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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Übcrsotzungskunst in der Gcgenivart

Treue des einzelnen Worts folgen kann. Denn dichterisch gesehen ist das Wort
nicht ein Ding der Mitteilung, sondern ein mit dein Geist innerlich verwachsen
lebendiges Gebilde. Es sei als Zeugnis solcher Erneuerung alten Dichtergutes
aus dem dichterischen Geist hier die Umdichtung derselben zwei Sonette wieder¬
gegeben, deren fehlerhafte Übertragung in literarischer Manier oben festgestellt wurde.

II.
Belagern vierzig Winter deine Brun'n,
Ziehn Gräben tief in deiner Schönheit Flur,
Ist deiner Jugend Putz, heut ein Gestnun,
Dann eine wertlos rissige Hülle nur. Fragt wer nach deiner Schönheiten Geschick
Und allen Schätzen deiner rüstigen Zeit:
Dann zeigen eignen, eingcsunknen Blick
Wär' Scham, die frißt, und Lob, das mißgedeiht. Mehr Leb erwürbe deiner Schönheit Huld,
Könnt'se du erwidern: "Dies mein schönes Kind
Zahlt meine Rechnung, löst des Alters Schuld",
Da seine Reize dein durch Erbrecht sind. Dies wär' ein neues Wirken, wenn du alt!
Du sähest warm dein Blut, fühlt' es sich kalt.
III.
Dein Antlitz, dem im Spiegel du begegnest,
Verlangt, daß du ein neues bald gestaltest,
Die Welt nicht täuschst und eine Mutter segnest.
Nun ist die Zeit, daß du Ersatz erhaltest. Wo ist die Schöne, deren bracher Schoß
Vor deines Anbaus Furchenzug erschrickt?
Weh törige Eigenliebe ist so groß,
Daß er -- ein Grab -- die Nachkommen erstickt? Du bist der Mutter Spiegel und er stellt
Ihr lieblichen April der Jugend dar.
So wird durch Alters Fenster einst erhellt
Dir trotz der Runzeln dies dein golden Jahr. Dock^ lebst du zum Vergessenwerden hier:
Stirb einzeln und dein Bild erstirbt mit dir.



Übcrsotzungskunst in der Gcgenivart

Treue des einzelnen Worts folgen kann. Denn dichterisch gesehen ist das Wort
nicht ein Ding der Mitteilung, sondern ein mit dein Geist innerlich verwachsen
lebendiges Gebilde. Es sei als Zeugnis solcher Erneuerung alten Dichtergutes
aus dem dichterischen Geist hier die Umdichtung derselben zwei Sonette wieder¬
gegeben, deren fehlerhafte Übertragung in literarischer Manier oben festgestellt wurde.

II.
Belagern vierzig Winter deine Brun'n,
Ziehn Gräben tief in deiner Schönheit Flur,
Ist deiner Jugend Putz, heut ein Gestnun,
Dann eine wertlos rissige Hülle nur. Fragt wer nach deiner Schönheiten Geschick
Und allen Schätzen deiner rüstigen Zeit:
Dann zeigen eignen, eingcsunknen Blick
Wär' Scham, die frißt, und Lob, das mißgedeiht. Mehr Leb erwürbe deiner Schönheit Huld,
Könnt'se du erwidern: „Dies mein schönes Kind
Zahlt meine Rechnung, löst des Alters Schuld",
Da seine Reize dein durch Erbrecht sind. Dies wär' ein neues Wirken, wenn du alt!
Du sähest warm dein Blut, fühlt' es sich kalt.
III.
Dein Antlitz, dem im Spiegel du begegnest,
Verlangt, daß du ein neues bald gestaltest,
Die Welt nicht täuschst und eine Mutter segnest.
Nun ist die Zeit, daß du Ersatz erhaltest. Wo ist die Schöne, deren bracher Schoß
Vor deines Anbaus Furchenzug erschrickt?
Weh törige Eigenliebe ist so groß,
Daß er — ein Grab — die Nachkommen erstickt? Du bist der Mutter Spiegel und er stellt
Ihr lieblichen April der Jugend dar.
So wird durch Alters Fenster einst erhellt
Dir trotz der Runzeln dies dein golden Jahr. Dock^ lebst du zum Vergessenwerden hier:
Stirb einzeln und dein Bild erstirbt mit dir.



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[0567] Übcrsotzungskunst in der Gcgenivart Treue des einzelnen Worts folgen kann. Denn dichterisch gesehen ist das Wort nicht ein Ding der Mitteilung, sondern ein mit dein Geist innerlich verwachsen lebendiges Gebilde. Es sei als Zeugnis solcher Erneuerung alten Dichtergutes aus dem dichterischen Geist hier die Umdichtung derselben zwei Sonette wieder¬ gegeben, deren fehlerhafte Übertragung in literarischer Manier oben festgestellt wurde. II. Belagern vierzig Winter deine Brun'n, Ziehn Gräben tief in deiner Schönheit Flur, Ist deiner Jugend Putz, heut ein Gestnun, Dann eine wertlos rissige Hülle nur. Fragt wer nach deiner Schönheiten Geschick Und allen Schätzen deiner rüstigen Zeit: Dann zeigen eignen, eingcsunknen Blick Wär' Scham, die frißt, und Lob, das mißgedeiht. Mehr Leb erwürbe deiner Schönheit Huld, Könnt'se du erwidern: „Dies mein schönes Kind Zahlt meine Rechnung, löst des Alters Schuld", Da seine Reize dein durch Erbrecht sind. Dies wär' ein neues Wirken, wenn du alt! Du sähest warm dein Blut, fühlt' es sich kalt. III. Dein Antlitz, dem im Spiegel du begegnest, Verlangt, daß du ein neues bald gestaltest, Die Welt nicht täuschst und eine Mutter segnest. Nun ist die Zeit, daß du Ersatz erhaltest. Wo ist die Schöne, deren bracher Schoß Vor deines Anbaus Furchenzug erschrickt? Weh törige Eigenliebe ist so groß, Daß er — ein Grab — die Nachkommen erstickt? Du bist der Mutter Spiegel und er stellt Ihr lieblichen April der Jugend dar. So wird durch Alters Fenster einst erhellt Dir trotz der Runzeln dies dein golden Jahr. Dock^ lebst du zum Vergessenwerden hier: Stirb einzeln und dein Bild erstirbt mit dir.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/567>, abgerufen am 24.07.2024.