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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Die neuere Aolonialxolitik

den Tisch gefallen ist, befindet sich Dernburg in einem unangenehmen Dilemma.
Von beiden Seiten, von der Kolonialgesellschaft und den Südwestafrikanern,
wird auf ihn losgeschlagen. Auch der Reichstag und die öffentliche Meinung
sind gegen ihn. Wer weiß, ob er sich da nicht noch des südwestafrikanischen
Landesrats erinnert und diesen mit zur Entscheidung heranzieht, um der
Gerechtigkeit Genüge zu tun und sich selbst zu decken. Der schlechteste Aus¬
weg wäre das nicht. Dieser Tage ist dem Reichstag erneut eine ausführliche
Denkschrift der Diamanteninteressenten zugegangen, deren Inhalt nicht unbeachtet
bleiben kann, um so weniger als sich die Einwände und Vorwürfe, die der
Staatssekretär seinerzeit in der Budgetkommission gegenüber den Forderungen
der Südwestafrikaner ins Feld geführt hat, mittlerweile sich zum Teil als
wenig stichhaltig und auf falscher Information beruhend erwiesen haben. Wenn
der Reichstag in eine ernsthafte Prüfung der in der Form maßvoll gehaltenen
Denkschrift eintrittt, so wird Dernburg, wie es uns scheinen will, einen schweren
Stand haben.

Der Landesrat ist zu seiner ersten Tagung auf Mitte April nach Windhuk
einberufen. Die Regierung hat ihm bereits Konzessionen gemacht. Während
noch im Herbst die Kolonialverwaltung nicht daran dachte, die Vertretung der
Bevölkerung um ihre Ansicht über die Verstaatlichung der Otavibahn und den
Ausbau des Eisenbahnnetzes zu befragen, ist dein Landesrat jetzt die noch
schwebende Frage der Linienführung der Nord-Südbahn, die einen scharfen
Meinungsstreit zwischen Kolonialverwaltung und Bevölkerung entfesselt hatte,
zur Entscheidung überwiesen worden.

Das Gerippe der Selbstverwaltung -- Gemeinderäte, Bezirksräte und
Landesrat -- ist nun vorhanden. Es fehlen aber noch allerlei Hilfsorgane,
die jene nach bestimmten Richtungen ergänzen sollen. Es fehlen die von Dernburg
versprochenen Handelskammern, es fehlt das von ihm ebenfalls versprochene
öffentliche Kreditinstitut.

In Südwestafrika wenigstens kann die Regierung nicht geltend machen, daß
die finanziellen Grundlagen einer vollwertigen Selbstverwaltung nicht vorhanden
seien. Wenn die Diamantenproduktion so nutzbar gemacht wird, wie es das
Landesinteresse erheischt, so ist Geld in Hülle und Fülle da. Die Farmwirtschaft,
das Rückgrat der Wirtschaft Südwestafrikas, steht schon auf recht soliden Füßen,
und es bedarf nicht allzu großer Mittel, um ihre Zukunft sicher zu stellen. Soviel
wir unsre Südwestafrikaner kennen, werden sie den beschränkten Einfluß, den sie
durch den Landesrat auf die Geschicke des Landes gewonnen haben, zu erweitern
wissen und ihn mit aller Energie dafür einsetzen, daß die Diamantenproduktion,
von der man nicht weiß, wie lange sie dauern wird, zunächst einmal der Kolonie
selbst in möglichst großem Umfang zugute kommt. Da dies auch in: Interesse
des Reichs liegt, so werden private Interessen sich eben etwas bescheiden müssen.

Der Landesrat hat zwar zunächst uach dem Wortlaut der Verordnung über
die Selbstverwaltung nur über die Fragen zu befinden, die ihm vom Reichs-


Die neuere Aolonialxolitik

den Tisch gefallen ist, befindet sich Dernburg in einem unangenehmen Dilemma.
Von beiden Seiten, von der Kolonialgesellschaft und den Südwestafrikanern,
wird auf ihn losgeschlagen. Auch der Reichstag und die öffentliche Meinung
sind gegen ihn. Wer weiß, ob er sich da nicht noch des südwestafrikanischen
Landesrats erinnert und diesen mit zur Entscheidung heranzieht, um der
Gerechtigkeit Genüge zu tun und sich selbst zu decken. Der schlechteste Aus¬
weg wäre das nicht. Dieser Tage ist dem Reichstag erneut eine ausführliche
Denkschrift der Diamanteninteressenten zugegangen, deren Inhalt nicht unbeachtet
bleiben kann, um so weniger als sich die Einwände und Vorwürfe, die der
Staatssekretär seinerzeit in der Budgetkommission gegenüber den Forderungen
der Südwestafrikaner ins Feld geführt hat, mittlerweile sich zum Teil als
wenig stichhaltig und auf falscher Information beruhend erwiesen haben. Wenn
der Reichstag in eine ernsthafte Prüfung der in der Form maßvoll gehaltenen
Denkschrift eintrittt, so wird Dernburg, wie es uns scheinen will, einen schweren
Stand haben.

Der Landesrat ist zu seiner ersten Tagung auf Mitte April nach Windhuk
einberufen. Die Regierung hat ihm bereits Konzessionen gemacht. Während
noch im Herbst die Kolonialverwaltung nicht daran dachte, die Vertretung der
Bevölkerung um ihre Ansicht über die Verstaatlichung der Otavibahn und den
Ausbau des Eisenbahnnetzes zu befragen, ist dein Landesrat jetzt die noch
schwebende Frage der Linienführung der Nord-Südbahn, die einen scharfen
Meinungsstreit zwischen Kolonialverwaltung und Bevölkerung entfesselt hatte,
zur Entscheidung überwiesen worden.

Das Gerippe der Selbstverwaltung — Gemeinderäte, Bezirksräte und
Landesrat — ist nun vorhanden. Es fehlen aber noch allerlei Hilfsorgane,
die jene nach bestimmten Richtungen ergänzen sollen. Es fehlen die von Dernburg
versprochenen Handelskammern, es fehlt das von ihm ebenfalls versprochene
öffentliche Kreditinstitut.

In Südwestafrika wenigstens kann die Regierung nicht geltend machen, daß
die finanziellen Grundlagen einer vollwertigen Selbstverwaltung nicht vorhanden
seien. Wenn die Diamantenproduktion so nutzbar gemacht wird, wie es das
Landesinteresse erheischt, so ist Geld in Hülle und Fülle da. Die Farmwirtschaft,
das Rückgrat der Wirtschaft Südwestafrikas, steht schon auf recht soliden Füßen,
und es bedarf nicht allzu großer Mittel, um ihre Zukunft sicher zu stellen. Soviel
wir unsre Südwestafrikaner kennen, werden sie den beschränkten Einfluß, den sie
durch den Landesrat auf die Geschicke des Landes gewonnen haben, zu erweitern
wissen und ihn mit aller Energie dafür einsetzen, daß die Diamantenproduktion,
von der man nicht weiß, wie lange sie dauern wird, zunächst einmal der Kolonie
selbst in möglichst großem Umfang zugute kommt. Da dies auch in: Interesse
des Reichs liegt, so werden private Interessen sich eben etwas bescheiden müssen.

Der Landesrat hat zwar zunächst uach dem Wortlaut der Verordnung über
die Selbstverwaltung nur über die Fragen zu befinden, die ihm vom Reichs-


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[0112] Die neuere Aolonialxolitik den Tisch gefallen ist, befindet sich Dernburg in einem unangenehmen Dilemma. Von beiden Seiten, von der Kolonialgesellschaft und den Südwestafrikanern, wird auf ihn losgeschlagen. Auch der Reichstag und die öffentliche Meinung sind gegen ihn. Wer weiß, ob er sich da nicht noch des südwestafrikanischen Landesrats erinnert und diesen mit zur Entscheidung heranzieht, um der Gerechtigkeit Genüge zu tun und sich selbst zu decken. Der schlechteste Aus¬ weg wäre das nicht. Dieser Tage ist dem Reichstag erneut eine ausführliche Denkschrift der Diamanteninteressenten zugegangen, deren Inhalt nicht unbeachtet bleiben kann, um so weniger als sich die Einwände und Vorwürfe, die der Staatssekretär seinerzeit in der Budgetkommission gegenüber den Forderungen der Südwestafrikaner ins Feld geführt hat, mittlerweile sich zum Teil als wenig stichhaltig und auf falscher Information beruhend erwiesen haben. Wenn der Reichstag in eine ernsthafte Prüfung der in der Form maßvoll gehaltenen Denkschrift eintrittt, so wird Dernburg, wie es uns scheinen will, einen schweren Stand haben. Der Landesrat ist zu seiner ersten Tagung auf Mitte April nach Windhuk einberufen. Die Regierung hat ihm bereits Konzessionen gemacht. Während noch im Herbst die Kolonialverwaltung nicht daran dachte, die Vertretung der Bevölkerung um ihre Ansicht über die Verstaatlichung der Otavibahn und den Ausbau des Eisenbahnnetzes zu befragen, ist dein Landesrat jetzt die noch schwebende Frage der Linienführung der Nord-Südbahn, die einen scharfen Meinungsstreit zwischen Kolonialverwaltung und Bevölkerung entfesselt hatte, zur Entscheidung überwiesen worden. Das Gerippe der Selbstverwaltung — Gemeinderäte, Bezirksräte und Landesrat — ist nun vorhanden. Es fehlen aber noch allerlei Hilfsorgane, die jene nach bestimmten Richtungen ergänzen sollen. Es fehlen die von Dernburg versprochenen Handelskammern, es fehlt das von ihm ebenfalls versprochene öffentliche Kreditinstitut. In Südwestafrika wenigstens kann die Regierung nicht geltend machen, daß die finanziellen Grundlagen einer vollwertigen Selbstverwaltung nicht vorhanden seien. Wenn die Diamantenproduktion so nutzbar gemacht wird, wie es das Landesinteresse erheischt, so ist Geld in Hülle und Fülle da. Die Farmwirtschaft, das Rückgrat der Wirtschaft Südwestafrikas, steht schon auf recht soliden Füßen, und es bedarf nicht allzu großer Mittel, um ihre Zukunft sicher zu stellen. Soviel wir unsre Südwestafrikaner kennen, werden sie den beschränkten Einfluß, den sie durch den Landesrat auf die Geschicke des Landes gewonnen haben, zu erweitern wissen und ihn mit aller Energie dafür einsetzen, daß die Diamantenproduktion, von der man nicht weiß, wie lange sie dauern wird, zunächst einmal der Kolonie selbst in möglichst großem Umfang zugute kommt. Da dies auch in: Interesse des Reichs liegt, so werden private Interessen sich eben etwas bescheiden müssen. Der Landesrat hat zwar zunächst uach dem Wortlaut der Verordnung über die Selbstverwaltung nur über die Fragen zu befinden, die ihm vom Reichs-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/112>, abgerufen am 26.06.2024.