Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.Der proletarische Alasscnkampf Langeweile bühnenfähig zu machen. Aber ihr Reich hat nach der negativen Über das spannende auf dem Theater können uns zwei Stücke Schillers Der proletarische Alassenkampf von Dr. Hugo Böttger er proletarische Klassenkampf als Begleiterscheinung der Jndustrie- Der proletarische Alasscnkampf Langeweile bühnenfähig zu machen. Aber ihr Reich hat nach der negativen Über das spannende auf dem Theater können uns zwei Stücke Schillers Der proletarische Alassenkampf von Dr. Hugo Böttger er proletarische Klassenkampf als Begleiterscheinung der Jndustrie- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0554" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/315551"/> <fw type="header" place="top"> Der proletarische Alasscnkampf</fw><lb/> <p xml:id="ID_2491" prev="#ID_2490"> Langeweile bühnenfähig zu machen. Aber ihr Reich hat nach der negativen<lb/> Seite hin Nutzen gestiftet, denn die grobe Sensationslust hätte sonst das Theater<lb/> in Beschlag genommen. Die schwerfälligsten Stücke, die doch hin und wieder<lb/> fruchtbringende Gedanken enthalten, sind weniger verwerflich, als etwa die<lb/> Stücke, die in den Mühle Halts von London billige Sensation erregen und in<lb/> den letzten Jahrzehnten nicht wenig dazu beitrugen, den Durchschnittsengländer<lb/> für die große Kunst abzustumpfen. Ähnliches gilt vom sogenannten „Melodrame"<lb/> in Paris und von den Machwerken gewisser viel gespielter Theaterautoren in<lb/> Deutschland.</p><lb/> <p xml:id="ID_2492"> Über das spannende auf dem Theater können uns zwei Stücke Schillers<lb/> tief belehren. Die „Räuber" — noch heute wie vor mehr als hundert Jahren<lb/> hinreißend für die unverdorbene Jugend — sind mit ganz naiver Lust am<lb/> Fabulieren geschrieben, mit sast knabenhafter Freude am Gewaltsamen, Grau¬<lb/> samen, hart und unvermittelt spannenden. Künstlerisch bewußt mit reifster<lb/> Klarheit ist das spannende in der „Braut vou Messina" stilisiert und gedämpft,<lb/> so daß in dieser tiefsten Tragik menschlichen Geschehens nichts gewaltsam,<lb/> gewollt, schrill, grell oder nervenquülend wirkt. Dem Geist der Antike treu,<lb/> des edlen Maßes eingedenk ist dieses Werk entstanden, in dem durch die<lb/> dampfende Wirkung des feierlich gedankenvollen Chores alles Gräßliche so<lb/> idealistisch gemildert erscheint, daß wir nichts Grobes, nichts Verletzendes<lb/> empfinden, obwohl die Fabel so fürchterlich, so grausam spannend ist, wie eine<lb/> Novelle Boccaccios oder eine Geschichte der Scheherezade. Feierlich und<lb/> gedankenvoll ist hier die Spannung geworden, als ständen wir vor den Pforten<lb/> des Tempels, dessen Allerheiligstes die tiefsten Lebensrätsel birgt, als bewege<lb/> sich der Vorhang leise, als fielen einige Strahlen in unsere Dunkelheit und als<lb/> klinge entferntes, heiliges Tönen in die einsame Stille des Herzens.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Der proletarische Alassenkampf<lb/><note type="byline"> von Dr. Hugo Böttger</note></head><lb/> <p xml:id="ID_2493" next="#ID_2494"> er proletarische Klassenkampf als Begleiterscheinung der Jndustrie-<lb/> entfaltung wird in einem künftig erscheinenden Werke „Die<lb/> Industrie und der Staat" von Dr. Hugo Böttger (Verlags¬<lb/> buchhandlung I. C. B. Mohr in Tübingen) eingehend behandelt.<lb/> Er ist ein Hauptbestandteil jeder inneren Politik moderner Staaten<lb/> geworden. Deutschland hat eine eigentlicheArbeitcrbeweguug erst seit fünfzig Jahren.<lb/> Staat und Politik überliefern zunächst im Beginn des großbetrieblichen Gewerbe¬<lb/> lebens die arbeitende Bevölkerung so gut wie schrankenlos der Ausbeutung durch</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0554]
Der proletarische Alasscnkampf
Langeweile bühnenfähig zu machen. Aber ihr Reich hat nach der negativen
Seite hin Nutzen gestiftet, denn die grobe Sensationslust hätte sonst das Theater
in Beschlag genommen. Die schwerfälligsten Stücke, die doch hin und wieder
fruchtbringende Gedanken enthalten, sind weniger verwerflich, als etwa die
Stücke, die in den Mühle Halts von London billige Sensation erregen und in
den letzten Jahrzehnten nicht wenig dazu beitrugen, den Durchschnittsengländer
für die große Kunst abzustumpfen. Ähnliches gilt vom sogenannten „Melodrame"
in Paris und von den Machwerken gewisser viel gespielter Theaterautoren in
Deutschland.
Über das spannende auf dem Theater können uns zwei Stücke Schillers
tief belehren. Die „Räuber" — noch heute wie vor mehr als hundert Jahren
hinreißend für die unverdorbene Jugend — sind mit ganz naiver Lust am
Fabulieren geschrieben, mit sast knabenhafter Freude am Gewaltsamen, Grau¬
samen, hart und unvermittelt spannenden. Künstlerisch bewußt mit reifster
Klarheit ist das spannende in der „Braut vou Messina" stilisiert und gedämpft,
so daß in dieser tiefsten Tragik menschlichen Geschehens nichts gewaltsam,
gewollt, schrill, grell oder nervenquülend wirkt. Dem Geist der Antike treu,
des edlen Maßes eingedenk ist dieses Werk entstanden, in dem durch die
dampfende Wirkung des feierlich gedankenvollen Chores alles Gräßliche so
idealistisch gemildert erscheint, daß wir nichts Grobes, nichts Verletzendes
empfinden, obwohl die Fabel so fürchterlich, so grausam spannend ist, wie eine
Novelle Boccaccios oder eine Geschichte der Scheherezade. Feierlich und
gedankenvoll ist hier die Spannung geworden, als ständen wir vor den Pforten
des Tempels, dessen Allerheiligstes die tiefsten Lebensrätsel birgt, als bewege
sich der Vorhang leise, als fielen einige Strahlen in unsere Dunkelheit und als
klinge entferntes, heiliges Tönen in die einsame Stille des Herzens.
Der proletarische Alassenkampf
von Dr. Hugo Böttger
er proletarische Klassenkampf als Begleiterscheinung der Jndustrie-
entfaltung wird in einem künftig erscheinenden Werke „Die
Industrie und der Staat" von Dr. Hugo Böttger (Verlags¬
buchhandlung I. C. B. Mohr in Tübingen) eingehend behandelt.
Er ist ein Hauptbestandteil jeder inneren Politik moderner Staaten
geworden. Deutschland hat eine eigentlicheArbeitcrbeweguug erst seit fünfzig Jahren.
Staat und Politik überliefern zunächst im Beginn des großbetrieblichen Gewerbe¬
lebens die arbeitende Bevölkerung so gut wie schrankenlos der Ausbeutung durch
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