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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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lassen, haben, wenn auch cum xrano fall8, seinem unkeuschen Verlangen Rechnung
getragen. Ich wüßte nicht, was sonst anders Rudolf Bartsch in seinem ebenso
fesselnd wie anmutig geschriebenen Buch "Die Zwölf aus der Steiermark" hätte ver¬
anlassen sollen, die zwei leichtfertigen Professorentöchter mit ihren studentischen'
Begleitern so glattweg im Gebüsch verschwinden und diesen ihre Unschuld
preisgeben zu lassen. Eine völlig vereinzelt und zusammenhanglos dastehende
Episode, ohne die der Roman ganz gewiß als ein in sich geschlossenes Ganze
vortrefflich hätte bestehen können. Auch die dem früheren, mehr gemäßigten
Romanstil angepaßte, sehr fein durchgeführte und gesteigerte erotische Spannung
zwischen dem blonden Studenten Kantilener und der meisterhaft skizzierten Frau
von Karminell hätte nach meinen: Dafürhalten einer so realistisch verwirklichter!
Auslösung nicht bedurft. Der Roman wäre trotzdem ein anziehendes, lesens¬
wertes Buch geblieben. Ich sehe auch hier' der ein schärferes Gewürz ver¬
langenden, hochmodernen Geschmacksrichtung ein sehr zu bedauerndes Opfer
gebracht.

Nicht anders geht es nur, wenn ich Gustav Freussens Erstlingsroman
"Die Sandgräfin" mit seinem jüngsten Geisteskiud, mit dem "Klaus Hinrich
Baas" vergleiche. In jener eine zart und duftig angesponnene, natürlich ver¬
langende und doch auch wieder keusch zurückhaltende, bis zu Ende edel und
maßvoll durchgeführte Entwicklung der Gsschlechtsliebe; in diesem ein un¬
geschminkt brutales, ein tierisch impulsives und rücksichtsloses Sichgeltendmachen
des Geschlechtstriebes! Bei aller Meisterschaft im Charakterisieren des eisenfest
auf den Füßen stehenden, geschäftstüchtigen holsteinischen Bauernsohns, der sich
durch dick und dünn eines schwer auf ihm lastenden Lebens hindurchgerungen --
soweit das den Roman typisch kennzeichnende erotische Moment in Betracht
kommt, steht dieser Klaus Hinrich Baas hinter Frenssens männlicher Erstlings¬
heldenfigur, hinter dem jungeu Thorbeek, weit zurück. Er ist eine sittlich
keineswegs verbesserte, dagegen um so gründlicher verbauerte Neuauflage.
Eine solche Rückschlagserscheinung auf dem streng ästhetischen Gebiet ließe sich
bei einem Autor von Frenssens Bedeutung psychologisch gar nicht deuten, wenn
nicht auch hier wieder die Tendenz, dem inzwischen an eine erotisch kräftiger
gewürzte Lesekost gewöhnten Publikum Rechnung zu tragen, den Schlüssel zu
des Rätsels Lösung gäbe.'

Ein Roman kann nur dann Anspruch darauf erheben, modern genannt zu
werden, er findet als solcher nur dann Absatz, wenn der Autor sich dazu ent¬
schließt, der herrschenden Geschmacksrichtung des Lesers wenigstens einige Zu¬
geständnisse zu machen. Dem Romanschreiber geht es darin nicht anders, wie
dem gutbürgerlichen, soliden Geschäftsmann vergangener Tage, der sich von
heute auf morgen gezwungen sieht, seinem altherkömmlichen, gediegenen Waren¬
bestand durch brillierendes Talmizeug mehr äußeres Ansehen zu verschaffen. Das
romanlesende Publikum von heute verzeiht dem Autor alles: schlechten Stil,
mangelhafte Auffassungsgabe, fade Charakteristik, Gedankenarmut. Nur lang-


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lassen, haben, wenn auch cum xrano fall8, seinem unkeuschen Verlangen Rechnung
getragen. Ich wüßte nicht, was sonst anders Rudolf Bartsch in seinem ebenso
fesselnd wie anmutig geschriebenen Buch „Die Zwölf aus der Steiermark" hätte ver¬
anlassen sollen, die zwei leichtfertigen Professorentöchter mit ihren studentischen'
Begleitern so glattweg im Gebüsch verschwinden und diesen ihre Unschuld
preisgeben zu lassen. Eine völlig vereinzelt und zusammenhanglos dastehende
Episode, ohne die der Roman ganz gewiß als ein in sich geschlossenes Ganze
vortrefflich hätte bestehen können. Auch die dem früheren, mehr gemäßigten
Romanstil angepaßte, sehr fein durchgeführte und gesteigerte erotische Spannung
zwischen dem blonden Studenten Kantilener und der meisterhaft skizzierten Frau
von Karminell hätte nach meinen: Dafürhalten einer so realistisch verwirklichter!
Auslösung nicht bedurft. Der Roman wäre trotzdem ein anziehendes, lesens¬
wertes Buch geblieben. Ich sehe auch hier' der ein schärferes Gewürz ver¬
langenden, hochmodernen Geschmacksrichtung ein sehr zu bedauerndes Opfer
gebracht.

Nicht anders geht es nur, wenn ich Gustav Freussens Erstlingsroman
„Die Sandgräfin" mit seinem jüngsten Geisteskiud, mit dem „Klaus Hinrich
Baas" vergleiche. In jener eine zart und duftig angesponnene, natürlich ver¬
langende und doch auch wieder keusch zurückhaltende, bis zu Ende edel und
maßvoll durchgeführte Entwicklung der Gsschlechtsliebe; in diesem ein un¬
geschminkt brutales, ein tierisch impulsives und rücksichtsloses Sichgeltendmachen
des Geschlechtstriebes! Bei aller Meisterschaft im Charakterisieren des eisenfest
auf den Füßen stehenden, geschäftstüchtigen holsteinischen Bauernsohns, der sich
durch dick und dünn eines schwer auf ihm lastenden Lebens hindurchgerungen —
soweit das den Roman typisch kennzeichnende erotische Moment in Betracht
kommt, steht dieser Klaus Hinrich Baas hinter Frenssens männlicher Erstlings¬
heldenfigur, hinter dem jungeu Thorbeek, weit zurück. Er ist eine sittlich
keineswegs verbesserte, dagegen um so gründlicher verbauerte Neuauflage.
Eine solche Rückschlagserscheinung auf dem streng ästhetischen Gebiet ließe sich
bei einem Autor von Frenssens Bedeutung psychologisch gar nicht deuten, wenn
nicht auch hier wieder die Tendenz, dem inzwischen an eine erotisch kräftiger
gewürzte Lesekost gewöhnten Publikum Rechnung zu tragen, den Schlüssel zu
des Rätsels Lösung gäbe.'

Ein Roman kann nur dann Anspruch darauf erheben, modern genannt zu
werden, er findet als solcher nur dann Absatz, wenn der Autor sich dazu ent¬
schließt, der herrschenden Geschmacksrichtung des Lesers wenigstens einige Zu¬
geständnisse zu machen. Dem Romanschreiber geht es darin nicht anders, wie
dem gutbürgerlichen, soliden Geschäftsmann vergangener Tage, der sich von
heute auf morgen gezwungen sieht, seinem altherkömmlichen, gediegenen Waren¬
bestand durch brillierendes Talmizeug mehr äußeres Ansehen zu verschaffen. Das
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mangelhafte Auffassungsgabe, fade Charakteristik, Gedankenarmut. Nur lang-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/614>, abgerufen am 04.07.2024.