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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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(Lharlotte von Stein und Sophie von Lölventhal

Der innige Zusammenhang mit ihnen ist nicht bloß ihrem Herzen, sondern
auch ihrem Geiste unentbehrlich. Die Frauen werden auch in dieser Beziehung ihre
lieben Wohltäterinnen. Tausend Gedanken gehen zu ihnen und kommen von ihnen.
Es ist offenbar geistige Verwandtschaft zwischen den Dichtern und den Frauen vor¬
handen, die, wie Lenau einmal treffend sagt, an sympathischer Tiefe selbst die
harmonischsten Beziehungen in der Natur übertrifft. Sie tauschen mit den
Frauen Bücher aus und einem Ideenreichtum, wie er der Durchschnittsfrau
nicht verständlich ist. Ihr Inhalt wird besprochen, Diskurse werden gepflegt,
wie sie zwischen Mann und Frau selten sind, philosophische oder künstlerische
Themata werden angeschlagen. Die Frauen geben auch dem Geiste der Dichter
unendliche Anregung, sind sie doch, wie ihre Geistesprodukte zeigen, nicht bloß
dichterisch veranlagt, sondern verraten auch überhaupt Verständnis für alles,
was Geist und Gemüt bewegt. Wir verstehen es daher, daß Goethe gern
abgesondert von dem Streit der politischen Elemente in ihrer Nähe den Wissen¬
schaften und Künsten, wozu er geboren sei, seinen Geist zuwenden möchte.
Ebenso wünscht Lenau mit Sophie als Hausfrau den geistvollen Theologen
Martensen und deu Philosophen Baader in Kost zu haben, damit er durch den
Verkehr und solchen Menschen tiefer und größer werde.

In den Briefen schildern die Dichter ihren Freundinnen ihren Tageslauf
oft in kurz hingeworfenen Sätzen, ihre Beschäftigungen und ihre Sorgen. Wir
erleben ihre Reisen mit, so lebhaft sind ihre Schilderungen. Wir sehen sie in
der Welt sich umtreiben, manch Urteil über die Menschen fließt mit ein. Und
und welcher Offenheit urteilen sie, Goethe z. B. über die Fürsten und Lenau
über seine Freunde. Wie ernst erschließen sie ihr Herz, wenn es gilt, ihre
eigensten Angelegenheiten rückhaltlos zu besprechen und alle ihre geheimen
Gedanken und Empfindungen bloßzulegen! Würde Goethe sonst so offen seiner
Lotte sein Herzeleid um Lili klagen und den Geist Friederikens heraufbeschwören,
würde Lenau sonst das düstere Geheimnis seiner ersten unglücklichen Liebe zu
der unwürdigen Berta seiner Sophie anvertrauen? Sie können sich bei den
Frauen von dem Zwang des Tages erholen und dem Luft machen, was ihnen
die bewegte Seele eingibt. Sie fühlen, was diese Liebe und dieses Vertrauen
für ein Umkehrens in ihren: Innersten bewirkt. Lenau bekennt freudig, daß
Sophie ihm den Zweifel genommen, daß sie ihn von seinen trostlos nächtlichen
Grübeleien geheilt und ihn wieder zu Gott geführt habe, und Goethe, daß er
ohne Lotte seinen Lieblingsirrtümern nicht habe entsagen können, daß Lotte
aus dem Raubschlosse seines Herzens das Gesinde! der Gedanken und Leiden¬
schaften vertrieben habe. Drum bittet dieser auch: "Schaffe und bilde mich so,
daß ich deiner wert bin. Vollende dein Werk, mache mich recht gutt" "Du
bist die eherne Schlange, zu der ich mich aus Sünd' und Fehlern aufrichte."
Ebenso erkennt Lenau freudig an, daß Sophie, was an seinem Talente das
Beste sei, sein Herz gebildet habe. Auch er sagt: "Du mußt mich lieben als
dein bestes Werk. Ich bin durch dich besser geworden. Du überschätzest mich.


(Lharlotte von Stein und Sophie von Lölventhal

Der innige Zusammenhang mit ihnen ist nicht bloß ihrem Herzen, sondern
auch ihrem Geiste unentbehrlich. Die Frauen werden auch in dieser Beziehung ihre
lieben Wohltäterinnen. Tausend Gedanken gehen zu ihnen und kommen von ihnen.
Es ist offenbar geistige Verwandtschaft zwischen den Dichtern und den Frauen vor¬
handen, die, wie Lenau einmal treffend sagt, an sympathischer Tiefe selbst die
harmonischsten Beziehungen in der Natur übertrifft. Sie tauschen mit den
Frauen Bücher aus und einem Ideenreichtum, wie er der Durchschnittsfrau
nicht verständlich ist. Ihr Inhalt wird besprochen, Diskurse werden gepflegt,
wie sie zwischen Mann und Frau selten sind, philosophische oder künstlerische
Themata werden angeschlagen. Die Frauen geben auch dem Geiste der Dichter
unendliche Anregung, sind sie doch, wie ihre Geistesprodukte zeigen, nicht bloß
dichterisch veranlagt, sondern verraten auch überhaupt Verständnis für alles,
was Geist und Gemüt bewegt. Wir verstehen es daher, daß Goethe gern
abgesondert von dem Streit der politischen Elemente in ihrer Nähe den Wissen¬
schaften und Künsten, wozu er geboren sei, seinen Geist zuwenden möchte.
Ebenso wünscht Lenau mit Sophie als Hausfrau den geistvollen Theologen
Martensen und deu Philosophen Baader in Kost zu haben, damit er durch den
Verkehr und solchen Menschen tiefer und größer werde.

In den Briefen schildern die Dichter ihren Freundinnen ihren Tageslauf
oft in kurz hingeworfenen Sätzen, ihre Beschäftigungen und ihre Sorgen. Wir
erleben ihre Reisen mit, so lebhaft sind ihre Schilderungen. Wir sehen sie in
der Welt sich umtreiben, manch Urteil über die Menschen fließt mit ein. Und
und welcher Offenheit urteilen sie, Goethe z. B. über die Fürsten und Lenau
über seine Freunde. Wie ernst erschließen sie ihr Herz, wenn es gilt, ihre
eigensten Angelegenheiten rückhaltlos zu besprechen und alle ihre geheimen
Gedanken und Empfindungen bloßzulegen! Würde Goethe sonst so offen seiner
Lotte sein Herzeleid um Lili klagen und den Geist Friederikens heraufbeschwören,
würde Lenau sonst das düstere Geheimnis seiner ersten unglücklichen Liebe zu
der unwürdigen Berta seiner Sophie anvertrauen? Sie können sich bei den
Frauen von dem Zwang des Tages erholen und dem Luft machen, was ihnen
die bewegte Seele eingibt. Sie fühlen, was diese Liebe und dieses Vertrauen
für ein Umkehrens in ihren: Innersten bewirkt. Lenau bekennt freudig, daß
Sophie ihm den Zweifel genommen, daß sie ihn von seinen trostlos nächtlichen
Grübeleien geheilt und ihn wieder zu Gott geführt habe, und Goethe, daß er
ohne Lotte seinen Lieblingsirrtümern nicht habe entsagen können, daß Lotte
aus dem Raubschlosse seines Herzens das Gesinde! der Gedanken und Leiden¬
schaften vertrieben habe. Drum bittet dieser auch: „Schaffe und bilde mich so,
daß ich deiner wert bin. Vollende dein Werk, mache mich recht gutt" „Du
bist die eherne Schlange, zu der ich mich aus Sünd' und Fehlern aufrichte."
Ebenso erkennt Lenau freudig an, daß Sophie, was an seinem Talente das
Beste sei, sein Herz gebildet habe. Auch er sagt: „Du mußt mich lieben als
dein bestes Werk. Ich bin durch dich besser geworden. Du überschätzest mich.


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[0507] (Lharlotte von Stein und Sophie von Lölventhal Der innige Zusammenhang mit ihnen ist nicht bloß ihrem Herzen, sondern auch ihrem Geiste unentbehrlich. Die Frauen werden auch in dieser Beziehung ihre lieben Wohltäterinnen. Tausend Gedanken gehen zu ihnen und kommen von ihnen. Es ist offenbar geistige Verwandtschaft zwischen den Dichtern und den Frauen vor¬ handen, die, wie Lenau einmal treffend sagt, an sympathischer Tiefe selbst die harmonischsten Beziehungen in der Natur übertrifft. Sie tauschen mit den Frauen Bücher aus und einem Ideenreichtum, wie er der Durchschnittsfrau nicht verständlich ist. Ihr Inhalt wird besprochen, Diskurse werden gepflegt, wie sie zwischen Mann und Frau selten sind, philosophische oder künstlerische Themata werden angeschlagen. Die Frauen geben auch dem Geiste der Dichter unendliche Anregung, sind sie doch, wie ihre Geistesprodukte zeigen, nicht bloß dichterisch veranlagt, sondern verraten auch überhaupt Verständnis für alles, was Geist und Gemüt bewegt. Wir verstehen es daher, daß Goethe gern abgesondert von dem Streit der politischen Elemente in ihrer Nähe den Wissen¬ schaften und Künsten, wozu er geboren sei, seinen Geist zuwenden möchte. Ebenso wünscht Lenau mit Sophie als Hausfrau den geistvollen Theologen Martensen und deu Philosophen Baader in Kost zu haben, damit er durch den Verkehr und solchen Menschen tiefer und größer werde. In den Briefen schildern die Dichter ihren Freundinnen ihren Tageslauf oft in kurz hingeworfenen Sätzen, ihre Beschäftigungen und ihre Sorgen. Wir erleben ihre Reisen mit, so lebhaft sind ihre Schilderungen. Wir sehen sie in der Welt sich umtreiben, manch Urteil über die Menschen fließt mit ein. Und und welcher Offenheit urteilen sie, Goethe z. B. über die Fürsten und Lenau über seine Freunde. Wie ernst erschließen sie ihr Herz, wenn es gilt, ihre eigensten Angelegenheiten rückhaltlos zu besprechen und alle ihre geheimen Gedanken und Empfindungen bloßzulegen! Würde Goethe sonst so offen seiner Lotte sein Herzeleid um Lili klagen und den Geist Friederikens heraufbeschwören, würde Lenau sonst das düstere Geheimnis seiner ersten unglücklichen Liebe zu der unwürdigen Berta seiner Sophie anvertrauen? Sie können sich bei den Frauen von dem Zwang des Tages erholen und dem Luft machen, was ihnen die bewegte Seele eingibt. Sie fühlen, was diese Liebe und dieses Vertrauen für ein Umkehrens in ihren: Innersten bewirkt. Lenau bekennt freudig, daß Sophie ihm den Zweifel genommen, daß sie ihn von seinen trostlos nächtlichen Grübeleien geheilt und ihn wieder zu Gott geführt habe, und Goethe, daß er ohne Lotte seinen Lieblingsirrtümern nicht habe entsagen können, daß Lotte aus dem Raubschlosse seines Herzens das Gesinde! der Gedanken und Leiden¬ schaften vertrieben habe. Drum bittet dieser auch: „Schaffe und bilde mich so, daß ich deiner wert bin. Vollende dein Werk, mache mich recht gutt" „Du bist die eherne Schlange, zu der ich mich aus Sünd' und Fehlern aufrichte." Ebenso erkennt Lenau freudig an, daß Sophie, was an seinem Talente das Beste sei, sein Herz gebildet habe. Auch er sagt: „Du mußt mich lieben als dein bestes Werk. Ich bin durch dich besser geworden. Du überschätzest mich.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/507>, abgerufen am 24.07.2024.