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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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In, Kampf gegen die Übermacht

Eins oder tausend -- hundert oder Millionen: das Menschenleben trug das
Bild Gottes in sich, und die guten Werke in diesem Leben waren groß und Gott
wohlgefällig.

Wie die Glocke, die auf dem Dach der Maasvärer Kirche läutete: Gott der
Herr war derselbe hier wie in dem stolzesten Dom der WeltI




Die Menschen!

Er mußte den Kopf schütteln bei dem Gedanken daran, daß er sie kennen
sollte. Davon war er noch weit entfernt. Aber er glaubte, den Weg gefunden zu
haben, um diese Menschen kennen zu lernen. Und er brannte vor Verlangen, auf
diesem Wege vorwärts zu dringen -- die Leuchte des Wortes in der Hand.

Zuerst, als er sie gesehen hatte -- Seefinnen und Fischer in ihren Erdhöhlen
und Hütten -- waren sie ihm wie eine Art menschenähnlicher Tierrasse erschienen.
Ihre Wohnungen, ihr Leben in Unreinlichkeit und Grauen, ihre mangelhaften
Fähigkeiten, sich in einer verständlichen Sprache auszudrücken, ja, auch ihr Aussehen
hatten ihm diese Ansicht eingegeben. Und er betrachtete seine Tätigkeit unter ihnen
wie die eines Missionars im Heidenlande.

Aber allmählich gewann er Einblick in ein nicht zu bezweifelndes, wenn auch
unentwickeltes geistiges Leben. Die Heilige Schrift stand in hohem Ansehen unter
ihnen. Ein Mann wie Jo Pasa auf Melkart war immer gern gesehen, wenn er
mit seiner Bibel kam. Und der Pfarrer war Gegenstand tiefster Ehrerbietung.
Mit Andacht und Ehrfurcht lauschten sie seinen Worten. Trotz Unwetter und
langer Wege kamen sie zur Kirche.

Aber hinter Religion, Kirche, Bibel und Geistlichen hatten sie für ihren innern
Menschen gleichsam eine Welt für sich. Er hatte nur einen flüchtigen Einblick da
hinein, denn sie verschlossen sie vor ihm. Bei all ihrer Ehrerbietung und Demut,
ja, bei all der Not und Seelenfurcht, die sie dem Pfarrer gegenüber an den Tag
legten, waren sie in gewisser Beziehung verbissen und halsstarrig eigenmächtig.
Sie huldigten einem finstern und erdrückenden Aberglauben; aber der flößte ihnen
keine Angst ein, er machte sie trotzig und unempfänglich für Gottes Wort und Zucht.
Als hätten sie ihre eigenen Götter -- die stärker waren und ihnen selbst und ihrem
Leben näher standen als der Gott des Pfarrers.

Er war kein Missionar unter den Heiden. Er war ein alttestamentarischer
Prophet in dem ewig sich versündigenden Israel. Sein Amt bestand darin,
Jehovas Sache und Streit -- gegen die fremden Götter zu führen.

Und hier nützte es nicht, etwas ertrotzen zu wollen. Es half nicht, sich zu
grämen oder zu entsetzen, zu donnern oder zu verdammen. Es galt nur, geduldig,
ganz geduldig Einfluß bei diesen vernachlässigten und auf so mancherlei Weise auf
sich selbst angewiesenen Menschen zu gewinnen, ihr Vertrauen und ihre Anhäng¬
lichkeit zu erlangen und nie zu ermüden, ihnen Jesum Christum vorzuführen --
bis er ihnen, nach Jahren, vertraut würde, als der Einzige, der ihren Seelen
Erlösung bringen konnte. ----

Auch auf den großen Handelsstellen hatten sie ganz allmählich begonnen, die
Türen des Schweigens ein klein wenig zu öffnen. Hinter der äußern Ruhe und
Stille sah er manch einen Schimmer verborgener Leidenschaft, schwerer Kämpfe
mit dem Schicksal.

Draußen auf Kjelnäs kämpfte die mächtige Madame Just ihren geheimen
bittern Kampf, um den Menschen das Elend ihres Mannes zu verbergen. Gegen
sie wiederum lehnte sich ihr junger Sohn, Anton Just, auf mit seinem vielseitigen
Sehnen, seiner Reiselust und seinem Wissensdrang, -- und alle dem schob seine


GrenzSoton I 1910 78
In, Kampf gegen die Übermacht

Eins oder tausend — hundert oder Millionen: das Menschenleben trug das
Bild Gottes in sich, und die guten Werke in diesem Leben waren groß und Gott
wohlgefällig.

Wie die Glocke, die auf dem Dach der Maasvärer Kirche läutete: Gott der
Herr war derselbe hier wie in dem stolzesten Dom der WeltI




Die Menschen!

Er mußte den Kopf schütteln bei dem Gedanken daran, daß er sie kennen
sollte. Davon war er noch weit entfernt. Aber er glaubte, den Weg gefunden zu
haben, um diese Menschen kennen zu lernen. Und er brannte vor Verlangen, auf
diesem Wege vorwärts zu dringen — die Leuchte des Wortes in der Hand.

Zuerst, als er sie gesehen hatte — Seefinnen und Fischer in ihren Erdhöhlen
und Hütten — waren sie ihm wie eine Art menschenähnlicher Tierrasse erschienen.
Ihre Wohnungen, ihr Leben in Unreinlichkeit und Grauen, ihre mangelhaften
Fähigkeiten, sich in einer verständlichen Sprache auszudrücken, ja, auch ihr Aussehen
hatten ihm diese Ansicht eingegeben. Und er betrachtete seine Tätigkeit unter ihnen
wie die eines Missionars im Heidenlande.

Aber allmählich gewann er Einblick in ein nicht zu bezweifelndes, wenn auch
unentwickeltes geistiges Leben. Die Heilige Schrift stand in hohem Ansehen unter
ihnen. Ein Mann wie Jo Pasa auf Melkart war immer gern gesehen, wenn er
mit seiner Bibel kam. Und der Pfarrer war Gegenstand tiefster Ehrerbietung.
Mit Andacht und Ehrfurcht lauschten sie seinen Worten. Trotz Unwetter und
langer Wege kamen sie zur Kirche.

Aber hinter Religion, Kirche, Bibel und Geistlichen hatten sie für ihren innern
Menschen gleichsam eine Welt für sich. Er hatte nur einen flüchtigen Einblick da
hinein, denn sie verschlossen sie vor ihm. Bei all ihrer Ehrerbietung und Demut,
ja, bei all der Not und Seelenfurcht, die sie dem Pfarrer gegenüber an den Tag
legten, waren sie in gewisser Beziehung verbissen und halsstarrig eigenmächtig.
Sie huldigten einem finstern und erdrückenden Aberglauben; aber der flößte ihnen
keine Angst ein, er machte sie trotzig und unempfänglich für Gottes Wort und Zucht.
Als hätten sie ihre eigenen Götter — die stärker waren und ihnen selbst und ihrem
Leben näher standen als der Gott des Pfarrers.

Er war kein Missionar unter den Heiden. Er war ein alttestamentarischer
Prophet in dem ewig sich versündigenden Israel. Sein Amt bestand darin,
Jehovas Sache und Streit — gegen die fremden Götter zu führen.

Und hier nützte es nicht, etwas ertrotzen zu wollen. Es half nicht, sich zu
grämen oder zu entsetzen, zu donnern oder zu verdammen. Es galt nur, geduldig,
ganz geduldig Einfluß bei diesen vernachlässigten und auf so mancherlei Weise auf
sich selbst angewiesenen Menschen zu gewinnen, ihr Vertrauen und ihre Anhäng¬
lichkeit zu erlangen und nie zu ermüden, ihnen Jesum Christum vorzuführen —
bis er ihnen, nach Jahren, vertraut würde, als der Einzige, der ihren Seelen
Erlösung bringen konnte. —--

Auch auf den großen Handelsstellen hatten sie ganz allmählich begonnen, die
Türen des Schweigens ein klein wenig zu öffnen. Hinter der äußern Ruhe und
Stille sah er manch einen Schimmer verborgener Leidenschaft, schwerer Kämpfe
mit dem Schicksal.

Draußen auf Kjelnäs kämpfte die mächtige Madame Just ihren geheimen
bittern Kampf, um den Menschen das Elend ihres Mannes zu verbergen. Gegen
sie wiederum lehnte sich ihr junger Sohn, Anton Just, auf mit seinem vielseitigen
Sehnen, seiner Reiselust und seinem Wissensdrang, — und alle dem schob seine


GrenzSoton I 1910 78
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[0629] In, Kampf gegen die Übermacht Eins oder tausend — hundert oder Millionen: das Menschenleben trug das Bild Gottes in sich, und die guten Werke in diesem Leben waren groß und Gott wohlgefällig. Wie die Glocke, die auf dem Dach der Maasvärer Kirche läutete: Gott der Herr war derselbe hier wie in dem stolzesten Dom der WeltI Die Menschen! Er mußte den Kopf schütteln bei dem Gedanken daran, daß er sie kennen sollte. Davon war er noch weit entfernt. Aber er glaubte, den Weg gefunden zu haben, um diese Menschen kennen zu lernen. Und er brannte vor Verlangen, auf diesem Wege vorwärts zu dringen — die Leuchte des Wortes in der Hand. Zuerst, als er sie gesehen hatte — Seefinnen und Fischer in ihren Erdhöhlen und Hütten — waren sie ihm wie eine Art menschenähnlicher Tierrasse erschienen. Ihre Wohnungen, ihr Leben in Unreinlichkeit und Grauen, ihre mangelhaften Fähigkeiten, sich in einer verständlichen Sprache auszudrücken, ja, auch ihr Aussehen hatten ihm diese Ansicht eingegeben. Und er betrachtete seine Tätigkeit unter ihnen wie die eines Missionars im Heidenlande. Aber allmählich gewann er Einblick in ein nicht zu bezweifelndes, wenn auch unentwickeltes geistiges Leben. Die Heilige Schrift stand in hohem Ansehen unter ihnen. Ein Mann wie Jo Pasa auf Melkart war immer gern gesehen, wenn er mit seiner Bibel kam. Und der Pfarrer war Gegenstand tiefster Ehrerbietung. Mit Andacht und Ehrfurcht lauschten sie seinen Worten. Trotz Unwetter und langer Wege kamen sie zur Kirche. Aber hinter Religion, Kirche, Bibel und Geistlichen hatten sie für ihren innern Menschen gleichsam eine Welt für sich. Er hatte nur einen flüchtigen Einblick da hinein, denn sie verschlossen sie vor ihm. Bei all ihrer Ehrerbietung und Demut, ja, bei all der Not und Seelenfurcht, die sie dem Pfarrer gegenüber an den Tag legten, waren sie in gewisser Beziehung verbissen und halsstarrig eigenmächtig. Sie huldigten einem finstern und erdrückenden Aberglauben; aber der flößte ihnen keine Angst ein, er machte sie trotzig und unempfänglich für Gottes Wort und Zucht. Als hätten sie ihre eigenen Götter — die stärker waren und ihnen selbst und ihrem Leben näher standen als der Gott des Pfarrers. Er war kein Missionar unter den Heiden. Er war ein alttestamentarischer Prophet in dem ewig sich versündigenden Israel. Sein Amt bestand darin, Jehovas Sache und Streit — gegen die fremden Götter zu führen. Und hier nützte es nicht, etwas ertrotzen zu wollen. Es half nicht, sich zu grämen oder zu entsetzen, zu donnern oder zu verdammen. Es galt nur, geduldig, ganz geduldig Einfluß bei diesen vernachlässigten und auf so mancherlei Weise auf sich selbst angewiesenen Menschen zu gewinnen, ihr Vertrauen und ihre Anhäng¬ lichkeit zu erlangen und nie zu ermüden, ihnen Jesum Christum vorzuführen — bis er ihnen, nach Jahren, vertraut würde, als der Einzige, der ihren Seelen Erlösung bringen konnte. —-- Auch auf den großen Handelsstellen hatten sie ganz allmählich begonnen, die Türen des Schweigens ein klein wenig zu öffnen. Hinter der äußern Ruhe und Stille sah er manch einen Schimmer verborgener Leidenschaft, schwerer Kämpfe mit dem Schicksal. Draußen auf Kjelnäs kämpfte die mächtige Madame Just ihren geheimen bittern Kampf, um den Menschen das Elend ihres Mannes zu verbergen. Gegen sie wiederum lehnte sich ihr junger Sohn, Anton Just, auf mit seinem vielseitigen Sehnen, seiner Reiselust und seinem Wissensdrang, — und alle dem schob seine GrenzSoton I 1910 78

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/629>, abgerufen am 22.12.2024.