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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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der Kolonien, die englischen Märkte und besonders die englische Industrie gegen
den Handel von außen zu schützen. Der Sturz der Regierung und das Auftreten
des liberalen Regimes, das den Freihandel als Basis hat, bedeutete gleichzeitig
das Fehlschlagen der Chamberlainschen Propaganda.

Als die liberal-radikale Regierung im Jahre 1906 die Leitung der Staats¬
geschäfte übernahm, hatte sie -- obwohl ihre große Majorität ihren neuen
Gesetzentwürfen eine leichte Genehmigung im Parlamente sicherte -- von Anbeginn
mit Schwierigkeiten zu kämpfen, da alle Vorlagen, um in Aktion treten zu können,
der Sanktion des Oberhauses (House of Lords), eiuer notorisch konservativen
Kammer, bedürfen. Die Sitze im House of Lords sind erblich, und die Mit¬
glieder (Peers) rekrutieren sich vornehmlich aus den obersten Klassen, den
begütertsten Adelsfamilien des Reiches. Abgesehen von den auf Grund ihrer
eigenen politischen Verdienste zu Mitgliedern des Hauses Ernannten setzt sich
der übrige, weitaus größere und daher entscheidende Teil desselben aus Peers
zusammen, die ihre Sitze erblich erworben haben.

Der Abneigung der Kammer gegen liberale Maßregeln ist es zuzuschreiben, daß
sie manche Gesetze, die die soziale Wohlfahrt des Landes gefördert hätten, verwarf;
anderseits hat sie indessen Gesetze genehmigt, wenn sie von dein ausdrücklichen
Willen der Mehrheit des Volkes unterstützt wurden.

Durch die ungewohnte starke Einmischung des Oberhauses in die Regierungs¬
geschäfte der Liberalen spitzten sich die Gegensätze zwischen beiden während
einer vierjährigen Administration andauernd zu, und als am Schlüsse des Finanz¬
jahres 1908/1909 die Regierung im Budget ihre Bestimmungen über die Erhebung
von Steuern zur Beschaffung der staatlichen Ausgaben niederlegte, versagte
das House of Lords die Sanktion.

Die Liberalen stützten sich auf die bekanntlich ungeschriebene und daher
mehr auf Gewohnheit basierende Verfassung, nach welcher es dein Oberhaus
nicht zustehe, das Jahresbudget zu beanstanden. Das House of Lords vertritt
dagegen den Standpunkt, daß es durchaus das Recht habe, Einwendungen gegen
ein Budget zu erheben, welches neue gesetzliche Maßregeln einschließe, die kon¬
stitutionell als Einzelgesetze beide Kammern zu passieren hätten.

In der Tat konnte das Budget den Lords wenig gefallen. Außer
einer stärkeren Besteuerung von spirituösen, die in der früheren Einzel¬
gesetzvorlage bereits abgewiesen war, enthält es eine Klausel zur Erhebung
vou Steuern auf Grund und Boden, von denen besonders die großen Land¬
eigentümer betroffen werden. Es ist bekannt, daß der stets wachsende Reichtum
der englischen Aristokratie vornehmlich in großen Grundbesitzungen besteht, welche
durch die Entwicklung der Industrie und im Zusammenhang damit durch Aus¬
dehnung und Neuerstehen von Städten von Generation zu Generation im Werte
gestiegen sind. Unendlich viele, weit verzweigte Landstrecken dienen ihren Besitzern
als Jagdgebiete, liegen brach, bleiben unbebaut und bedeuten mit ihrem stetig
wachsenden Wert eine sichere Spekulation. Teilweise um einen Anfang zu machen,


Aus dein englische» Parlament

der Kolonien, die englischen Märkte und besonders die englische Industrie gegen
den Handel von außen zu schützen. Der Sturz der Regierung und das Auftreten
des liberalen Regimes, das den Freihandel als Basis hat, bedeutete gleichzeitig
das Fehlschlagen der Chamberlainschen Propaganda.

Als die liberal-radikale Regierung im Jahre 1906 die Leitung der Staats¬
geschäfte übernahm, hatte sie — obwohl ihre große Majorität ihren neuen
Gesetzentwürfen eine leichte Genehmigung im Parlamente sicherte — von Anbeginn
mit Schwierigkeiten zu kämpfen, da alle Vorlagen, um in Aktion treten zu können,
der Sanktion des Oberhauses (House of Lords), eiuer notorisch konservativen
Kammer, bedürfen. Die Sitze im House of Lords sind erblich, und die Mit¬
glieder (Peers) rekrutieren sich vornehmlich aus den obersten Klassen, den
begütertsten Adelsfamilien des Reiches. Abgesehen von den auf Grund ihrer
eigenen politischen Verdienste zu Mitgliedern des Hauses Ernannten setzt sich
der übrige, weitaus größere und daher entscheidende Teil desselben aus Peers
zusammen, die ihre Sitze erblich erworben haben.

Der Abneigung der Kammer gegen liberale Maßregeln ist es zuzuschreiben, daß
sie manche Gesetze, die die soziale Wohlfahrt des Landes gefördert hätten, verwarf;
anderseits hat sie indessen Gesetze genehmigt, wenn sie von dein ausdrücklichen
Willen der Mehrheit des Volkes unterstützt wurden.

Durch die ungewohnte starke Einmischung des Oberhauses in die Regierungs¬
geschäfte der Liberalen spitzten sich die Gegensätze zwischen beiden während
einer vierjährigen Administration andauernd zu, und als am Schlüsse des Finanz¬
jahres 1908/1909 die Regierung im Budget ihre Bestimmungen über die Erhebung
von Steuern zur Beschaffung der staatlichen Ausgaben niederlegte, versagte
das House of Lords die Sanktion.

Die Liberalen stützten sich auf die bekanntlich ungeschriebene und daher
mehr auf Gewohnheit basierende Verfassung, nach welcher es dein Oberhaus
nicht zustehe, das Jahresbudget zu beanstanden. Das House of Lords vertritt
dagegen den Standpunkt, daß es durchaus das Recht habe, Einwendungen gegen
ein Budget zu erheben, welches neue gesetzliche Maßregeln einschließe, die kon¬
stitutionell als Einzelgesetze beide Kammern zu passieren hätten.

In der Tat konnte das Budget den Lords wenig gefallen. Außer
einer stärkeren Besteuerung von spirituösen, die in der früheren Einzel¬
gesetzvorlage bereits abgewiesen war, enthält es eine Klausel zur Erhebung
vou Steuern auf Grund und Boden, von denen besonders die großen Land¬
eigentümer betroffen werden. Es ist bekannt, daß der stets wachsende Reichtum
der englischen Aristokratie vornehmlich in großen Grundbesitzungen besteht, welche
durch die Entwicklung der Industrie und im Zusammenhang damit durch Aus¬
dehnung und Neuerstehen von Städten von Generation zu Generation im Werte
gestiegen sind. Unendlich viele, weit verzweigte Landstrecken dienen ihren Besitzern
als Jagdgebiete, liegen brach, bleiben unbebaut und bedeuten mit ihrem stetig
wachsenden Wert eine sichere Spekulation. Teilweise um einen Anfang zu machen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/542>, abgerufen am 04.07.2024.