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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Die Barbarina

Motive, wage ich es, mir die Kühnheit zu nehmen und Ihnen vorzustellen, Sire, daß
es mir niemals in den Sinn gekommen ist, mich dem Willen Ew. Majestät zu wider¬
setzen, dessen man mich seit meiner Ankunft Hierselbst beschuldigt, und ich glaube, daß
der Brief, den ich an Mylord Hyndfort geschrieben habe, klar genug meine Empfindungen
hierüber ausdrückt; denn in diesem Briefe habe ich ihm gesagt, in dem Falle, daß
Ew. Majestät, nachdem Sie sich von den Heiratsverpflichtungen unterrichtet haben,
die zwischen dem Fräulein Barbarina und mir vorhanden sind, für immer auf Ihrem
Beschluß verharren sollten, nach welchem sie sich nach Berlin begeben müßte, ich selbst
bereit wäre, sie zu Ew. Majestät Füßen zu geleiten. In bezug auf die, welche sich
mit so großem Nachdruck meiner ehelichen Verbindung widersetzen, kann ich Ew. Majestät
auf mein Ehrenwort hin versichern, daß die Gesetze meines Vaterlandes ihnen nicht
irgend ein eingebildetes Recht geben, mich weder, woran und worin immer es sei, zu
hindern noch zu stören, denn ich bin schon seit 6 Jahren mein eigener Herr, und die
ganze Welt hat bei uns gesehen, wie unabhängig ich von meinen Verwandten wie
vom Hofe war, weil ich im Parlament immer ein Gegner von ihnen gewesen bin.
Sie hätten sich, wenn ich dies nicht getan, vielleicht weniger bemüht, mich bei dieser
Gelegenheit zu ärgern. Sie wissen, daß ich zu den leicht erregbaren Sterblichen gehöre.
Sonst ist eS in England nichts Ungewöhnliches zu sehen, daß ein Mann aus bestem
Hause eine Frau von sehr niedrigem Herkommen heiratet, weil die Frauen sogleich den
Rang ihrer Ehegatten annehmen und hieraus für dieKinder, welche geboren werden könnten,
kein Unrecht erwächst; und ich kann in Wahrheit sagen, daß ich nach langem Grübeln und
Denken mich zu dieser Sache entschlossen habe, zu der ich mich so sehr verpflichtet fühle, daß
ich mit Ehren nicht mehr davon loskommen könnte, selbst wenn ich es wollte. Ich bitte
Ew. Majestät sehr ergebenst um Verzeihung, wenn ich mich, um den wenig günstigen
Eindruck, den sie von meinen Absichten und meinem Verhalten in dieser Sache gewonnen
haben, verpflichtet gefühlt habe, Sie mit diesen Einzelheiten zu behelligen und die
Wahrheit vom richtigen Gesichtspunkte aus Ew. Majestät zu Füßen zu legen, auf daß
Sie urteilen könnten, Sire, es sei nicht Unrecht zu wünschen, diese Dame möchte davon
entbunden sein, auf dem Theater zu erscheinen, nachdem die Verpflichtungen, die unter
uns bestehen, öffentlich bekannt geworden sind. Es ist nicht nötig, noch weiter darüber
zu reden, um Ew. Majestät es empfinden zu lassen, bis zu welchem Grade der Dank¬
barkeit eine solche Gnadenbezeigung mich verpflichten würde. Was mir am meisten zu
Herzen geht, hängt nur von Ihrer milden Gesinnung ab. Ich erwarte den Spruch mit
gebührender Unterwerfung, der ich mich verpflichte, für immer unverbrüchlich zu sein
in tiefster Ehrfurcht. Stuart de Machinzie."

Dieser bewegliche Brief enthüllt uns die edle Denkweise des schottischen Edel¬
mannes, und wir dürfen annehmen, daß auch der König bei dieser Lektüre nicht
ungerührt geblieben ist. Aber die Mißstimmung gegen den jungen Mann, der
ihm seine Kreise stören wollte, behielt doch die Oberhand. Darum verschwand
der Herzenserguß des Unglücklichen Liebhabers mit der eigenhändigen Bemerkung
des Königs am Schlüsse "kieponatur" im Aktenschranke des Archivs, und der
Schreiber blieb ohne Antwort. Statt dessen erhielt "die bezähmte Widerspenstige",
die am 8. Mai 1744 endlich in Berlin angelangt war, den kurzen Befehl, sie habe
nach einer Ruhepause von fünf Tagen in den Zwischenakten einer französischen
Komödie im Schloßtheater vor dem Könige zu tanzen. Der verzweifelnde Liebhaber
verließ bald die für ihn so ungastliche Stadt, vermutlich einem deutlichen Drucke
folgend. Auch dabei hat vielleicht der Vetter Hyndfort seine Hand im Spiele gehabt.

(Zwei Fortsetzungen folgen.)




Die Barbarina

Motive, wage ich es, mir die Kühnheit zu nehmen und Ihnen vorzustellen, Sire, daß
es mir niemals in den Sinn gekommen ist, mich dem Willen Ew. Majestät zu wider¬
setzen, dessen man mich seit meiner Ankunft Hierselbst beschuldigt, und ich glaube, daß
der Brief, den ich an Mylord Hyndfort geschrieben habe, klar genug meine Empfindungen
hierüber ausdrückt; denn in diesem Briefe habe ich ihm gesagt, in dem Falle, daß
Ew. Majestät, nachdem Sie sich von den Heiratsverpflichtungen unterrichtet haben,
die zwischen dem Fräulein Barbarina und mir vorhanden sind, für immer auf Ihrem
Beschluß verharren sollten, nach welchem sie sich nach Berlin begeben müßte, ich selbst
bereit wäre, sie zu Ew. Majestät Füßen zu geleiten. In bezug auf die, welche sich
mit so großem Nachdruck meiner ehelichen Verbindung widersetzen, kann ich Ew. Majestät
auf mein Ehrenwort hin versichern, daß die Gesetze meines Vaterlandes ihnen nicht
irgend ein eingebildetes Recht geben, mich weder, woran und worin immer es sei, zu
hindern noch zu stören, denn ich bin schon seit 6 Jahren mein eigener Herr, und die
ganze Welt hat bei uns gesehen, wie unabhängig ich von meinen Verwandten wie
vom Hofe war, weil ich im Parlament immer ein Gegner von ihnen gewesen bin.
Sie hätten sich, wenn ich dies nicht getan, vielleicht weniger bemüht, mich bei dieser
Gelegenheit zu ärgern. Sie wissen, daß ich zu den leicht erregbaren Sterblichen gehöre.
Sonst ist eS in England nichts Ungewöhnliches zu sehen, daß ein Mann aus bestem
Hause eine Frau von sehr niedrigem Herkommen heiratet, weil die Frauen sogleich den
Rang ihrer Ehegatten annehmen und hieraus für dieKinder, welche geboren werden könnten,
kein Unrecht erwächst; und ich kann in Wahrheit sagen, daß ich nach langem Grübeln und
Denken mich zu dieser Sache entschlossen habe, zu der ich mich so sehr verpflichtet fühle, daß
ich mit Ehren nicht mehr davon loskommen könnte, selbst wenn ich es wollte. Ich bitte
Ew. Majestät sehr ergebenst um Verzeihung, wenn ich mich, um den wenig günstigen
Eindruck, den sie von meinen Absichten und meinem Verhalten in dieser Sache gewonnen
haben, verpflichtet gefühlt habe, Sie mit diesen Einzelheiten zu behelligen und die
Wahrheit vom richtigen Gesichtspunkte aus Ew. Majestät zu Füßen zu legen, auf daß
Sie urteilen könnten, Sire, es sei nicht Unrecht zu wünschen, diese Dame möchte davon
entbunden sein, auf dem Theater zu erscheinen, nachdem die Verpflichtungen, die unter
uns bestehen, öffentlich bekannt geworden sind. Es ist nicht nötig, noch weiter darüber
zu reden, um Ew. Majestät es empfinden zu lassen, bis zu welchem Grade der Dank¬
barkeit eine solche Gnadenbezeigung mich verpflichten würde. Was mir am meisten zu
Herzen geht, hängt nur von Ihrer milden Gesinnung ab. Ich erwarte den Spruch mit
gebührender Unterwerfung, der ich mich verpflichte, für immer unverbrüchlich zu sein
in tiefster Ehrfurcht. Stuart de Machinzie."

Dieser bewegliche Brief enthüllt uns die edle Denkweise des schottischen Edel¬
mannes, und wir dürfen annehmen, daß auch der König bei dieser Lektüre nicht
ungerührt geblieben ist. Aber die Mißstimmung gegen den jungen Mann, der
ihm seine Kreise stören wollte, behielt doch die Oberhand. Darum verschwand
der Herzenserguß des Unglücklichen Liebhabers mit der eigenhändigen Bemerkung
des Königs am Schlüsse „kieponatur" im Aktenschranke des Archivs, und der
Schreiber blieb ohne Antwort. Statt dessen erhielt „die bezähmte Widerspenstige",
die am 8. Mai 1744 endlich in Berlin angelangt war, den kurzen Befehl, sie habe
nach einer Ruhepause von fünf Tagen in den Zwischenakten einer französischen
Komödie im Schloßtheater vor dem Könige zu tanzen. Der verzweifelnde Liebhaber
verließ bald die für ihn so ungastliche Stadt, vermutlich einem deutlichen Drucke
folgend. Auch dabei hat vielleicht der Vetter Hyndfort seine Hand im Spiele gehabt.

(Zwei Fortsetzungen folgen.)




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[0044] Die Barbarina Motive, wage ich es, mir die Kühnheit zu nehmen und Ihnen vorzustellen, Sire, daß es mir niemals in den Sinn gekommen ist, mich dem Willen Ew. Majestät zu wider¬ setzen, dessen man mich seit meiner Ankunft Hierselbst beschuldigt, und ich glaube, daß der Brief, den ich an Mylord Hyndfort geschrieben habe, klar genug meine Empfindungen hierüber ausdrückt; denn in diesem Briefe habe ich ihm gesagt, in dem Falle, daß Ew. Majestät, nachdem Sie sich von den Heiratsverpflichtungen unterrichtet haben, die zwischen dem Fräulein Barbarina und mir vorhanden sind, für immer auf Ihrem Beschluß verharren sollten, nach welchem sie sich nach Berlin begeben müßte, ich selbst bereit wäre, sie zu Ew. Majestät Füßen zu geleiten. In bezug auf die, welche sich mit so großem Nachdruck meiner ehelichen Verbindung widersetzen, kann ich Ew. Majestät auf mein Ehrenwort hin versichern, daß die Gesetze meines Vaterlandes ihnen nicht irgend ein eingebildetes Recht geben, mich weder, woran und worin immer es sei, zu hindern noch zu stören, denn ich bin schon seit 6 Jahren mein eigener Herr, und die ganze Welt hat bei uns gesehen, wie unabhängig ich von meinen Verwandten wie vom Hofe war, weil ich im Parlament immer ein Gegner von ihnen gewesen bin. Sie hätten sich, wenn ich dies nicht getan, vielleicht weniger bemüht, mich bei dieser Gelegenheit zu ärgern. Sie wissen, daß ich zu den leicht erregbaren Sterblichen gehöre. Sonst ist eS in England nichts Ungewöhnliches zu sehen, daß ein Mann aus bestem Hause eine Frau von sehr niedrigem Herkommen heiratet, weil die Frauen sogleich den Rang ihrer Ehegatten annehmen und hieraus für dieKinder, welche geboren werden könnten, kein Unrecht erwächst; und ich kann in Wahrheit sagen, daß ich nach langem Grübeln und Denken mich zu dieser Sache entschlossen habe, zu der ich mich so sehr verpflichtet fühle, daß ich mit Ehren nicht mehr davon loskommen könnte, selbst wenn ich es wollte. Ich bitte Ew. Majestät sehr ergebenst um Verzeihung, wenn ich mich, um den wenig günstigen Eindruck, den sie von meinen Absichten und meinem Verhalten in dieser Sache gewonnen haben, verpflichtet gefühlt habe, Sie mit diesen Einzelheiten zu behelligen und die Wahrheit vom richtigen Gesichtspunkte aus Ew. Majestät zu Füßen zu legen, auf daß Sie urteilen könnten, Sire, es sei nicht Unrecht zu wünschen, diese Dame möchte davon entbunden sein, auf dem Theater zu erscheinen, nachdem die Verpflichtungen, die unter uns bestehen, öffentlich bekannt geworden sind. Es ist nicht nötig, noch weiter darüber zu reden, um Ew. Majestät es empfinden zu lassen, bis zu welchem Grade der Dank¬ barkeit eine solche Gnadenbezeigung mich verpflichten würde. Was mir am meisten zu Herzen geht, hängt nur von Ihrer milden Gesinnung ab. Ich erwarte den Spruch mit gebührender Unterwerfung, der ich mich verpflichte, für immer unverbrüchlich zu sein in tiefster Ehrfurcht. Stuart de Machinzie." Dieser bewegliche Brief enthüllt uns die edle Denkweise des schottischen Edel¬ mannes, und wir dürfen annehmen, daß auch der König bei dieser Lektüre nicht ungerührt geblieben ist. Aber die Mißstimmung gegen den jungen Mann, der ihm seine Kreise stören wollte, behielt doch die Oberhand. Darum verschwand der Herzenserguß des Unglücklichen Liebhabers mit der eigenhändigen Bemerkung des Königs am Schlüsse „kieponatur" im Aktenschranke des Archivs, und der Schreiber blieb ohne Antwort. Statt dessen erhielt „die bezähmte Widerspenstige", die am 8. Mai 1744 endlich in Berlin angelangt war, den kurzen Befehl, sie habe nach einer Ruhepause von fünf Tagen in den Zwischenakten einer französischen Komödie im Schloßtheater vor dem Könige zu tanzen. Der verzweifelnde Liebhaber verließ bald die für ihn so ungastliche Stadt, vermutlich einem deutlichen Drucke folgend. Auch dabei hat vielleicht der Vetter Hyndfort seine Hand im Spiele gehabt. (Zwei Fortsetzungen folgen.)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/44>, abgerufen am 21.12.2024.