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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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von den Schwaben in Südungarn

schwäbischen Landsleute, die ich zu suchen gedachte, hatten mich gefunden. Ein
Wort gab das andere und der schwäbische Landsmann, welcher den noch jetzt
in Württemberg häufigen Namen Schran führte, machte mir meinen Feldzugs¬
plan für die nächsten Tage.

Durch einen eigenartigen Zufall kam ich auf diese Weise zuerst in eines
der nicht sehr zahlreichen Dörfer, die von protestantischen Deutschen und dazu
von Landsleuten im engsten Sinn des Wortes, nämlich von Einwanderern aus
dem damaligen Herzogtum Württemberg selbst besiedelt sind, während die Mehr¬
zahl der ungarischen Schwaben aus den erst durch Napoleon I. zu Württemberg
gekommenen, "vorderösterreichischen Herrschaften" und andern katholischen Gegenden
stammt. Der Ort hieß Neupasua und liegt südlich der save, also nicht im
eigentlichen Ungarn, sondern in Slavonien. Vom Bahnhof aus wäre ich zunächst
beinahe nach Ältpasua zu den Slovaken gekommen, schloß mich aber noch recht¬
zeitig an ein altes Weiblein an, die mich nach gut schwäbischer Weise gründlich
ausfragte. Sie witterte hinter meiner für sie gänzlich unverständlichen Reise
nach Pasua irgendeinen geheimen Zweck, führte mich aber doch ans Pfarrhaus.
Auch beim Pfarrer wollte es anfangs nicht recht klappen. Der Mann war kein
Schwabe, sondern ein Deutscher aus Nordungarn, der in seinen: ganzen Aus¬
sehen und Auftreten mehr an einen englischen Pastor erinnerte, unter anderem
auch auf seinem Schreibtisch eine Pistole und Pistolenmunition liegen hatte. Er
drehte meine Besuchskarte erst mehrmals herum, betrachtete mich von oben bis
unten und fragte mich schließlich auf den Kopf, ob ich nicht von einer gewissen
Sekte in Stuttgart geschickt sei. Als ich ihn: darüber beruhigende Auskunft
gegeben hatte, sagte er entschuldigend, daß schou Leute von dieser Sekte da¬
gewesen seien, und daß ihm dies natürlich nicht angenehm sein könne; schließlich
wurde er aber ganz liebenswürdig und führte mich zu einem der Lehrer des
Ortes, namens Falkenbnrger. Nun war ich an die richtige Stelle gekommen.
Herr Falkenburger war offenbar seinerseits ebenfalls erfreut, einen schwäbischen
"Vetter" zu sehen, und gab sich die größte Mühe, mich in kürzester Zeit mit
Neupasua und den Neupasucmer Schwaben bekannt zu machen. Nachdem wir
einen Blick in eines der vier stattlichen Schulgebäude geworfen hatten, führte er
mich in ein sehr gut aussehendes Anwesen, dessen Besitzer er mit "Guten Abend,
Vogel-Vetter!" begrüßte. Wenn ich irgend noch im Zweifel gewesen wäre über
den schwäbischen Ursprung der Neupnsuaner, so hätten mich die vielen "Vetter"
und "Baste," die nur so herumflogen, überzeugt. Um so erstaunlicher war es,
daß ich nicht ein einziges mal "Grüß Gott" zu hören bekam. Auch sonst fiel
mir neben manchem Kernschwäbischen auch Nichtschwäbisches auf, z. B. daß die
Leute Parrer statt Pfarrer, Glöckner statt Meßner sagten. Wenn auch mein
freundlicher Führer bestimmt versicherte, daß die Vorfahren der Neupasucmer
aus dem damaligen Herzogtum Württemberg eingewandert seien, so wird man
aus dem einen Wort Parrer schon entnehmen müssen, daß ein Teil von ihnen
ans der fränkischen Nachbarschaft, sei es aus der "Palz" oder aus dem Hohen-
lohischen, stammt. Sein eigener Urgroßvater, erzählte mein Führer, sei als
"Schuster, Lehrer und Glöckner" mit eingewandert und habe mit den andern
von 1791 bis 1793 unter Zeiten kampiert, bis deu Einwanderern ein Teil der
Markung der älteren slovakischen Kolonie Pasua angewiesen wurde.

Wer das Dorf und seine Bauern heute sieht, hält es nicht für möglich,
daß diese Leute oder ihre Vorfahren vor nicht viel mehr als hundert Jahren mit
nichts angefangen haben. Das Dorf hat sich so vergrößert, daß seine Häuser
zum Teil schon auf der Mcrrkmig der benachbarten, heute noch von Slovaken


von den Schwaben in Südungarn

schwäbischen Landsleute, die ich zu suchen gedachte, hatten mich gefunden. Ein
Wort gab das andere und der schwäbische Landsmann, welcher den noch jetzt
in Württemberg häufigen Namen Schran führte, machte mir meinen Feldzugs¬
plan für die nächsten Tage.

Durch einen eigenartigen Zufall kam ich auf diese Weise zuerst in eines
der nicht sehr zahlreichen Dörfer, die von protestantischen Deutschen und dazu
von Landsleuten im engsten Sinn des Wortes, nämlich von Einwanderern aus
dem damaligen Herzogtum Württemberg selbst besiedelt sind, während die Mehr¬
zahl der ungarischen Schwaben aus den erst durch Napoleon I. zu Württemberg
gekommenen, „vorderösterreichischen Herrschaften" und andern katholischen Gegenden
stammt. Der Ort hieß Neupasua und liegt südlich der save, also nicht im
eigentlichen Ungarn, sondern in Slavonien. Vom Bahnhof aus wäre ich zunächst
beinahe nach Ältpasua zu den Slovaken gekommen, schloß mich aber noch recht¬
zeitig an ein altes Weiblein an, die mich nach gut schwäbischer Weise gründlich
ausfragte. Sie witterte hinter meiner für sie gänzlich unverständlichen Reise
nach Pasua irgendeinen geheimen Zweck, führte mich aber doch ans Pfarrhaus.
Auch beim Pfarrer wollte es anfangs nicht recht klappen. Der Mann war kein
Schwabe, sondern ein Deutscher aus Nordungarn, der in seinen: ganzen Aus¬
sehen und Auftreten mehr an einen englischen Pastor erinnerte, unter anderem
auch auf seinem Schreibtisch eine Pistole und Pistolenmunition liegen hatte. Er
drehte meine Besuchskarte erst mehrmals herum, betrachtete mich von oben bis
unten und fragte mich schließlich auf den Kopf, ob ich nicht von einer gewissen
Sekte in Stuttgart geschickt sei. Als ich ihn: darüber beruhigende Auskunft
gegeben hatte, sagte er entschuldigend, daß schou Leute von dieser Sekte da¬
gewesen seien, und daß ihm dies natürlich nicht angenehm sein könne; schließlich
wurde er aber ganz liebenswürdig und führte mich zu einem der Lehrer des
Ortes, namens Falkenbnrger. Nun war ich an die richtige Stelle gekommen.
Herr Falkenburger war offenbar seinerseits ebenfalls erfreut, einen schwäbischen
„Vetter" zu sehen, und gab sich die größte Mühe, mich in kürzester Zeit mit
Neupasua und den Neupasucmer Schwaben bekannt zu machen. Nachdem wir
einen Blick in eines der vier stattlichen Schulgebäude geworfen hatten, führte er
mich in ein sehr gut aussehendes Anwesen, dessen Besitzer er mit „Guten Abend,
Vogel-Vetter!" begrüßte. Wenn ich irgend noch im Zweifel gewesen wäre über
den schwäbischen Ursprung der Neupnsuaner, so hätten mich die vielen „Vetter"
und „Baste," die nur so herumflogen, überzeugt. Um so erstaunlicher war es,
daß ich nicht ein einziges mal „Grüß Gott" zu hören bekam. Auch sonst fiel
mir neben manchem Kernschwäbischen auch Nichtschwäbisches auf, z. B. daß die
Leute Parrer statt Pfarrer, Glöckner statt Meßner sagten. Wenn auch mein
freundlicher Führer bestimmt versicherte, daß die Vorfahren der Neupasucmer
aus dem damaligen Herzogtum Württemberg eingewandert seien, so wird man
aus dem einen Wort Parrer schon entnehmen müssen, daß ein Teil von ihnen
ans der fränkischen Nachbarschaft, sei es aus der „Palz" oder aus dem Hohen-
lohischen, stammt. Sein eigener Urgroßvater, erzählte mein Führer, sei als
„Schuster, Lehrer und Glöckner" mit eingewandert und habe mit den andern
von 1791 bis 1793 unter Zeiten kampiert, bis deu Einwanderern ein Teil der
Markung der älteren slovakischen Kolonie Pasua angewiesen wurde.

Wer das Dorf und seine Bauern heute sieht, hält es nicht für möglich,
daß diese Leute oder ihre Vorfahren vor nicht viel mehr als hundert Jahren mit
nichts angefangen haben. Das Dorf hat sich so vergrößert, daß seine Häuser
zum Teil schon auf der Mcrrkmig der benachbarten, heute noch von Slovaken


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[0411] von den Schwaben in Südungarn schwäbischen Landsleute, die ich zu suchen gedachte, hatten mich gefunden. Ein Wort gab das andere und der schwäbische Landsmann, welcher den noch jetzt in Württemberg häufigen Namen Schran führte, machte mir meinen Feldzugs¬ plan für die nächsten Tage. Durch einen eigenartigen Zufall kam ich auf diese Weise zuerst in eines der nicht sehr zahlreichen Dörfer, die von protestantischen Deutschen und dazu von Landsleuten im engsten Sinn des Wortes, nämlich von Einwanderern aus dem damaligen Herzogtum Württemberg selbst besiedelt sind, während die Mehr¬ zahl der ungarischen Schwaben aus den erst durch Napoleon I. zu Württemberg gekommenen, „vorderösterreichischen Herrschaften" und andern katholischen Gegenden stammt. Der Ort hieß Neupasua und liegt südlich der save, also nicht im eigentlichen Ungarn, sondern in Slavonien. Vom Bahnhof aus wäre ich zunächst beinahe nach Ältpasua zu den Slovaken gekommen, schloß mich aber noch recht¬ zeitig an ein altes Weiblein an, die mich nach gut schwäbischer Weise gründlich ausfragte. Sie witterte hinter meiner für sie gänzlich unverständlichen Reise nach Pasua irgendeinen geheimen Zweck, führte mich aber doch ans Pfarrhaus. Auch beim Pfarrer wollte es anfangs nicht recht klappen. Der Mann war kein Schwabe, sondern ein Deutscher aus Nordungarn, der in seinen: ganzen Aus¬ sehen und Auftreten mehr an einen englischen Pastor erinnerte, unter anderem auch auf seinem Schreibtisch eine Pistole und Pistolenmunition liegen hatte. Er drehte meine Besuchskarte erst mehrmals herum, betrachtete mich von oben bis unten und fragte mich schließlich auf den Kopf, ob ich nicht von einer gewissen Sekte in Stuttgart geschickt sei. Als ich ihn: darüber beruhigende Auskunft gegeben hatte, sagte er entschuldigend, daß schou Leute von dieser Sekte da¬ gewesen seien, und daß ihm dies natürlich nicht angenehm sein könne; schließlich wurde er aber ganz liebenswürdig und führte mich zu einem der Lehrer des Ortes, namens Falkenbnrger. Nun war ich an die richtige Stelle gekommen. Herr Falkenburger war offenbar seinerseits ebenfalls erfreut, einen schwäbischen „Vetter" zu sehen, und gab sich die größte Mühe, mich in kürzester Zeit mit Neupasua und den Neupasucmer Schwaben bekannt zu machen. Nachdem wir einen Blick in eines der vier stattlichen Schulgebäude geworfen hatten, führte er mich in ein sehr gut aussehendes Anwesen, dessen Besitzer er mit „Guten Abend, Vogel-Vetter!" begrüßte. Wenn ich irgend noch im Zweifel gewesen wäre über den schwäbischen Ursprung der Neupnsuaner, so hätten mich die vielen „Vetter" und „Baste," die nur so herumflogen, überzeugt. Um so erstaunlicher war es, daß ich nicht ein einziges mal „Grüß Gott" zu hören bekam. Auch sonst fiel mir neben manchem Kernschwäbischen auch Nichtschwäbisches auf, z. B. daß die Leute Parrer statt Pfarrer, Glöckner statt Meßner sagten. Wenn auch mein freundlicher Führer bestimmt versicherte, daß die Vorfahren der Neupasucmer aus dem damaligen Herzogtum Württemberg eingewandert seien, so wird man aus dem einen Wort Parrer schon entnehmen müssen, daß ein Teil von ihnen ans der fränkischen Nachbarschaft, sei es aus der „Palz" oder aus dem Hohen- lohischen, stammt. Sein eigener Urgroßvater, erzählte mein Führer, sei als „Schuster, Lehrer und Glöckner" mit eingewandert und habe mit den andern von 1791 bis 1793 unter Zeiten kampiert, bis deu Einwanderern ein Teil der Markung der älteren slovakischen Kolonie Pasua angewiesen wurde. Wer das Dorf und seine Bauern heute sieht, hält es nicht für möglich, daß diese Leute oder ihre Vorfahren vor nicht viel mehr als hundert Jahren mit nichts angefangen haben. Das Dorf hat sich so vergrößert, daß seine Häuser zum Teil schon auf der Mcrrkmig der benachbarten, heute noch von Slovaken

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/411>, abgerufen am 22.12.2024.