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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Hellas und wilamowitz

sehr lieben wir das höchste Leben, daß wir lieber die Vernichtung wählen als
uns zu erniedrigen; wenig aber liegt uns an unserem Glücke, uns Schützlingen
des Prometheus, uns Dionysischen!

Auf diesem Grunde müssen wir die Geschehnisse der Ödipusrragödie auf¬
bauen. Man irrt, wenn man erwartet, die Spannung löse sich, nachdem die
Blutschande bekannt, Iokaste tot, Ödipus geblendet ist. Im Gegenteil, wir fühlen
die Spannung sich noch furchtbar erhöhen. Denn noch schwebt die bange Frage
über dem Chor, wie der König sein Unglück trägt. Hat er tröstlichen Frieden
rin den Göttern gemacht, oder sich stumpfen Blicks in das Unvermeidliche
gefügt, oder wird er in sinnloser Wut lästern? In atemloser Spannung hängen
die Blicke an dem Tore des Palastes: In welcher Haltung wird der König
hervorgehen? -- Ein Heros I antwortet Sophokles . . . Ein armer SünderI
verbessert Wilamowitz.

Aus allen Antworten des Königs klingt auch jetzt noch sein Stolz, sein
Amor lati. Er will sein Unglück steigern, nicht lindern; er sieht es als ein
Unerhörtes an, das niemand außer ihm imstande sei zu tragen. Er will sich
selbst die härtesten Strafen auferlegen, um dem Richtenden zuvorzukommen.
Diese heroische Größe ist nun einmal gegen des Wilamowitz Geschmack. Hier
nur wenige Beispiele, wie er sie zu verringern sucht. "Wohin riß mich der
Dämon?" fragt Ödipus. Der Chor antwortet: "z^ s^v°v." Hölderlin: "In
Gewaltiges." Wilamowitz: "In Elend." K"x-- wird mit Frevel (Hölderlin:
Unglück), -r>.",i,u.v, Dulder, mit Frevler übersetzt. Und nun ein Höhepunkt,
Verse, in denen sich der grollende Zorn der duldenden Leidenschaft in diesem
gewaltigen Donner entlädt:

Die Übersetzung lautet etwa:

Wilamowitz:

zxvp°5. der ebenbürtige Feind, wird in "verstoßen" umgebogen, denn
Wilamowitz wünscht einen armen Sünder, der an verschlossenen Türen jammert.
Li 8- ^ noea^tu^vo ^ x"xou xsxov -rolln' ^Xa/' OKmou-: heißt etwa: "Und WLNN es
ein Übel gab, größer als je ein Übel, das erlöste sich Ödipus." Wilamowitz:
Ja, jegliche Sünde, ist sie nur scheußlich, tat sie Ödipus." (!) Ich denke,
Sophokles hat es schön ausgedrückt: Von einem zufälligen Schicksal, vom .Los'


Hellas und wilamowitz

sehr lieben wir das höchste Leben, daß wir lieber die Vernichtung wählen als
uns zu erniedrigen; wenig aber liegt uns an unserem Glücke, uns Schützlingen
des Prometheus, uns Dionysischen!

Auf diesem Grunde müssen wir die Geschehnisse der Ödipusrragödie auf¬
bauen. Man irrt, wenn man erwartet, die Spannung löse sich, nachdem die
Blutschande bekannt, Iokaste tot, Ödipus geblendet ist. Im Gegenteil, wir fühlen
die Spannung sich noch furchtbar erhöhen. Denn noch schwebt die bange Frage
über dem Chor, wie der König sein Unglück trägt. Hat er tröstlichen Frieden
rin den Göttern gemacht, oder sich stumpfen Blicks in das Unvermeidliche
gefügt, oder wird er in sinnloser Wut lästern? In atemloser Spannung hängen
die Blicke an dem Tore des Palastes: In welcher Haltung wird der König
hervorgehen? — Ein Heros I antwortet Sophokles . . . Ein armer SünderI
verbessert Wilamowitz.

Aus allen Antworten des Königs klingt auch jetzt noch sein Stolz, sein
Amor lati. Er will sein Unglück steigern, nicht lindern; er sieht es als ein
Unerhörtes an, das niemand außer ihm imstande sei zu tragen. Er will sich
selbst die härtesten Strafen auferlegen, um dem Richtenden zuvorzukommen.
Diese heroische Größe ist nun einmal gegen des Wilamowitz Geschmack. Hier
nur wenige Beispiele, wie er sie zu verringern sucht. „Wohin riß mich der
Dämon?" fragt Ödipus. Der Chor antwortet: „z^ s^v°v." Hölderlin: „In
Gewaltiges." Wilamowitz: „In Elend." K«x-- wird mit Frevel (Hölderlin:
Unglück), -r>.«,i,u.v, Dulder, mit Frevler übersetzt. Und nun ein Höhepunkt,
Verse, in denen sich der grollende Zorn der duldenden Leidenschaft in diesem
gewaltigen Donner entlädt:

Die Übersetzung lautet etwa:

Wilamowitz:

zxvp°5. der ebenbürtige Feind, wird in „verstoßen" umgebogen, denn
Wilamowitz wünscht einen armen Sünder, der an verschlossenen Türen jammert.
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ein Übel gab, größer als je ein Übel, das erlöste sich Ödipus." Wilamowitz:
Ja, jegliche Sünde, ist sie nur scheußlich, tat sie Ödipus." (!) Ich denke,
Sophokles hat es schön ausgedrückt: Von einem zufälligen Schicksal, vom .Los'


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[0430] Hellas und wilamowitz sehr lieben wir das höchste Leben, daß wir lieber die Vernichtung wählen als uns zu erniedrigen; wenig aber liegt uns an unserem Glücke, uns Schützlingen des Prometheus, uns Dionysischen! Auf diesem Grunde müssen wir die Geschehnisse der Ödipusrragödie auf¬ bauen. Man irrt, wenn man erwartet, die Spannung löse sich, nachdem die Blutschande bekannt, Iokaste tot, Ödipus geblendet ist. Im Gegenteil, wir fühlen die Spannung sich noch furchtbar erhöhen. Denn noch schwebt die bange Frage über dem Chor, wie der König sein Unglück trägt. Hat er tröstlichen Frieden rin den Göttern gemacht, oder sich stumpfen Blicks in das Unvermeidliche gefügt, oder wird er in sinnloser Wut lästern? In atemloser Spannung hängen die Blicke an dem Tore des Palastes: In welcher Haltung wird der König hervorgehen? — Ein Heros I antwortet Sophokles . . . Ein armer SünderI verbessert Wilamowitz. Aus allen Antworten des Königs klingt auch jetzt noch sein Stolz, sein Amor lati. Er will sein Unglück steigern, nicht lindern; er sieht es als ein Unerhörtes an, das niemand außer ihm imstande sei zu tragen. Er will sich selbst die härtesten Strafen auferlegen, um dem Richtenden zuvorzukommen. Diese heroische Größe ist nun einmal gegen des Wilamowitz Geschmack. Hier nur wenige Beispiele, wie er sie zu verringern sucht. „Wohin riß mich der Dämon?" fragt Ödipus. Der Chor antwortet: „z^ s^v°v." Hölderlin: „In Gewaltiges." Wilamowitz: „In Elend." K«x-- wird mit Frevel (Hölderlin: Unglück), -r>.«,i,u.v, Dulder, mit Frevler übersetzt. Und nun ein Höhepunkt, Verse, in denen sich der grollende Zorn der duldenden Leidenschaft in diesem gewaltigen Donner entlädt: Die Übersetzung lautet etwa: Wilamowitz: zxvp°5. der ebenbürtige Feind, wird in „verstoßen" umgebogen, denn Wilamowitz wünscht einen armen Sünder, der an verschlossenen Türen jammert. Li 8- ^ noea^tu^vo ^ x«xou xsxov -rolln' ^Xa/' OKmou-: heißt etwa: „Und WLNN es ein Übel gab, größer als je ein Übel, das erlöste sich Ödipus." Wilamowitz: Ja, jegliche Sünde, ist sie nur scheußlich, tat sie Ödipus." (!) Ich denke, Sophokles hat es schön ausgedrückt: Von einem zufälligen Schicksal, vom .Los'

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/430>, abgerufen am 04.07.2024.