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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Ein Frcnudesgruß an Paul r)eysc

worden war, die man nicht gerade zu den ersten und besten rechnete, vermuten
mußte, es sei um den Wilhelm Raabe nicht gerade zum besten bestellt, mau
wolle ihn wohl registrieren, nicht aber für ihn interessieren. Ich gebe nur den
Eindruck meiner Erinnerung wieder, um zu zeigen, daß es kein bloßer ver¬
drießlicher Zufall war, daß ich -- und wie viele haben es mir auch geklagt --
von so vielem, was jetzt mein Entzücken ist und es auch schon damals gewesen
sein würde, so lange keine oder doch keine deutliche Sehnsucht erweckende
Kunde erhielt.

Von Paul Heyse ist jedoch schon in meiner letzten Schülerzeit einiges an
mich gekommen, zunächst, was mich damals am meisten anzog, eine Anzahl
seiner schönsten Gedichte, nachher auch einige Novellen und der Roman "Kinder
der Welt", von dem ich einen tiefen, jedoch zwiespältigen Eindruck empfangen
habe. Es war also recht wenig, aber doch genug, mir des Dichters Bild
unauslöschlich einzuprägen und mich die Größe und Schönheit seiner Kunst
ahnen zu lassen. Dachte ich nun an ihn, so glänzte es mir aus der Ferne
entgegen, etwas Schönes und Leuchtendes, uoch geheimnisvoll Verschleiertes,
dein ich aber uoch einmal nahe kommen würde, das mir künftige stille, große
Freuden verhieß.

Es dauerte aber geraume Zeit, ehe es dazu kam, zunächst nahm mich die
Berufsarbeit ganz für sich in Anspruch und beschäftigte nur Herz und Gedanken.
Als ich dann aber, wieder an die Sehnsucht meiner jungen Jahre anknüpfend,
in der Welt der Dichtung Erquickung zu suchen begann, da lernte ich sie alle
nacheinander kennen, die große,: Sterne, die noch in meine Zeit hineingeleuchtet
hatten oder noch immer hineinleuchteten, und also auch und ganz besonders den
Meister der Novelle, Paul Heuse. Ich war wohl vorher zufällig an Novellen
geraten, die mir bei aller ihrer dichterischen Schönheit nicht recht lagen, sonst
hätte es mich gewiß schon früher zu ihm hingezogen, jetzt aber führte mich das
Glück sogleich zu meinen besonderen Lieblingen hin, "Lorenz und,Lore", dieser
vom keuschester Duft der Poesie überhauchten Novelle, und "Auferstehung",
"Beppe dem Sternseher", "Dem letzten Centaur" und andren mich immer von
neuem zu sich hinlockenden Geschichten. Da las ich ja auch mauches, was mich
kühler berührte, oder was mich sogar verstimmte, doch ging ich nie leer und
unbefriedigt von der Lektüre weg. Denn überall zeigte sich mir die wunderbare
Kunst, auch den sprödesten Stoff zu meistern, und an einem Einzelschicksal
ein bedeutendes allgemein menschliches Problem deutlich zu machen, das besonders
' organisierte und nnter besondern Umständen lebende und handelnde Menschen
auf ihre Art gelöst oder zu lösen versucht hatten. Dazu kam dann natürlich
die herrliche Kunst der Darstellung, der Sprache. Bei jedem Wiederlesen
leuchteten mir neue Schönheiten auf und Miner deutlicher hörte ich den Ton
jeder einzelnen Stimme heraus, jedes Schwanken und Schweben, den helleren
oder dunkleren Klang, das, was sonst nur das Ohr der lebendigen Stimme
abzulauschen vermag, was aber hier, ohne daß es uns der Dichter ^sagen muß.


Ein Frcnudesgruß an Paul r)eysc

worden war, die man nicht gerade zu den ersten und besten rechnete, vermuten
mußte, es sei um den Wilhelm Raabe nicht gerade zum besten bestellt, mau
wolle ihn wohl registrieren, nicht aber für ihn interessieren. Ich gebe nur den
Eindruck meiner Erinnerung wieder, um zu zeigen, daß es kein bloßer ver¬
drießlicher Zufall war, daß ich — und wie viele haben es mir auch geklagt —
von so vielem, was jetzt mein Entzücken ist und es auch schon damals gewesen
sein würde, so lange keine oder doch keine deutliche Sehnsucht erweckende
Kunde erhielt.

Von Paul Heyse ist jedoch schon in meiner letzten Schülerzeit einiges an
mich gekommen, zunächst, was mich damals am meisten anzog, eine Anzahl
seiner schönsten Gedichte, nachher auch einige Novellen und der Roman „Kinder
der Welt", von dem ich einen tiefen, jedoch zwiespältigen Eindruck empfangen
habe. Es war also recht wenig, aber doch genug, mir des Dichters Bild
unauslöschlich einzuprägen und mich die Größe und Schönheit seiner Kunst
ahnen zu lassen. Dachte ich nun an ihn, so glänzte es mir aus der Ferne
entgegen, etwas Schönes und Leuchtendes, uoch geheimnisvoll Verschleiertes,
dein ich aber uoch einmal nahe kommen würde, das mir künftige stille, große
Freuden verhieß.

Es dauerte aber geraume Zeit, ehe es dazu kam, zunächst nahm mich die
Berufsarbeit ganz für sich in Anspruch und beschäftigte nur Herz und Gedanken.
Als ich dann aber, wieder an die Sehnsucht meiner jungen Jahre anknüpfend,
in der Welt der Dichtung Erquickung zu suchen begann, da lernte ich sie alle
nacheinander kennen, die große,: Sterne, die noch in meine Zeit hineingeleuchtet
hatten oder noch immer hineinleuchteten, und also auch und ganz besonders den
Meister der Novelle, Paul Heuse. Ich war wohl vorher zufällig an Novellen
geraten, die mir bei aller ihrer dichterischen Schönheit nicht recht lagen, sonst
hätte es mich gewiß schon früher zu ihm hingezogen, jetzt aber führte mich das
Glück sogleich zu meinen besonderen Lieblingen hin, „Lorenz und,Lore", dieser
vom keuschester Duft der Poesie überhauchten Novelle, und „Auferstehung",
„Beppe dem Sternseher", „Dem letzten Centaur" und andren mich immer von
neuem zu sich hinlockenden Geschichten. Da las ich ja auch mauches, was mich
kühler berührte, oder was mich sogar verstimmte, doch ging ich nie leer und
unbefriedigt von der Lektüre weg. Denn überall zeigte sich mir die wunderbare
Kunst, auch den sprödesten Stoff zu meistern, und an einem Einzelschicksal
ein bedeutendes allgemein menschliches Problem deutlich zu machen, das besonders
' organisierte und nnter besondern Umständen lebende und handelnde Menschen
auf ihre Art gelöst oder zu lösen versucht hatten. Dazu kam dann natürlich
die herrliche Kunst der Darstellung, der Sprache. Bei jedem Wiederlesen
leuchteten mir neue Schönheiten auf und Miner deutlicher hörte ich den Ton
jeder einzelnen Stimme heraus, jedes Schwanken und Schweben, den helleren
oder dunkleren Klang, das, was sonst nur das Ohr der lebendigen Stimme
abzulauschen vermag, was aber hier, ohne daß es uns der Dichter ^sagen muß.


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[0455] Ein Frcnudesgruß an Paul r)eysc worden war, die man nicht gerade zu den ersten und besten rechnete, vermuten mußte, es sei um den Wilhelm Raabe nicht gerade zum besten bestellt, mau wolle ihn wohl registrieren, nicht aber für ihn interessieren. Ich gebe nur den Eindruck meiner Erinnerung wieder, um zu zeigen, daß es kein bloßer ver¬ drießlicher Zufall war, daß ich — und wie viele haben es mir auch geklagt — von so vielem, was jetzt mein Entzücken ist und es auch schon damals gewesen sein würde, so lange keine oder doch keine deutliche Sehnsucht erweckende Kunde erhielt. Von Paul Heyse ist jedoch schon in meiner letzten Schülerzeit einiges an mich gekommen, zunächst, was mich damals am meisten anzog, eine Anzahl seiner schönsten Gedichte, nachher auch einige Novellen und der Roman „Kinder der Welt", von dem ich einen tiefen, jedoch zwiespältigen Eindruck empfangen habe. Es war also recht wenig, aber doch genug, mir des Dichters Bild unauslöschlich einzuprägen und mich die Größe und Schönheit seiner Kunst ahnen zu lassen. Dachte ich nun an ihn, so glänzte es mir aus der Ferne entgegen, etwas Schönes und Leuchtendes, uoch geheimnisvoll Verschleiertes, dein ich aber uoch einmal nahe kommen würde, das mir künftige stille, große Freuden verhieß. Es dauerte aber geraume Zeit, ehe es dazu kam, zunächst nahm mich die Berufsarbeit ganz für sich in Anspruch und beschäftigte nur Herz und Gedanken. Als ich dann aber, wieder an die Sehnsucht meiner jungen Jahre anknüpfend, in der Welt der Dichtung Erquickung zu suchen begann, da lernte ich sie alle nacheinander kennen, die große,: Sterne, die noch in meine Zeit hineingeleuchtet hatten oder noch immer hineinleuchteten, und also auch und ganz besonders den Meister der Novelle, Paul Heuse. Ich war wohl vorher zufällig an Novellen geraten, die mir bei aller ihrer dichterischen Schönheit nicht recht lagen, sonst hätte es mich gewiß schon früher zu ihm hingezogen, jetzt aber führte mich das Glück sogleich zu meinen besonderen Lieblingen hin, „Lorenz und,Lore", dieser vom keuschester Duft der Poesie überhauchten Novelle, und „Auferstehung", „Beppe dem Sternseher", „Dem letzten Centaur" und andren mich immer von neuem zu sich hinlockenden Geschichten. Da las ich ja auch mauches, was mich kühler berührte, oder was mich sogar verstimmte, doch ging ich nie leer und unbefriedigt von der Lektüre weg. Denn überall zeigte sich mir die wunderbare Kunst, auch den sprödesten Stoff zu meistern, und an einem Einzelschicksal ein bedeutendes allgemein menschliches Problem deutlich zu machen, das besonders ' organisierte und nnter besondern Umständen lebende und handelnde Menschen auf ihre Art gelöst oder zu lösen versucht hatten. Dazu kam dann natürlich die herrliche Kunst der Darstellung, der Sprache. Bei jedem Wiederlesen leuchteten mir neue Schönheiten auf und Miner deutlicher hörte ich den Ton jeder einzelnen Stimme heraus, jedes Schwanken und Schweben, den helleren oder dunkleren Klang, das, was sonst nur das Ohr der lebendigen Stimme abzulauschen vermag, was aber hier, ohne daß es uns der Dichter ^sagen muß.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/455>, abgerufen am 22.12.2024.