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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

interessanten Arbeiten mögen zwei hervorgehoben werden. Der Artikel Finanzen
(nebst Finanzgesellschaften, Finanzverwaltung und Finanzwissenschaft) umfaßte in
der ersten Ausgabe 70 Seiten. In den 187 Seiten starken der neuen Ausgabe
sind eingeschoben, in den ursprünglich von Eheberg allein verfaßten Abschnitt
"Geschichte": "Griechische Finanzen" von Eduard Meyer und "Finanzen des alten
Rom" von H. Dessau; ferner eine Finanzstatistik von Max von Heckel. Dieser
hat auch die Finanzverwaltung neu bearbeitet, die ursprünglich ein andrer behandelt
hatte. Die Geschichte der Finanzen hat Eheberg diesmal nur bis 1870 erzählt,
"Die Finanzen der Gegenwart" stellt O, Schwarz besonders dar in einer Abhandlung,
die besonders dadurch fesselt, daß sie auch eine Kritik der verschiedenen Steuersysteme
enthält. England wird u. a. deswegen gelobt, weil es das günstigste Verhältnis
der direkten zu den indirekten Steuern habe (jene 26,55, diese 32,55 Mark auf
deu Kopf). Von der Wertzuwachssteuer wird gesagt: "Ihre innere Berechtigung
ist ohne weiteres anzuerkennen; die finanztechnischen Schwierigkeiten, namentlich
für eine Reichs- und Staatsbesteuerung, sind aber nicht 'zu unterschätzen." Die
Zolleinnahmen, mahnt der Versasser, dürften nicht gleich bewertet werden, da die
Schutzzölle auf Rohstoffe, Fabrikate und Maschinen mehr die vermögenden Klassen
treffen. Den Verkehrssteuern, die sozial betrachtet zu rechtfertigen, volkswirt¬
schaftlich aber als Störungen des Güterumlaufs bedenklich sind, seien Steuern
auf Genußmittel vorzuziehen. Was den viel umstrittenen Tabak betrifft, so sei
den Tabellen des Artikels nur die eine Angabe entnommen, daß Frankreich im
Jahre 1906 aus diesem Genußmittel 458956000 Francs, Deutschland nur
70286000 Mark zog. Über unsre deutschen Finanzen im allgemeinen wird
geurteilt: "Wir haben etwas zu sehr aus dem Vollen gelebt." Höchst interessant
sind die Vergleichung der Finanzlagen der Großmächte, die Darstellung der Ver¬
flechtung der Kommunal- mit den Staatsfinanzen und des Wachstums der Staats¬
schulden. Daß immer mehr und immer kleinere Staaten in die Pumpwirtschaft
hineingeraten, wird deswegen als ein Glück betrachtet, weil ohne diese Ausdehnung
des Schuldenwesens die Riesenkapitalien, die sich in den Großstaaten aufhäufen,
kaum unterzubringen wären. Dem von 26 auf 55 Seiten angewachsenen Artikel
"Geld" ist ein Anhang beigefügt, in dem F. G. Knapp seine staatliche Geldtheorie
darstellt, die so viel Aufsehen erregt hat. Viele werden dafür dankbar sein, daß
sie dadurch der Mühe überhoben werden, sein Buch über den Gegenstand zu lesen.
Seine Theorie ist praktisch ungefährlich, weil er nicht daran denkt, die Papiergeld¬
wirtschaft zu empfehlen, und nützlich, weil er neue Einsichten in das Geldwesen
der Gegenwart erschließt. Die Theorie selbst, welche die Notwendigkeit einer
Metallbasis fürs Geld leugnet, halte ich allerdings für falsch, und wie mir scheint,
wird sie im Hauptartikel von C. Menger auf Seite 565 ff. und Seite 601 widerlegt.




Maßgebliches und Unmaßgebliches

interessanten Arbeiten mögen zwei hervorgehoben werden. Der Artikel Finanzen
(nebst Finanzgesellschaften, Finanzverwaltung und Finanzwissenschaft) umfaßte in
der ersten Ausgabe 70 Seiten. In den 187 Seiten starken der neuen Ausgabe
sind eingeschoben, in den ursprünglich von Eheberg allein verfaßten Abschnitt
„Geschichte": „Griechische Finanzen" von Eduard Meyer und „Finanzen des alten
Rom" von H. Dessau; ferner eine Finanzstatistik von Max von Heckel. Dieser
hat auch die Finanzverwaltung neu bearbeitet, die ursprünglich ein andrer behandelt
hatte. Die Geschichte der Finanzen hat Eheberg diesmal nur bis 1870 erzählt,
„Die Finanzen der Gegenwart" stellt O, Schwarz besonders dar in einer Abhandlung,
die besonders dadurch fesselt, daß sie auch eine Kritik der verschiedenen Steuersysteme
enthält. England wird u. a. deswegen gelobt, weil es das günstigste Verhältnis
der direkten zu den indirekten Steuern habe (jene 26,55, diese 32,55 Mark auf
deu Kopf). Von der Wertzuwachssteuer wird gesagt: „Ihre innere Berechtigung
ist ohne weiteres anzuerkennen; die finanztechnischen Schwierigkeiten, namentlich
für eine Reichs- und Staatsbesteuerung, sind aber nicht 'zu unterschätzen." Die
Zolleinnahmen, mahnt der Versasser, dürften nicht gleich bewertet werden, da die
Schutzzölle auf Rohstoffe, Fabrikate und Maschinen mehr die vermögenden Klassen
treffen. Den Verkehrssteuern, die sozial betrachtet zu rechtfertigen, volkswirt¬
schaftlich aber als Störungen des Güterumlaufs bedenklich sind, seien Steuern
auf Genußmittel vorzuziehen. Was den viel umstrittenen Tabak betrifft, so sei
den Tabellen des Artikels nur die eine Angabe entnommen, daß Frankreich im
Jahre 1906 aus diesem Genußmittel 458956000 Francs, Deutschland nur
70286000 Mark zog. Über unsre deutschen Finanzen im allgemeinen wird
geurteilt: „Wir haben etwas zu sehr aus dem Vollen gelebt." Höchst interessant
sind die Vergleichung der Finanzlagen der Großmächte, die Darstellung der Ver¬
flechtung der Kommunal- mit den Staatsfinanzen und des Wachstums der Staats¬
schulden. Daß immer mehr und immer kleinere Staaten in die Pumpwirtschaft
hineingeraten, wird deswegen als ein Glück betrachtet, weil ohne diese Ausdehnung
des Schuldenwesens die Riesenkapitalien, die sich in den Großstaaten aufhäufen,
kaum unterzubringen wären. Dem von 26 auf 55 Seiten angewachsenen Artikel
„Geld" ist ein Anhang beigefügt, in dem F. G. Knapp seine staatliche Geldtheorie
darstellt, die so viel Aufsehen erregt hat. Viele werden dafür dankbar sein, daß
sie dadurch der Mühe überhoben werden, sein Buch über den Gegenstand zu lesen.
Seine Theorie ist praktisch ungefährlich, weil er nicht daran denkt, die Papiergeld¬
wirtschaft zu empfehlen, und nützlich, weil er neue Einsichten in das Geldwesen
der Gegenwart erschließt. Die Theorie selbst, welche die Notwendigkeit einer
Metallbasis fürs Geld leugnet, halte ich allerdings für falsch, und wie mir scheint,
wird sie im Hauptartikel von C. Menger auf Seite 565 ff. und Seite 601 widerlegt.




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[0153] Maßgebliches und Unmaßgebliches interessanten Arbeiten mögen zwei hervorgehoben werden. Der Artikel Finanzen (nebst Finanzgesellschaften, Finanzverwaltung und Finanzwissenschaft) umfaßte in der ersten Ausgabe 70 Seiten. In den 187 Seiten starken der neuen Ausgabe sind eingeschoben, in den ursprünglich von Eheberg allein verfaßten Abschnitt „Geschichte": „Griechische Finanzen" von Eduard Meyer und „Finanzen des alten Rom" von H. Dessau; ferner eine Finanzstatistik von Max von Heckel. Dieser hat auch die Finanzverwaltung neu bearbeitet, die ursprünglich ein andrer behandelt hatte. Die Geschichte der Finanzen hat Eheberg diesmal nur bis 1870 erzählt, „Die Finanzen der Gegenwart" stellt O, Schwarz besonders dar in einer Abhandlung, die besonders dadurch fesselt, daß sie auch eine Kritik der verschiedenen Steuersysteme enthält. England wird u. a. deswegen gelobt, weil es das günstigste Verhältnis der direkten zu den indirekten Steuern habe (jene 26,55, diese 32,55 Mark auf deu Kopf). Von der Wertzuwachssteuer wird gesagt: „Ihre innere Berechtigung ist ohne weiteres anzuerkennen; die finanztechnischen Schwierigkeiten, namentlich für eine Reichs- und Staatsbesteuerung, sind aber nicht 'zu unterschätzen." Die Zolleinnahmen, mahnt der Versasser, dürften nicht gleich bewertet werden, da die Schutzzölle auf Rohstoffe, Fabrikate und Maschinen mehr die vermögenden Klassen treffen. Den Verkehrssteuern, die sozial betrachtet zu rechtfertigen, volkswirt¬ schaftlich aber als Störungen des Güterumlaufs bedenklich sind, seien Steuern auf Genußmittel vorzuziehen. Was den viel umstrittenen Tabak betrifft, so sei den Tabellen des Artikels nur die eine Angabe entnommen, daß Frankreich im Jahre 1906 aus diesem Genußmittel 458956000 Francs, Deutschland nur 70286000 Mark zog. Über unsre deutschen Finanzen im allgemeinen wird geurteilt: „Wir haben etwas zu sehr aus dem Vollen gelebt." Höchst interessant sind die Vergleichung der Finanzlagen der Großmächte, die Darstellung der Ver¬ flechtung der Kommunal- mit den Staatsfinanzen und des Wachstums der Staats¬ schulden. Daß immer mehr und immer kleinere Staaten in die Pumpwirtschaft hineingeraten, wird deswegen als ein Glück betrachtet, weil ohne diese Ausdehnung des Schuldenwesens die Riesenkapitalien, die sich in den Großstaaten aufhäufen, kaum unterzubringen wären. Dem von 26 auf 55 Seiten angewachsenen Artikel „Geld" ist ein Anhang beigefügt, in dem F. G. Knapp seine staatliche Geldtheorie darstellt, die so viel Aufsehen erregt hat. Viele werden dafür dankbar sein, daß sie dadurch der Mühe überhoben werden, sein Buch über den Gegenstand zu lesen. Seine Theorie ist praktisch ungefährlich, weil er nicht daran denkt, die Papiergeld¬ wirtschaft zu empfehlen, und nützlich, weil er neue Einsichten in das Geldwesen der Gegenwart erschließt. Die Theorie selbst, welche die Notwendigkeit einer Metallbasis fürs Geld leugnet, halte ich allerdings für falsch, und wie mir scheint, wird sie im Hauptartikel von C. Menger auf Seite 565 ff. und Seite 601 widerlegt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/153>, abgerufen am 29.06.2024.