der Weg von innen her, vom
Unmittelbaren und Innersten der Schöpfung her. Es sei einer Künstler,
Architekt, Staatsmann, Pfarrer, Industrieller, will er Kulturförderer sein, dann
muß ein oberstes Gesetz seine Freiheit sein, nämlich dies, sich selber achten zu
können in seinem Werke, vor dem unerbittlichen Auge seines innersten Richters
kein Verworfener zu fein. Die so sich selber achten, die so sich verpflichtet
fühlen, ihrem innersten Drange Helfer und Ausgebärer zu sein, die allein
entbinden die schöpferischen Kräfte des Alls mit den Mitteln ihrer individuellen
Veranlagung und sind ein Aufwärtsgang für die Kultur. Denn sie entwickeln
das Leben in seinem ganzen Bereiche empor, aber immer aus den innersten
Kräften dieses Lebens selber her, also nie künstlich, sondern stets organisch; und
so nur wächst Kultur.

Und alle ernstesten Vorkämpfer der neuen Kulturbewegung sind in diesem
eben beschriebenen Sinne sittlich-religiöse Kämpfer gewesen und sind es
noch, sie kämpfen für das Leben und gegen seine Verwissenschaftlichung und
Jntellektualisierung, sie kämpfen für Eigenart und gegen den Historismus, sie
kämpfen gegen die Pöbelhaftigkeit und das Protzentum der Gesinnung, gegen
den Schein und die Imitation für die neue und doch uralte und einzige Moral
der Gradheit, Echtheit und Wahrhaftigkeit des seelischen Ausdrucks.

Von Ruskin und Gottfried Semper, von Crane und Morris über den
Rembrandt-Deutschen hin bis zu van de Velde hört man hell und deutlich die
moralischen Fanfaren. Noch in seinem letzten Artikel in den „Süddeutschen
Monatsheften" ruft van de Velde den Industriellen zu: „Die Industrie muß
die Moral, die wir predigen, annehmen," und dem Publikum: „Bereitet nur
den Weg vor, helft uns die Moral der Qualitätsarbeit predigen." Und wie
ernst und tief man es mit der Versittlichung der Arbeit meint, das möge sein
Mahnruf erhärten: „Helft uns nur die Ansicht verbreiten, daß es für einen
Sohn der besseren Stände ebenso ehrenwert ist, Buchbinder, Goldschmied, Kera¬
miker oder Emailleur zu werden, wie Advokat, Bankier oder Offizier." Denn,
so meint er, erst wenn es dahin kommt, wie es in Dänemark schon heute sich
ereignet, daß nämlich die höheren Klassen und Stände zu ihrem erhöhten
Kulturgefühl auch die Erkenntnis und den Willen fügen, daß Handarbeit
niemanden erniedrigt, sondern eine Quelle tiefster und edelster Schaffensfreude
ist, nur dann werden wir sähig zu wahrer Kultur.

Es handelt sich hier also wirklich nicht um geistreiche Spielereien und
absonderliche Einfälle eines überreizten ästhetischen Empfindens, sondern um eine


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[0168] Das Rultnrproblem und die Religion irrationalen Not des Daseins geboren und durch Aufgebot von Lauterkeit, Sachlichkeit und Treue gegenüber dem Innersten erkämpft werden. Das alles sind aber keine wissenschaftlichen Gedanken, sondern moralische Kräfte, die, wie schließlich ein jeder von sich selber weiß, am wärmsten und persönlichsten aus religiösem Seelengrunde sprudeln. Nur ein Weg fuhrt hier nach oben und zur wahren Kultur: nicht der Weg von außen her und vom Mittelbarer des Intellektes und Schöngelernten her, sondern der Weg von innen her, vom Unmittelbaren und Innersten der Schöpfung her. Es sei einer Künstler, Architekt, Staatsmann, Pfarrer, Industrieller, will er Kulturförderer sein, dann muß ein oberstes Gesetz seine Freiheit sein, nämlich dies, sich selber achten zu können in seinem Werke, vor dem unerbittlichen Auge seines innersten Richters kein Verworfener zu fein. Die so sich selber achten, die so sich verpflichtet fühlen, ihrem innersten Drange Helfer und Ausgebärer zu sein, die allein entbinden die schöpferischen Kräfte des Alls mit den Mitteln ihrer individuellen Veranlagung und sind ein Aufwärtsgang für die Kultur. Denn sie entwickeln das Leben in seinem ganzen Bereiche empor, aber immer aus den innersten Kräften dieses Lebens selber her, also nie künstlich, sondern stets organisch; und so nur wächst Kultur. Und alle ernstesten Vorkämpfer der neuen Kulturbewegung sind in diesem eben beschriebenen Sinne sittlich-religiöse Kämpfer gewesen und sind es noch, sie kämpfen für das Leben und gegen seine Verwissenschaftlichung und Jntellektualisierung, sie kämpfen für Eigenart und gegen den Historismus, sie kämpfen gegen die Pöbelhaftigkeit und das Protzentum der Gesinnung, gegen den Schein und die Imitation für die neue und doch uralte und einzige Moral der Gradheit, Echtheit und Wahrhaftigkeit des seelischen Ausdrucks. Von Ruskin und Gottfried Semper, von Crane und Morris über den Rembrandt-Deutschen hin bis zu van de Velde hört man hell und deutlich die moralischen Fanfaren. Noch in seinem letzten Artikel in den „Süddeutschen Monatsheften" ruft van de Velde den Industriellen zu: „Die Industrie muß die Moral, die wir predigen, annehmen," und dem Publikum: „Bereitet nur den Weg vor, helft uns die Moral der Qualitätsarbeit predigen." Und wie ernst und tief man es mit der Versittlichung der Arbeit meint, das möge sein Mahnruf erhärten: „Helft uns nur die Ansicht verbreiten, daß es für einen Sohn der besseren Stände ebenso ehrenwert ist, Buchbinder, Goldschmied, Kera¬ miker oder Emailleur zu werden, wie Advokat, Bankier oder Offizier." Denn, so meint er, erst wenn es dahin kommt, wie es in Dänemark schon heute sich ereignet, daß nämlich die höheren Klassen und Stände zu ihrem erhöhten Kulturgefühl auch die Erkenntnis und den Willen fügen, daß Handarbeit niemanden erniedrigt, sondern eine Quelle tiefster und edelster Schaffensfreude ist, nur dann werden wir sähig zu wahrer Kultur. Es handelt sich hier also wirklich nicht um geistreiche Spielereien und absonderliche Einfälle eines überreizten ästhetischen Empfindens, sondern um eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/168>, abgerufen am 28.09.2024.