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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Die Verwaltung der geistigen Guter

einen jeden Menschen dahin zu stellen, wo er am besten der Allgemeinheit dient.
Es bedarf keiner langen Erwägung, um einzusehen, daß eine derartige Forderung
sehr tief in den gesamten gesellschaftlichen Organismus einschneiden muß. Es
würde sich ja keineswegs nur darum handeln, die zunächst vorhandenen Talente
auf den richtigen Platz zu bringen, es müßte in richtiger Konsequenz des ganzen
Satzes ja auch dafür gesorgt werden, daß kein Talent mehr im Entstehen ver¬
kümmert, daß mit der kostbarsten Masse, die die Erde kennt, mit dem mensch¬
lichen Gehirn, keine Materialvergeudung getrieben wird. Wenn aber alles herauf
sollte, was jetzt durch die Ungunst der Verhältnisse in der Tiefe bleibt, würden
wir vor einer Aufgabe stehen, die einer sozialen Umwälzung zum mindesten sehr
nahe kommen würde. Die nationale Geistesökonomie in ihrem vollen Umfang
wird also der Zukunft überlassen bleiben müssen, wie sie auch bei Avenarius
als ein Zukunftstraum erscheint. Daß man später einmal unsere Wirtschaft auf
diesem Gebiet nicht verstehen wird, glauben auch wir. Die rohe Gleichgültigkeit,
mit der man es heute dem Zufall überläßt, ob eine feine und wertvolle Schöpfer¬
persönlichkeit schaffen oder verhungern soll, wird einer späteren Zeit nicht nur
als barbarisch, sondern auch als unwirtschaftlich erscheinen, als ein heilloses
Herumschleudern mit einem anvertrauten nationalen Gut. Es ist ja keineswegs
so, wie man hier und da annimmt, daß die kulturellen Güter eine Art von
Luxus seien, der ebensogut fehlen könnte. Die Dinge liegen vielmehr so, daß
der Umlauf der kulturellen Werte in einem Volk die Grundlage auch seiner
wirtschaftlichen Kraft ist. Und da gerade dieses Argument auf eine gesetzgebende
Versammlung den größten Eindruck machen wird, soll es etwas näher betrachtet
werden. Was in der Frage des Urheberschutzes erreicht werden soll, ist etwas
sehr Reales, das in der realen Gegenwart erreicht werden kann und muß. Es
ist aber nicht ratsam, daß wir die Raubtierarena der modernen Jnteressenkämpfe
mit nur kulturellen Erwägungen betreten, und eben darum wollen wir uns über
den Zusammenhang der Kultur mit der nationalen Wirtschaft und der nationalen
Kraft in kurzen Zügen klar werden.

Der Mann der Praxis ist im allgemeinen geneigt, einen Dichter und das
Werk eines Dichters für etwas zu halten, das man am besten den Gelehrten
oder den Frauen oder den jungen unerfahrenen Menschen zum Zeitvertreib
überläßt. Er sieht nicht die Fäden, die vom Buch zur Praxis führen und
fühlt nicht, daß die Praxis, in der er selber steht, aus dem Buch ihre Nahrung
saugt, und zwar auch aus dem Buch des Dichters. Daß die industrielle Praxis
ohne das wissenschaftliche Buch und die Studierstube überhaupt nicht da wäre,
leuchtet ohne weiteres ein; es soll hier indessen von den Büchern der Kunst
die Rede sein, da sie weiter seitab zu liegen scheinen. Der Mann der Praxis
übersieht, daß die rechte Arbeitskraft die rechte Erholung braucht, wenn sie
anders frisch bleiben soll. Ein Gehirn, das immer nur praktische Dinge denkt,
verliert die Fähigkeit auch zu diesen praktischen Dingen, wenn es an die
Monotonie geschmiedet bleibt. Es bedarf einer Erholung, die ihm mit frischer


Die Verwaltung der geistigen Guter

einen jeden Menschen dahin zu stellen, wo er am besten der Allgemeinheit dient.
Es bedarf keiner langen Erwägung, um einzusehen, daß eine derartige Forderung
sehr tief in den gesamten gesellschaftlichen Organismus einschneiden muß. Es
würde sich ja keineswegs nur darum handeln, die zunächst vorhandenen Talente
auf den richtigen Platz zu bringen, es müßte in richtiger Konsequenz des ganzen
Satzes ja auch dafür gesorgt werden, daß kein Talent mehr im Entstehen ver¬
kümmert, daß mit der kostbarsten Masse, die die Erde kennt, mit dem mensch¬
lichen Gehirn, keine Materialvergeudung getrieben wird. Wenn aber alles herauf
sollte, was jetzt durch die Ungunst der Verhältnisse in der Tiefe bleibt, würden
wir vor einer Aufgabe stehen, die einer sozialen Umwälzung zum mindesten sehr
nahe kommen würde. Die nationale Geistesökonomie in ihrem vollen Umfang
wird also der Zukunft überlassen bleiben müssen, wie sie auch bei Avenarius
als ein Zukunftstraum erscheint. Daß man später einmal unsere Wirtschaft auf
diesem Gebiet nicht verstehen wird, glauben auch wir. Die rohe Gleichgültigkeit,
mit der man es heute dem Zufall überläßt, ob eine feine und wertvolle Schöpfer¬
persönlichkeit schaffen oder verhungern soll, wird einer späteren Zeit nicht nur
als barbarisch, sondern auch als unwirtschaftlich erscheinen, als ein heilloses
Herumschleudern mit einem anvertrauten nationalen Gut. Es ist ja keineswegs
so, wie man hier und da annimmt, daß die kulturellen Güter eine Art von
Luxus seien, der ebensogut fehlen könnte. Die Dinge liegen vielmehr so, daß
der Umlauf der kulturellen Werte in einem Volk die Grundlage auch seiner
wirtschaftlichen Kraft ist. Und da gerade dieses Argument auf eine gesetzgebende
Versammlung den größten Eindruck machen wird, soll es etwas näher betrachtet
werden. Was in der Frage des Urheberschutzes erreicht werden soll, ist etwas
sehr Reales, das in der realen Gegenwart erreicht werden kann und muß. Es
ist aber nicht ratsam, daß wir die Raubtierarena der modernen Jnteressenkämpfe
mit nur kulturellen Erwägungen betreten, und eben darum wollen wir uns über
den Zusammenhang der Kultur mit der nationalen Wirtschaft und der nationalen
Kraft in kurzen Zügen klar werden.

Der Mann der Praxis ist im allgemeinen geneigt, einen Dichter und das
Werk eines Dichters für etwas zu halten, das man am besten den Gelehrten
oder den Frauen oder den jungen unerfahrenen Menschen zum Zeitvertreib
überläßt. Er sieht nicht die Fäden, die vom Buch zur Praxis führen und
fühlt nicht, daß die Praxis, in der er selber steht, aus dem Buch ihre Nahrung
saugt, und zwar auch aus dem Buch des Dichters. Daß die industrielle Praxis
ohne das wissenschaftliche Buch und die Studierstube überhaupt nicht da wäre,
leuchtet ohne weiteres ein; es soll hier indessen von den Büchern der Kunst
die Rede sein, da sie weiter seitab zu liegen scheinen. Der Mann der Praxis
übersieht, daß die rechte Arbeitskraft die rechte Erholung braucht, wenn sie
anders frisch bleiben soll. Ein Gehirn, das immer nur praktische Dinge denkt,
verliert die Fähigkeit auch zu diesen praktischen Dingen, wenn es an die
Monotonie geschmiedet bleibt. Es bedarf einer Erholung, die ihm mit frischer


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[0119] Die Verwaltung der geistigen Guter einen jeden Menschen dahin zu stellen, wo er am besten der Allgemeinheit dient. Es bedarf keiner langen Erwägung, um einzusehen, daß eine derartige Forderung sehr tief in den gesamten gesellschaftlichen Organismus einschneiden muß. Es würde sich ja keineswegs nur darum handeln, die zunächst vorhandenen Talente auf den richtigen Platz zu bringen, es müßte in richtiger Konsequenz des ganzen Satzes ja auch dafür gesorgt werden, daß kein Talent mehr im Entstehen ver¬ kümmert, daß mit der kostbarsten Masse, die die Erde kennt, mit dem mensch¬ lichen Gehirn, keine Materialvergeudung getrieben wird. Wenn aber alles herauf sollte, was jetzt durch die Ungunst der Verhältnisse in der Tiefe bleibt, würden wir vor einer Aufgabe stehen, die einer sozialen Umwälzung zum mindesten sehr nahe kommen würde. Die nationale Geistesökonomie in ihrem vollen Umfang wird also der Zukunft überlassen bleiben müssen, wie sie auch bei Avenarius als ein Zukunftstraum erscheint. Daß man später einmal unsere Wirtschaft auf diesem Gebiet nicht verstehen wird, glauben auch wir. Die rohe Gleichgültigkeit, mit der man es heute dem Zufall überläßt, ob eine feine und wertvolle Schöpfer¬ persönlichkeit schaffen oder verhungern soll, wird einer späteren Zeit nicht nur als barbarisch, sondern auch als unwirtschaftlich erscheinen, als ein heilloses Herumschleudern mit einem anvertrauten nationalen Gut. Es ist ja keineswegs so, wie man hier und da annimmt, daß die kulturellen Güter eine Art von Luxus seien, der ebensogut fehlen könnte. Die Dinge liegen vielmehr so, daß der Umlauf der kulturellen Werte in einem Volk die Grundlage auch seiner wirtschaftlichen Kraft ist. Und da gerade dieses Argument auf eine gesetzgebende Versammlung den größten Eindruck machen wird, soll es etwas näher betrachtet werden. Was in der Frage des Urheberschutzes erreicht werden soll, ist etwas sehr Reales, das in der realen Gegenwart erreicht werden kann und muß. Es ist aber nicht ratsam, daß wir die Raubtierarena der modernen Jnteressenkämpfe mit nur kulturellen Erwägungen betreten, und eben darum wollen wir uns über den Zusammenhang der Kultur mit der nationalen Wirtschaft und der nationalen Kraft in kurzen Zügen klar werden. Der Mann der Praxis ist im allgemeinen geneigt, einen Dichter und das Werk eines Dichters für etwas zu halten, das man am besten den Gelehrten oder den Frauen oder den jungen unerfahrenen Menschen zum Zeitvertreib überläßt. Er sieht nicht die Fäden, die vom Buch zur Praxis führen und fühlt nicht, daß die Praxis, in der er selber steht, aus dem Buch ihre Nahrung saugt, und zwar auch aus dem Buch des Dichters. Daß die industrielle Praxis ohne das wissenschaftliche Buch und die Studierstube überhaupt nicht da wäre, leuchtet ohne weiteres ein; es soll hier indessen von den Büchern der Kunst die Rede sein, da sie weiter seitab zu liegen scheinen. Der Mann der Praxis übersieht, daß die rechte Arbeitskraft die rechte Erholung braucht, wenn sie anders frisch bleiben soll. Ein Gehirn, das immer nur praktische Dinge denkt, verliert die Fähigkeit auch zu diesen praktischen Dingen, wenn es an die Monotonie geschmiedet bleibt. Es bedarf einer Erholung, die ihm mit frischer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/119>, abgerufen am 22.07.2024.