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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Die preußische Oerwaltnngsorgcmisation jetzt

waltung selbst, den Mangel an schöpferischer Tatkraft, die Schwäche, vor allem
aber die unerhörte Rückständigkeit unsrer Gesetzgebung. Das alles muß andre
Gründe haben und als solche können nur die persönlichen Verhältnisse in Frage
kommen. --

Persönliche Gründe hat auch ein andrer Mißstand, den die Kritiker entweder
nicht oder nur gelegentlich berühren, der mir aber von großer Bedeutung zu
sein scheint -- ich meine die Verschiebung der verfassungsmäßigen Zuständigkeit
der Provinzialbehörden durch die laufende Geschäftsführung. Darunter verstehe
ich, daß mit einzelnen Geschäften von oben her nicht die zuständige Behörde
betraut wird, sondern irgendeine andre. Besonders sind so die Oberpräsidenten
zu einer Zwischeninstanz zwischen den Ministern und den Regierungen geworden,
ohne daß in den meisten Fällen eine Veranlassung dafür vorliegt. Den ersten
Anstoß zu dieser Entwicklung haben wohl die Herren selbst gegeben. Bezeichnend
dafür ist der sehr kräftig in die Tat umgesetzte Ausspruch eines frühern Ober¬
präsidenten, daß er nicht der Oberpräsident, sondern der Regierungspräsident
seiner Provinz sein wolle. Aber leider kommen auch die Zentralbehörden solchen
Neigungen weiter entgegen, als für die Verwaltung gut sein dürfte, und außer¬
dem gehen sie in dieser Richtung auch selbständig vor. Sie richten z. B. Ver¬
fügungen an die Oberpräsidenten, die von diesen selbst gar nicht ausgeführt
werden können, sondern sofort an die Bezirksbehörden oder andre Behörden
weitergegeben werden müssen. Ja, es kommt vor, daß Verfügungen, die
unmittelbar in den Geschäftskreis einer bestimmten Bezirksbehörde fallen, nicht
an diese, sondern an den Oberpräsidenten geschickt werden, der dann natürlich
nichts andres tun kann, als den Erlaß an die untre Behörde zur Erledigung
weiterzugehen. Günstigstenfalls erwächst so eine unnötige Arbeit für den Ober¬
präsidenten, nicht selten aber auch noch für die Bezirksbehörde. Dabei gehen
sowieso jeder Erlaß und jeder Bericht durch die Oberpräsidenten, so daß diese
reichlich Gelegenheit haben, auf die Erledigung und die Entscheidung ein¬
zuwirken, wenn sie dies für nötig halten. Daß es sich in solchen Fällen
gelegentlich um die Beteiligung der Provinz oder andrer, dem Oberpräsidenten
näher als der Regierung stehenden Stellen handelt, scheint mir kein aus¬
reichender Grund für dieses Verfahren zu sein. Denn es ist nirgendwo ver¬
boten, daß die Bezirksbehörden mit der Provinz oder ähnlichen Stellen ver¬
handeln. Noch weniger erfreulich ist, daß Zentralbehörden gelegentlich die
Bezirksbehörden einfach ausschalten, indem sie über ihre Köpfe hinweg in
wichtigen Angelegenheiten mit den untern Behörden unmittelbar in Verbindung
treten, so daß die Bezirksbehörden von diesen Sachen überhaupt nichts erfahren.

Schwarz sieht in derartigen Erscheinungen den Ausdruck einer innern
Berechtigung. Mir scheinen sie wiederum auf persönlichen Gründen ver¬
schiedenster Art zu beruhen, die je nachdem oben oder unten zu suchen sind.
Jedenfalls stört ein solches Verfahren die ohnehin schon lockere Einheit der
Verwaltung, macht den Behörden, wie ich noch in diesen Tagen selbst erlebt


Die preußische Oerwaltnngsorgcmisation jetzt

waltung selbst, den Mangel an schöpferischer Tatkraft, die Schwäche, vor allem
aber die unerhörte Rückständigkeit unsrer Gesetzgebung. Das alles muß andre
Gründe haben und als solche können nur die persönlichen Verhältnisse in Frage
kommen. —

Persönliche Gründe hat auch ein andrer Mißstand, den die Kritiker entweder
nicht oder nur gelegentlich berühren, der mir aber von großer Bedeutung zu
sein scheint — ich meine die Verschiebung der verfassungsmäßigen Zuständigkeit
der Provinzialbehörden durch die laufende Geschäftsführung. Darunter verstehe
ich, daß mit einzelnen Geschäften von oben her nicht die zuständige Behörde
betraut wird, sondern irgendeine andre. Besonders sind so die Oberpräsidenten
zu einer Zwischeninstanz zwischen den Ministern und den Regierungen geworden,
ohne daß in den meisten Fällen eine Veranlassung dafür vorliegt. Den ersten
Anstoß zu dieser Entwicklung haben wohl die Herren selbst gegeben. Bezeichnend
dafür ist der sehr kräftig in die Tat umgesetzte Ausspruch eines frühern Ober¬
präsidenten, daß er nicht der Oberpräsident, sondern der Regierungspräsident
seiner Provinz sein wolle. Aber leider kommen auch die Zentralbehörden solchen
Neigungen weiter entgegen, als für die Verwaltung gut sein dürfte, und außer¬
dem gehen sie in dieser Richtung auch selbständig vor. Sie richten z. B. Ver¬
fügungen an die Oberpräsidenten, die von diesen selbst gar nicht ausgeführt
werden können, sondern sofort an die Bezirksbehörden oder andre Behörden
weitergegeben werden müssen. Ja, es kommt vor, daß Verfügungen, die
unmittelbar in den Geschäftskreis einer bestimmten Bezirksbehörde fallen, nicht
an diese, sondern an den Oberpräsidenten geschickt werden, der dann natürlich
nichts andres tun kann, als den Erlaß an die untre Behörde zur Erledigung
weiterzugehen. Günstigstenfalls erwächst so eine unnötige Arbeit für den Ober¬
präsidenten, nicht selten aber auch noch für die Bezirksbehörde. Dabei gehen
sowieso jeder Erlaß und jeder Bericht durch die Oberpräsidenten, so daß diese
reichlich Gelegenheit haben, auf die Erledigung und die Entscheidung ein¬
zuwirken, wenn sie dies für nötig halten. Daß es sich in solchen Fällen
gelegentlich um die Beteiligung der Provinz oder andrer, dem Oberpräsidenten
näher als der Regierung stehenden Stellen handelt, scheint mir kein aus¬
reichender Grund für dieses Verfahren zu sein. Denn es ist nirgendwo ver¬
boten, daß die Bezirksbehörden mit der Provinz oder ähnlichen Stellen ver¬
handeln. Noch weniger erfreulich ist, daß Zentralbehörden gelegentlich die
Bezirksbehörden einfach ausschalten, indem sie über ihre Köpfe hinweg in
wichtigen Angelegenheiten mit den untern Behörden unmittelbar in Verbindung
treten, so daß die Bezirksbehörden von diesen Sachen überhaupt nichts erfahren.

Schwarz sieht in derartigen Erscheinungen den Ausdruck einer innern
Berechtigung. Mir scheinen sie wiederum auf persönlichen Gründen ver¬
schiedenster Art zu beruhen, die je nachdem oben oder unten zu suchen sind.
Jedenfalls stört ein solches Verfahren die ohnehin schon lockere Einheit der
Verwaltung, macht den Behörden, wie ich noch in diesen Tagen selbst erlebt


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[0134] Die preußische Oerwaltnngsorgcmisation jetzt waltung selbst, den Mangel an schöpferischer Tatkraft, die Schwäche, vor allem aber die unerhörte Rückständigkeit unsrer Gesetzgebung. Das alles muß andre Gründe haben und als solche können nur die persönlichen Verhältnisse in Frage kommen. — Persönliche Gründe hat auch ein andrer Mißstand, den die Kritiker entweder nicht oder nur gelegentlich berühren, der mir aber von großer Bedeutung zu sein scheint — ich meine die Verschiebung der verfassungsmäßigen Zuständigkeit der Provinzialbehörden durch die laufende Geschäftsführung. Darunter verstehe ich, daß mit einzelnen Geschäften von oben her nicht die zuständige Behörde betraut wird, sondern irgendeine andre. Besonders sind so die Oberpräsidenten zu einer Zwischeninstanz zwischen den Ministern und den Regierungen geworden, ohne daß in den meisten Fällen eine Veranlassung dafür vorliegt. Den ersten Anstoß zu dieser Entwicklung haben wohl die Herren selbst gegeben. Bezeichnend dafür ist der sehr kräftig in die Tat umgesetzte Ausspruch eines frühern Ober¬ präsidenten, daß er nicht der Oberpräsident, sondern der Regierungspräsident seiner Provinz sein wolle. Aber leider kommen auch die Zentralbehörden solchen Neigungen weiter entgegen, als für die Verwaltung gut sein dürfte, und außer¬ dem gehen sie in dieser Richtung auch selbständig vor. Sie richten z. B. Ver¬ fügungen an die Oberpräsidenten, die von diesen selbst gar nicht ausgeführt werden können, sondern sofort an die Bezirksbehörden oder andre Behörden weitergegeben werden müssen. Ja, es kommt vor, daß Verfügungen, die unmittelbar in den Geschäftskreis einer bestimmten Bezirksbehörde fallen, nicht an diese, sondern an den Oberpräsidenten geschickt werden, der dann natürlich nichts andres tun kann, als den Erlaß an die untre Behörde zur Erledigung weiterzugehen. Günstigstenfalls erwächst so eine unnötige Arbeit für den Ober¬ präsidenten, nicht selten aber auch noch für die Bezirksbehörde. Dabei gehen sowieso jeder Erlaß und jeder Bericht durch die Oberpräsidenten, so daß diese reichlich Gelegenheit haben, auf die Erledigung und die Entscheidung ein¬ zuwirken, wenn sie dies für nötig halten. Daß es sich in solchen Fällen gelegentlich um die Beteiligung der Provinz oder andrer, dem Oberpräsidenten näher als der Regierung stehenden Stellen handelt, scheint mir kein aus¬ reichender Grund für dieses Verfahren zu sein. Denn es ist nirgendwo ver¬ boten, daß die Bezirksbehörden mit der Provinz oder ähnlichen Stellen ver¬ handeln. Noch weniger erfreulich ist, daß Zentralbehörden gelegentlich die Bezirksbehörden einfach ausschalten, indem sie über ihre Köpfe hinweg in wichtigen Angelegenheiten mit den untern Behörden unmittelbar in Verbindung treten, so daß die Bezirksbehörden von diesen Sachen überhaupt nichts erfahren. Schwarz sieht in derartigen Erscheinungen den Ausdruck einer innern Berechtigung. Mir scheinen sie wiederum auf persönlichen Gründen ver¬ schiedenster Art zu beruhen, die je nachdem oben oder unten zu suchen sind. Jedenfalls stört ein solches Verfahren die ohnehin schon lockere Einheit der Verwaltung, macht den Behörden, wie ich noch in diesen Tagen selbst erlebt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/134>, abgerufen am 22.07.2024.