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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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l^allais und Wilamowitz

Bild der Sappho bildet Wilamowitz nach seinen: Wunsche pensionsmütterlich
um. Ist denn wirklich jede Liebe gleich ein Laster, wenn ihr etwas Sinnlich¬
keit beigemischt ist? Die unentwegte Unterscheidung von fleischlich und seelisch
ist bequem, aber ungeheuer grob. Und wenn Sappho nun doch etwas freier
lebte, als Wilamowitz wünscht, müßte sie dann vor ihm erröten? Oder würde
ihre hohe Stellung in der Dichtkunst davon berührt? Daß Wilamowitz in einer
kurzen Übersicht so viel Zeit für diese moralische Frage findet, beweist, daß
ihm das reine Auge des Beschauenden fehlt. -- Plato ist mit bloßem Wissen
nicht beizukommen, wenn nicht die Seele über Jahrtausende hinweg zur Seele
spricht. Was für Plato die Kunst, was für ihn die Mania war, kann
Wilamowitz nicht ahnen. Von den Dialogen sagt er: "Ihr Stil war gewisser¬
maßen gar kein Stil, denn er war immer wieder anders." (!) Mit Verehrung
redet er von dem Göttlichen in Plato. Kein geringes Selbstgefühl muß also
im modernen Philologen wohnen, wenn er auch diesem Göttlichen freundlich
auf die Schulter klopft und ihm vorhält, wie er es hätte anfangen
sollen, um berechtigten Ansprüchen zu genügen. "Am richtigsten wäre es
gewesen, wenn er dann zur Lehrschrift übergegangen wäre. Denn in: Laufe
der Zeit seiner Schulleitung kam ihm doch der Drang, nicht bloß zu widerlegen
und poetisch zu spielen, sondern die eigenen ernsten Gedanken zusanrnwn häng end
zu entwickeln. Aber er hatte die Form des Gesprächs, der Untersuchung statt
der Lehre so entschieden als die einzig berechtigte bezeichnet, daß er nicht zurück
konnte." Da hat uns nun Wilamowitz das jammervolle Mißgeschick des Philo¬
sophen enthüllt: die besten Mannesjahre hat er in poetischer Spielerei vergeudet,
es fehlte ihm eben doch der rechte Ernst, und als er das selbst einsah, war er
zu kleinlich und feige, auch nur das Programm der äußeren Form zu ändern!
Der Interpret sieht nicht, daß eine Idee sich oft reiner und unenthüllter im
Bilde offenbart als in logischen Entwicklungen. Es ist ergötzlich, zu welchen
Fehlern sich auch ein kluger Gelehrter in einfachen Urteilsfragen versteigen kann,
wenn er da belehren will, wo er hinnehmen und lernen sollte. Die ungemeine
Entwicklung und die Gegensätzlichkeiten Platos beweisen doch jedem Sehenden,
daß er sich nie an ein früheres Programm gebunden hat. Aber ich brach zu
früh ab -- da stand noch ein Sätzchen verlegen in: Winkel: "Er konnte auch
von der Poesie nicht lassen." Das ist nun allerdings sehr traurig, daß Plato,
aus dem Wilamowitz so gern den kahlen Wissenschaftler destillieren möchte,
durchaus nicht von der Poesie lassen konnte. Hier liegt der tiefe Grund,
warum Wilamowitz den Philosophen, den er liebt, züchtigt. Platos Reich war
größer und grenzenloser als das des Aristoteles, der nur im ganzen Gebiete
des Wissens herrschte. Die Welt will er schauen, und mehr: sie bilden nach
seinem Bilde. Liebe zum schönen und der Trieb, das Schöne zu schaffen,
fließen ihm im Eros zusammen. Dem Priester und Dichter, König in: Reich
der Seelen und Schöpfer einer Welt, was wäre ihm das zufällige Wissen
gewesen! Wilamowitz steht nicht im Dienste dieses geistigen Reiches und er


l^allais und Wilamowitz

Bild der Sappho bildet Wilamowitz nach seinen: Wunsche pensionsmütterlich
um. Ist denn wirklich jede Liebe gleich ein Laster, wenn ihr etwas Sinnlich¬
keit beigemischt ist? Die unentwegte Unterscheidung von fleischlich und seelisch
ist bequem, aber ungeheuer grob. Und wenn Sappho nun doch etwas freier
lebte, als Wilamowitz wünscht, müßte sie dann vor ihm erröten? Oder würde
ihre hohe Stellung in der Dichtkunst davon berührt? Daß Wilamowitz in einer
kurzen Übersicht so viel Zeit für diese moralische Frage findet, beweist, daß
ihm das reine Auge des Beschauenden fehlt. — Plato ist mit bloßem Wissen
nicht beizukommen, wenn nicht die Seele über Jahrtausende hinweg zur Seele
spricht. Was für Plato die Kunst, was für ihn die Mania war, kann
Wilamowitz nicht ahnen. Von den Dialogen sagt er: „Ihr Stil war gewisser¬
maßen gar kein Stil, denn er war immer wieder anders." (!) Mit Verehrung
redet er von dem Göttlichen in Plato. Kein geringes Selbstgefühl muß also
im modernen Philologen wohnen, wenn er auch diesem Göttlichen freundlich
auf die Schulter klopft und ihm vorhält, wie er es hätte anfangen
sollen, um berechtigten Ansprüchen zu genügen. „Am richtigsten wäre es
gewesen, wenn er dann zur Lehrschrift übergegangen wäre. Denn in: Laufe
der Zeit seiner Schulleitung kam ihm doch der Drang, nicht bloß zu widerlegen
und poetisch zu spielen, sondern die eigenen ernsten Gedanken zusanrnwn häng end
zu entwickeln. Aber er hatte die Form des Gesprächs, der Untersuchung statt
der Lehre so entschieden als die einzig berechtigte bezeichnet, daß er nicht zurück
konnte." Da hat uns nun Wilamowitz das jammervolle Mißgeschick des Philo¬
sophen enthüllt: die besten Mannesjahre hat er in poetischer Spielerei vergeudet,
es fehlte ihm eben doch der rechte Ernst, und als er das selbst einsah, war er
zu kleinlich und feige, auch nur das Programm der äußeren Form zu ändern!
Der Interpret sieht nicht, daß eine Idee sich oft reiner und unenthüllter im
Bilde offenbart als in logischen Entwicklungen. Es ist ergötzlich, zu welchen
Fehlern sich auch ein kluger Gelehrter in einfachen Urteilsfragen versteigen kann,
wenn er da belehren will, wo er hinnehmen und lernen sollte. Die ungemeine
Entwicklung und die Gegensätzlichkeiten Platos beweisen doch jedem Sehenden,
daß er sich nie an ein früheres Programm gebunden hat. Aber ich brach zu
früh ab — da stand noch ein Sätzchen verlegen in: Winkel: „Er konnte auch
von der Poesie nicht lassen." Das ist nun allerdings sehr traurig, daß Plato,
aus dem Wilamowitz so gern den kahlen Wissenschaftler destillieren möchte,
durchaus nicht von der Poesie lassen konnte. Hier liegt der tiefe Grund,
warum Wilamowitz den Philosophen, den er liebt, züchtigt. Platos Reich war
größer und grenzenloser als das des Aristoteles, der nur im ganzen Gebiete
des Wissens herrschte. Die Welt will er schauen, und mehr: sie bilden nach
seinem Bilde. Liebe zum schönen und der Trieb, das Schöne zu schaffen,
fließen ihm im Eros zusammen. Dem Priester und Dichter, König in: Reich
der Seelen und Schöpfer einer Welt, was wäre ihm das zufällige Wissen
gewesen! Wilamowitz steht nicht im Dienste dieses geistigen Reiches und er


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[0432] l^allais und Wilamowitz Bild der Sappho bildet Wilamowitz nach seinen: Wunsche pensionsmütterlich um. Ist denn wirklich jede Liebe gleich ein Laster, wenn ihr etwas Sinnlich¬ keit beigemischt ist? Die unentwegte Unterscheidung von fleischlich und seelisch ist bequem, aber ungeheuer grob. Und wenn Sappho nun doch etwas freier lebte, als Wilamowitz wünscht, müßte sie dann vor ihm erröten? Oder würde ihre hohe Stellung in der Dichtkunst davon berührt? Daß Wilamowitz in einer kurzen Übersicht so viel Zeit für diese moralische Frage findet, beweist, daß ihm das reine Auge des Beschauenden fehlt. — Plato ist mit bloßem Wissen nicht beizukommen, wenn nicht die Seele über Jahrtausende hinweg zur Seele spricht. Was für Plato die Kunst, was für ihn die Mania war, kann Wilamowitz nicht ahnen. Von den Dialogen sagt er: „Ihr Stil war gewisser¬ maßen gar kein Stil, denn er war immer wieder anders." (!) Mit Verehrung redet er von dem Göttlichen in Plato. Kein geringes Selbstgefühl muß also im modernen Philologen wohnen, wenn er auch diesem Göttlichen freundlich auf die Schulter klopft und ihm vorhält, wie er es hätte anfangen sollen, um berechtigten Ansprüchen zu genügen. „Am richtigsten wäre es gewesen, wenn er dann zur Lehrschrift übergegangen wäre. Denn in: Laufe der Zeit seiner Schulleitung kam ihm doch der Drang, nicht bloß zu widerlegen und poetisch zu spielen, sondern die eigenen ernsten Gedanken zusanrnwn häng end zu entwickeln. Aber er hatte die Form des Gesprächs, der Untersuchung statt der Lehre so entschieden als die einzig berechtigte bezeichnet, daß er nicht zurück konnte." Da hat uns nun Wilamowitz das jammervolle Mißgeschick des Philo¬ sophen enthüllt: die besten Mannesjahre hat er in poetischer Spielerei vergeudet, es fehlte ihm eben doch der rechte Ernst, und als er das selbst einsah, war er zu kleinlich und feige, auch nur das Programm der äußeren Form zu ändern! Der Interpret sieht nicht, daß eine Idee sich oft reiner und unenthüllter im Bilde offenbart als in logischen Entwicklungen. Es ist ergötzlich, zu welchen Fehlern sich auch ein kluger Gelehrter in einfachen Urteilsfragen versteigen kann, wenn er da belehren will, wo er hinnehmen und lernen sollte. Die ungemeine Entwicklung und die Gegensätzlichkeiten Platos beweisen doch jedem Sehenden, daß er sich nie an ein früheres Programm gebunden hat. Aber ich brach zu früh ab — da stand noch ein Sätzchen verlegen in: Winkel: „Er konnte auch von der Poesie nicht lassen." Das ist nun allerdings sehr traurig, daß Plato, aus dem Wilamowitz so gern den kahlen Wissenschaftler destillieren möchte, durchaus nicht von der Poesie lassen konnte. Hier liegt der tiefe Grund, warum Wilamowitz den Philosophen, den er liebt, züchtigt. Platos Reich war größer und grenzenloser als das des Aristoteles, der nur im ganzen Gebiete des Wissens herrschte. Die Welt will er schauen, und mehr: sie bilden nach seinem Bilde. Liebe zum schönen und der Trieb, das Schöne zu schaffen, fließen ihm im Eros zusammen. Dem Priester und Dichter, König in: Reich der Seelen und Schöpfer einer Welt, was wäre ihm das zufällige Wissen gewesen! Wilamowitz steht nicht im Dienste dieses geistigen Reiches und er

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/432>, abgerufen am 22.12.2024.