Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die preußische venvaltungsorgcmisation jetzt

nicht mehr als zehntausend Einwohner hat, sonst geht die Beschwerde an den
Regierungspräsidenten. Handelt es sich aber um eine Beschwerde gegen die
Durchführung eines polizeilichen Zwangsmittels, dann ist wiederum der Landrat
ohne Rücksicht auf die Einwohnerzahl zuständig! Ich habe geschulte Verwaltungs¬
beamte kennen gelernt, die sich durch dieses Gestrüpp nicht durchfinden konnten.
Wie muß es da erst dem kleinen Mann aus dem Volke gehn! Nur wenig
gemildert werden die Mängel dieses bunten Jnstanzenzugs dadurch, daß in
manchen Fällen Rechtsmittel, die zunächst an falsche Stellen gelangt sind, als
rechtzeitig angebracht behandelt werden müssen, auch wenn etwa in dem Augen¬
blick, wo sie an die richtige Stelle kommen, die Frist zur Einlegung abgelaufen
sein sollte.

Indessen kann ich nicht zugeben, daß durch solche und ähnliche Mängel
die Einheit der Verwaltung notwendig zerstört wird. Einheit ist in der Ver¬
waltung nach einem treffenden Worte Wilhelms von Humboldt gleichbedeutend
mit Unterordnung. Und diese ist auch jetzt noch überall vorhanden. Es beruht
dies darauf, daß man nicht nur in der Kreisinstanz, die Freiherr von Zedlitz
in diesem Zusammenhang allein erwähnt, sondern überall Staatsverwaltung,
Verwaltungsrechtsprechung und, soweit dies praktisch möglich war, auch Selbst¬
verwaltung gradezu meisterhaft miteinander verbunden hat. Denn diese Ver¬
bindung wird hergestellt durch die Landräte, die Regierungspräsidenten und die
Oberpräsidenten, also durch Staatsbeamte, die einander untergeordnet sind und
letzten Endes den Anweisungen der Minister zu gehorchen haben. Am engsten
und stärksten konnte allerdings diese Verbindung in der Kreisinstanz sein; der
Landrat ist hier nicht bloß zuständig für alle staatlichen Verwaltungsgeschäfte,
sondern auch Leiter der Kreiskommunalverwaltung. In der Bezirksinstanz bedeutet
es von diesem Standpunkt aus eine Verstärkung und nicht die Zerreißung der
Einheit, daß man den Regierungspräsidenten den wichtigsten Teil der Geschäfte
der alten Regierungen zur eignen, selbstverantwortlichen Erledigung übertragen
hat, zumal da man, was manchem nicht bekannt zu sein scheint, gleichzeitig
ihren Einfluß auf die Geschäfte der beiden Kollegialabteilungen der Regierung
durch Verstärkung ihrer Machtmittel gegenüber diesen Behörden gegen früher
wesentlich erhöht hat. Nur auf die Steuerveranlagung haben sie keinen unmittel¬
baren Einfluß mehr, aber niemand kann ihnen verwehren, Bedenken, die sie
gegen das Vorgehn der Veranlagungsbehörden im allgemeinen haben, beispiels¬
weise wegen Überspannung der Fiskalität, in: Ministerium zur Sprache zu
bringen. Als Vorsitzende des Bezirksausschusses haben die Regierungspräsidenten
eine weitgehende Einwirkung auf die Verwaltungsrechtsprechung und das Beschluß-
verfahren vor dieser Behörde. Ihre Verbindung mit der Selbstverwaltung besteht
darin, daß sie Aufsichtsbehörde erster Instanz über die Kommunalverwaltung
der Städte und der Kreise und solche zweiter Instanz über die andern Gemeinde¬
verbände des Bezirks sind, also alle diese Gemeindeverwaltungen im Rahmen
der staatlichen Aufsichtsrechte einheitlich beeinflussen können. Endlich wird auch


Die preußische venvaltungsorgcmisation jetzt

nicht mehr als zehntausend Einwohner hat, sonst geht die Beschwerde an den
Regierungspräsidenten. Handelt es sich aber um eine Beschwerde gegen die
Durchführung eines polizeilichen Zwangsmittels, dann ist wiederum der Landrat
ohne Rücksicht auf die Einwohnerzahl zuständig! Ich habe geschulte Verwaltungs¬
beamte kennen gelernt, die sich durch dieses Gestrüpp nicht durchfinden konnten.
Wie muß es da erst dem kleinen Mann aus dem Volke gehn! Nur wenig
gemildert werden die Mängel dieses bunten Jnstanzenzugs dadurch, daß in
manchen Fällen Rechtsmittel, die zunächst an falsche Stellen gelangt sind, als
rechtzeitig angebracht behandelt werden müssen, auch wenn etwa in dem Augen¬
blick, wo sie an die richtige Stelle kommen, die Frist zur Einlegung abgelaufen
sein sollte.

Indessen kann ich nicht zugeben, daß durch solche und ähnliche Mängel
die Einheit der Verwaltung notwendig zerstört wird. Einheit ist in der Ver¬
waltung nach einem treffenden Worte Wilhelms von Humboldt gleichbedeutend
mit Unterordnung. Und diese ist auch jetzt noch überall vorhanden. Es beruht
dies darauf, daß man nicht nur in der Kreisinstanz, die Freiherr von Zedlitz
in diesem Zusammenhang allein erwähnt, sondern überall Staatsverwaltung,
Verwaltungsrechtsprechung und, soweit dies praktisch möglich war, auch Selbst¬
verwaltung gradezu meisterhaft miteinander verbunden hat. Denn diese Ver¬
bindung wird hergestellt durch die Landräte, die Regierungspräsidenten und die
Oberpräsidenten, also durch Staatsbeamte, die einander untergeordnet sind und
letzten Endes den Anweisungen der Minister zu gehorchen haben. Am engsten
und stärksten konnte allerdings diese Verbindung in der Kreisinstanz sein; der
Landrat ist hier nicht bloß zuständig für alle staatlichen Verwaltungsgeschäfte,
sondern auch Leiter der Kreiskommunalverwaltung. In der Bezirksinstanz bedeutet
es von diesem Standpunkt aus eine Verstärkung und nicht die Zerreißung der
Einheit, daß man den Regierungspräsidenten den wichtigsten Teil der Geschäfte
der alten Regierungen zur eignen, selbstverantwortlichen Erledigung übertragen
hat, zumal da man, was manchem nicht bekannt zu sein scheint, gleichzeitig
ihren Einfluß auf die Geschäfte der beiden Kollegialabteilungen der Regierung
durch Verstärkung ihrer Machtmittel gegenüber diesen Behörden gegen früher
wesentlich erhöht hat. Nur auf die Steuerveranlagung haben sie keinen unmittel¬
baren Einfluß mehr, aber niemand kann ihnen verwehren, Bedenken, die sie
gegen das Vorgehn der Veranlagungsbehörden im allgemeinen haben, beispiels¬
weise wegen Überspannung der Fiskalität, in: Ministerium zur Sprache zu
bringen. Als Vorsitzende des Bezirksausschusses haben die Regierungspräsidenten
eine weitgehende Einwirkung auf die Verwaltungsrechtsprechung und das Beschluß-
verfahren vor dieser Behörde. Ihre Verbindung mit der Selbstverwaltung besteht
darin, daß sie Aufsichtsbehörde erster Instanz über die Kommunalverwaltung
der Städte und der Kreise und solche zweiter Instanz über die andern Gemeinde¬
verbände des Bezirks sind, also alle diese Gemeindeverwaltungen im Rahmen
der staatlichen Aufsichtsrechte einheitlich beeinflussen können. Endlich wird auch


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0131" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/315770"/>
          <fw type="header" place="top"> Die preußische venvaltungsorgcmisation jetzt</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_659" prev="#ID_658"> nicht mehr als zehntausend Einwohner hat, sonst geht die Beschwerde an den<lb/>
Regierungspräsidenten. Handelt es sich aber um eine Beschwerde gegen die<lb/>
Durchführung eines polizeilichen Zwangsmittels, dann ist wiederum der Landrat<lb/>
ohne Rücksicht auf die Einwohnerzahl zuständig! Ich habe geschulte Verwaltungs¬<lb/>
beamte kennen gelernt, die sich durch dieses Gestrüpp nicht durchfinden konnten.<lb/>
Wie muß es da erst dem kleinen Mann aus dem Volke gehn! Nur wenig<lb/>
gemildert werden die Mängel dieses bunten Jnstanzenzugs dadurch, daß in<lb/>
manchen Fällen Rechtsmittel, die zunächst an falsche Stellen gelangt sind, als<lb/>
rechtzeitig angebracht behandelt werden müssen, auch wenn etwa in dem Augen¬<lb/>
blick, wo sie an die richtige Stelle kommen, die Frist zur Einlegung abgelaufen<lb/>
sein sollte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_660" next="#ID_661"> Indessen kann ich nicht zugeben, daß durch solche und ähnliche Mängel<lb/>
die Einheit der Verwaltung notwendig zerstört wird. Einheit ist in der Ver¬<lb/>
waltung nach einem treffenden Worte Wilhelms von Humboldt gleichbedeutend<lb/>
mit Unterordnung. Und diese ist auch jetzt noch überall vorhanden. Es beruht<lb/>
dies darauf, daß man nicht nur in der Kreisinstanz, die Freiherr von Zedlitz<lb/>
in diesem Zusammenhang allein erwähnt, sondern überall Staatsverwaltung,<lb/>
Verwaltungsrechtsprechung und, soweit dies praktisch möglich war, auch Selbst¬<lb/>
verwaltung gradezu meisterhaft miteinander verbunden hat. Denn diese Ver¬<lb/>
bindung wird hergestellt durch die Landräte, die Regierungspräsidenten und die<lb/>
Oberpräsidenten, also durch Staatsbeamte, die einander untergeordnet sind und<lb/>
letzten Endes den Anweisungen der Minister zu gehorchen haben. Am engsten<lb/>
und stärksten konnte allerdings diese Verbindung in der Kreisinstanz sein; der<lb/>
Landrat ist hier nicht bloß zuständig für alle staatlichen Verwaltungsgeschäfte,<lb/>
sondern auch Leiter der Kreiskommunalverwaltung. In der Bezirksinstanz bedeutet<lb/>
es von diesem Standpunkt aus eine Verstärkung und nicht die Zerreißung der<lb/>
Einheit, daß man den Regierungspräsidenten den wichtigsten Teil der Geschäfte<lb/>
der alten Regierungen zur eignen, selbstverantwortlichen Erledigung übertragen<lb/>
hat, zumal da man, was manchem nicht bekannt zu sein scheint, gleichzeitig<lb/>
ihren Einfluß auf die Geschäfte der beiden Kollegialabteilungen der Regierung<lb/>
durch Verstärkung ihrer Machtmittel gegenüber diesen Behörden gegen früher<lb/>
wesentlich erhöht hat. Nur auf die Steuerveranlagung haben sie keinen unmittel¬<lb/>
baren Einfluß mehr, aber niemand kann ihnen verwehren, Bedenken, die sie<lb/>
gegen das Vorgehn der Veranlagungsbehörden im allgemeinen haben, beispiels¬<lb/>
weise wegen Überspannung der Fiskalität, in: Ministerium zur Sprache zu<lb/>
bringen. Als Vorsitzende des Bezirksausschusses haben die Regierungspräsidenten<lb/>
eine weitgehende Einwirkung auf die Verwaltungsrechtsprechung und das Beschluß-<lb/>
verfahren vor dieser Behörde. Ihre Verbindung mit der Selbstverwaltung besteht<lb/>
darin, daß sie Aufsichtsbehörde erster Instanz über die Kommunalverwaltung<lb/>
der Städte und der Kreise und solche zweiter Instanz über die andern Gemeinde¬<lb/>
verbände des Bezirks sind, also alle diese Gemeindeverwaltungen im Rahmen<lb/>
der staatlichen Aufsichtsrechte einheitlich beeinflussen können. Endlich wird auch</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0131] Die preußische venvaltungsorgcmisation jetzt nicht mehr als zehntausend Einwohner hat, sonst geht die Beschwerde an den Regierungspräsidenten. Handelt es sich aber um eine Beschwerde gegen die Durchführung eines polizeilichen Zwangsmittels, dann ist wiederum der Landrat ohne Rücksicht auf die Einwohnerzahl zuständig! Ich habe geschulte Verwaltungs¬ beamte kennen gelernt, die sich durch dieses Gestrüpp nicht durchfinden konnten. Wie muß es da erst dem kleinen Mann aus dem Volke gehn! Nur wenig gemildert werden die Mängel dieses bunten Jnstanzenzugs dadurch, daß in manchen Fällen Rechtsmittel, die zunächst an falsche Stellen gelangt sind, als rechtzeitig angebracht behandelt werden müssen, auch wenn etwa in dem Augen¬ blick, wo sie an die richtige Stelle kommen, die Frist zur Einlegung abgelaufen sein sollte. Indessen kann ich nicht zugeben, daß durch solche und ähnliche Mängel die Einheit der Verwaltung notwendig zerstört wird. Einheit ist in der Ver¬ waltung nach einem treffenden Worte Wilhelms von Humboldt gleichbedeutend mit Unterordnung. Und diese ist auch jetzt noch überall vorhanden. Es beruht dies darauf, daß man nicht nur in der Kreisinstanz, die Freiherr von Zedlitz in diesem Zusammenhang allein erwähnt, sondern überall Staatsverwaltung, Verwaltungsrechtsprechung und, soweit dies praktisch möglich war, auch Selbst¬ verwaltung gradezu meisterhaft miteinander verbunden hat. Denn diese Ver¬ bindung wird hergestellt durch die Landräte, die Regierungspräsidenten und die Oberpräsidenten, also durch Staatsbeamte, die einander untergeordnet sind und letzten Endes den Anweisungen der Minister zu gehorchen haben. Am engsten und stärksten konnte allerdings diese Verbindung in der Kreisinstanz sein; der Landrat ist hier nicht bloß zuständig für alle staatlichen Verwaltungsgeschäfte, sondern auch Leiter der Kreiskommunalverwaltung. In der Bezirksinstanz bedeutet es von diesem Standpunkt aus eine Verstärkung und nicht die Zerreißung der Einheit, daß man den Regierungspräsidenten den wichtigsten Teil der Geschäfte der alten Regierungen zur eignen, selbstverantwortlichen Erledigung übertragen hat, zumal da man, was manchem nicht bekannt zu sein scheint, gleichzeitig ihren Einfluß auf die Geschäfte der beiden Kollegialabteilungen der Regierung durch Verstärkung ihrer Machtmittel gegenüber diesen Behörden gegen früher wesentlich erhöht hat. Nur auf die Steuerveranlagung haben sie keinen unmittel¬ baren Einfluß mehr, aber niemand kann ihnen verwehren, Bedenken, die sie gegen das Vorgehn der Veranlagungsbehörden im allgemeinen haben, beispiels¬ weise wegen Überspannung der Fiskalität, in: Ministerium zur Sprache zu bringen. Als Vorsitzende des Bezirksausschusses haben die Regierungspräsidenten eine weitgehende Einwirkung auf die Verwaltungsrechtsprechung und das Beschluß- verfahren vor dieser Behörde. Ihre Verbindung mit der Selbstverwaltung besteht darin, daß sie Aufsichtsbehörde erster Instanz über die Kommunalverwaltung der Städte und der Kreise und solche zweiter Instanz über die andern Gemeinde¬ verbände des Bezirks sind, also alle diese Gemeindeverwaltungen im Rahmen der staatlichen Aufsichtsrechte einheitlich beeinflussen können. Endlich wird auch

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/131
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/131>, abgerufen am 24.08.2024.