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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Richard Dehmel

Soll ich Dehmels Dichtungen analysieren? Soll ich einzelne Strophen und
Verse zergliedern und daran seine Sprachgewalt, seine Wortkunst, Vokalmalerei,
Alliteration usw. erläutern? Soll ich darlegen, wie er mit Bedacht jede Silbe
auf ihren Wert prüft, ob sie dem, was ihn erfüllt, zum lebendigsten Ausdruck
verhelfe? Wie er bald helle Vokale, kurzsilbige Worte, bald konsonantenschwere,
wuchtige Worte mit langverhallenden Vokalen wählt? Etwa wie er ("Der
Stieglitz") ein in brütender Sonnenhitze liegendes Distelfeld unseren Angen
und Ohren, ja unserem Gefühl nahebringt:

Oder wenn er von einer Toten sagt ("Ein Grab"):

so malt im letzten Vers die schwere Fülle der Konsonanten, die zum langsamen
Lesen zwingt, das ganze Schalten und die Persönlichkeit der zu früh Verstorbenen,
die den Dichter geliebt hat. Man sieht sie fürsorglich, still und leise walten.
Man fühlt, wie sie es mit zärtlicher, scheuer Liebe und mit verschwiegenen
Leiden tut.

All solche Untersuchungen will ich anderen überlassen. Schon sind Bücher
über Dehmel geschrieben und mehr werden ihnen folgen. Die oben wieder¬
gegebenen Gedichte, die -- fast möchte ich sagen: aufs Geratewohl -- aus dem
ersten Bande herausgegriffen sind, zeugen besser für den Dichter als die liebe¬
vollsten Ausführungen über seine Kunst. Welcher Rhythmus, welche Musik in
seinen Versen leben, wie sie Sonne und Farbe strahlen, wie Bewegung uno
Stimmung darin finden und fließen, zeigt das folgende Gedicht.

Blick ins Licht
Still vom Beinen zu Bäumen schaukeln
Meinen Kahn die llferwellen;
Märchenblütenblau umgaukeln
Meine Fahrt die Schilflioelleu,
Schatten küssen den Boden der Flut.
Durch die dunkle Wölbung der Erlen
-- Welch ein funkelndes Verschwenden --
streut die Sonne mit goldenen Händen
Silberne Perlen
In die smaragdenen Wirbel der Flut.
Durch die Flucht der Strahlen schweben
Bang nach oben meine Träume,
Wo die Bäume
Ihre krausen Häupter heben
In des Himmels ruhige Flut.

Richard Dehmel

Soll ich Dehmels Dichtungen analysieren? Soll ich einzelne Strophen und
Verse zergliedern und daran seine Sprachgewalt, seine Wortkunst, Vokalmalerei,
Alliteration usw. erläutern? Soll ich darlegen, wie er mit Bedacht jede Silbe
auf ihren Wert prüft, ob sie dem, was ihn erfüllt, zum lebendigsten Ausdruck
verhelfe? Wie er bald helle Vokale, kurzsilbige Worte, bald konsonantenschwere,
wuchtige Worte mit langverhallenden Vokalen wählt? Etwa wie er („Der
Stieglitz") ein in brütender Sonnenhitze liegendes Distelfeld unseren Angen
und Ohren, ja unserem Gefühl nahebringt:

Oder wenn er von einer Toten sagt („Ein Grab"):

so malt im letzten Vers die schwere Fülle der Konsonanten, die zum langsamen
Lesen zwingt, das ganze Schalten und die Persönlichkeit der zu früh Verstorbenen,
die den Dichter geliebt hat. Man sieht sie fürsorglich, still und leise walten.
Man fühlt, wie sie es mit zärtlicher, scheuer Liebe und mit verschwiegenen
Leiden tut.

All solche Untersuchungen will ich anderen überlassen. Schon sind Bücher
über Dehmel geschrieben und mehr werden ihnen folgen. Die oben wieder¬
gegebenen Gedichte, die — fast möchte ich sagen: aufs Geratewohl — aus dem
ersten Bande herausgegriffen sind, zeugen besser für den Dichter als die liebe¬
vollsten Ausführungen über seine Kunst. Welcher Rhythmus, welche Musik in
seinen Versen leben, wie sie Sonne und Farbe strahlen, wie Bewegung uno
Stimmung darin finden und fließen, zeigt das folgende Gedicht.

Blick ins Licht
Still vom Beinen zu Bäumen schaukeln
Meinen Kahn die llferwellen;
Märchenblütenblau umgaukeln
Meine Fahrt die Schilflioelleu,
Schatten küssen den Boden der Flut.
Durch die dunkle Wölbung der Erlen
— Welch ein funkelndes Verschwenden —
streut die Sonne mit goldenen Händen
Silberne Perlen
In die smaragdenen Wirbel der Flut.
Durch die Flucht der Strahlen schweben
Bang nach oben meine Träume,
Wo die Bäume
Ihre krausen Häupter heben
In des Himmels ruhige Flut.

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[0406] Richard Dehmel Soll ich Dehmels Dichtungen analysieren? Soll ich einzelne Strophen und Verse zergliedern und daran seine Sprachgewalt, seine Wortkunst, Vokalmalerei, Alliteration usw. erläutern? Soll ich darlegen, wie er mit Bedacht jede Silbe auf ihren Wert prüft, ob sie dem, was ihn erfüllt, zum lebendigsten Ausdruck verhelfe? Wie er bald helle Vokale, kurzsilbige Worte, bald konsonantenschwere, wuchtige Worte mit langverhallenden Vokalen wählt? Etwa wie er („Der Stieglitz") ein in brütender Sonnenhitze liegendes Distelfeld unseren Angen und Ohren, ja unserem Gefühl nahebringt: Oder wenn er von einer Toten sagt („Ein Grab"): so malt im letzten Vers die schwere Fülle der Konsonanten, die zum langsamen Lesen zwingt, das ganze Schalten und die Persönlichkeit der zu früh Verstorbenen, die den Dichter geliebt hat. Man sieht sie fürsorglich, still und leise walten. Man fühlt, wie sie es mit zärtlicher, scheuer Liebe und mit verschwiegenen Leiden tut. All solche Untersuchungen will ich anderen überlassen. Schon sind Bücher über Dehmel geschrieben und mehr werden ihnen folgen. Die oben wieder¬ gegebenen Gedichte, die — fast möchte ich sagen: aufs Geratewohl — aus dem ersten Bande herausgegriffen sind, zeugen besser für den Dichter als die liebe¬ vollsten Ausführungen über seine Kunst. Welcher Rhythmus, welche Musik in seinen Versen leben, wie sie Sonne und Farbe strahlen, wie Bewegung uno Stimmung darin finden und fließen, zeigt das folgende Gedicht. Blick ins Licht Still vom Beinen zu Bäumen schaukeln Meinen Kahn die llferwellen; Märchenblütenblau umgaukeln Meine Fahrt die Schilflioelleu, Schatten küssen den Boden der Flut. Durch die dunkle Wölbung der Erlen — Welch ein funkelndes Verschwenden — streut die Sonne mit goldenen Händen Silberne Perlen In die smaragdenen Wirbel der Flut. Durch die Flucht der Strahlen schweben Bang nach oben meine Träume, Wo die Bäume Ihre krausen Häupter heben In des Himmels ruhige Flut.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/406>, abgerufen am 22.12.2024.