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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Richard Dehmel

So hat, wer sich erst heute Dehmel zuwendet, es viel leichter als früher.
Da meine eigenen Erfahrungen typisch sein dürften, sei nur erlaubt, sie hier zu
berichten. Trotz der Mahnungen Lilieucrons habe ich mich lange zu Dehmel
nicht durchfinden können. Ich erkannte willig seine überragende Begabung und
die Schönheit vieler seiner Gedichte an. Aber immer wieder wurde mir der
Gesamteindruck verdorben durch eine Reihe verunglückter, ja zum Teil geschmack¬
loser Gedichte, daneben auch -- aus Gründen der Ästhetik, nicht etwa eines
kunst- und sinnenfeindlichen Puritcmertums! -- durch einige erotische Ergüsse.
So legte ich am Ende doch stets die Gedichtbände befremdet und geärgert wieder
weg. Auch als die "Zwei Menschen" erschienen und die einsame Schönheit
dieser Dichtung mich ganz in ihren Bann zog, kam ich den Gedichten nicht
näher. Da traten im Herbst 1906 als erster Band der "Gesammelten Werke"
die "Erlösungen" in neuer Ausgabe auf den Plan und nun gab es kein Wider¬
streben mehr. Hier war nichts auszusetzen. Mit fliegenden Fahnen ging ich
ins Lager des Dichters über und werbe seitdem für ihn.

Wie oft erfuhr ich nicht, wenn ich künstlerisch angeregten Menschen die
"Erlösungen" rühmte, eine überlegene, ja fast mitleidige Ablehnung. Dann
aber trumpfte ich voll Siegesbewuhtsein auf. Ich machte mich anheischig, durch
ein halbes Dutzend Gedichte Dehmels den Gegner, öfter noch die Gegnerin, zu
gewinnen. Vor dein Lächeln, das da sagt: "Gib dir doch keine Mühe; du
erreichst ja doch nichts!" begann ich. Etwa mit dem Gedicht:

An eine Gütige
Es mag mir oft nicht in den Mienen stehen,
Wie tief ich in mein Innres dich geschrieben;
Ach, oft schon hat es mich zum Wort getrieben,
Und wortlos mußt' ich meines Weges gehen. So ist, wie sehr du suchtest, os zu sehen,
Ein Nngesehnes zwischen uns geblieben! -
Die alte Mühsal, daß sich Menschen lieben
Und doch im eignen Kreis sich weiterdrehen. Wie fruchtlos schon des Kindes Spiel sich mühte,
Daß jeder Kreis sich glatt auf jeden lege!
Butt glitt der eine und durchschnitt den andern,
Und bald verschob ein dritter ihre Wege.
In einem Kreis nur laßt sich einig Wärterin
Dem nllmnschlingenden grundloser Güte.

Diese schlichte, herzenswarme Beichte widerlegt die irrige Anschauung, daß
Dehmel etwa nur schroff und stolz sei. Gewiß, er ist stolz und oft schroff.
Allein, da er es selbst weiß, beruhigt uns die alte Erfahrung, daß, wer seine
Fehler kennt, wohl einmal von ihnen überrumpelt wird, jedoch nie ihr Sklave
bleibt. Wenn Dehmel nun gar mit dem dankbaren Bekenntnis zu eiuer
allumschlingenden endlosen Güte schließt, so wissen wir, daß auch wir dem
Manne, aus dessen Herzen so innige Töne den Weg gefunden, mit Vertrauen
entgegenkommen dürfen.


Richard Dehmel

So hat, wer sich erst heute Dehmel zuwendet, es viel leichter als früher.
Da meine eigenen Erfahrungen typisch sein dürften, sei nur erlaubt, sie hier zu
berichten. Trotz der Mahnungen Lilieucrons habe ich mich lange zu Dehmel
nicht durchfinden können. Ich erkannte willig seine überragende Begabung und
die Schönheit vieler seiner Gedichte an. Aber immer wieder wurde mir der
Gesamteindruck verdorben durch eine Reihe verunglückter, ja zum Teil geschmack¬
loser Gedichte, daneben auch — aus Gründen der Ästhetik, nicht etwa eines
kunst- und sinnenfeindlichen Puritcmertums! — durch einige erotische Ergüsse.
So legte ich am Ende doch stets die Gedichtbände befremdet und geärgert wieder
weg. Auch als die „Zwei Menschen" erschienen und die einsame Schönheit
dieser Dichtung mich ganz in ihren Bann zog, kam ich den Gedichten nicht
näher. Da traten im Herbst 1906 als erster Band der „Gesammelten Werke"
die „Erlösungen" in neuer Ausgabe auf den Plan und nun gab es kein Wider¬
streben mehr. Hier war nichts auszusetzen. Mit fliegenden Fahnen ging ich
ins Lager des Dichters über und werbe seitdem für ihn.

Wie oft erfuhr ich nicht, wenn ich künstlerisch angeregten Menschen die
„Erlösungen" rühmte, eine überlegene, ja fast mitleidige Ablehnung. Dann
aber trumpfte ich voll Siegesbewuhtsein auf. Ich machte mich anheischig, durch
ein halbes Dutzend Gedichte Dehmels den Gegner, öfter noch die Gegnerin, zu
gewinnen. Vor dein Lächeln, das da sagt: „Gib dir doch keine Mühe; du
erreichst ja doch nichts!" begann ich. Etwa mit dem Gedicht:

An eine Gütige
Es mag mir oft nicht in den Mienen stehen,
Wie tief ich in mein Innres dich geschrieben;
Ach, oft schon hat es mich zum Wort getrieben,
Und wortlos mußt' ich meines Weges gehen. So ist, wie sehr du suchtest, os zu sehen,
Ein Nngesehnes zwischen uns geblieben! -
Die alte Mühsal, daß sich Menschen lieben
Und doch im eignen Kreis sich weiterdrehen. Wie fruchtlos schon des Kindes Spiel sich mühte,
Daß jeder Kreis sich glatt auf jeden lege!
Butt glitt der eine und durchschnitt den andern,
Und bald verschob ein dritter ihre Wege.
In einem Kreis nur laßt sich einig Wärterin
Dem nllmnschlingenden grundloser Güte.

Diese schlichte, herzenswarme Beichte widerlegt die irrige Anschauung, daß
Dehmel etwa nur schroff und stolz sei. Gewiß, er ist stolz und oft schroff.
Allein, da er es selbst weiß, beruhigt uns die alte Erfahrung, daß, wer seine
Fehler kennt, wohl einmal von ihnen überrumpelt wird, jedoch nie ihr Sklave
bleibt. Wenn Dehmel nun gar mit dem dankbaren Bekenntnis zu eiuer
allumschlingenden endlosen Güte schließt, so wissen wir, daß auch wir dem
Manne, aus dessen Herzen so innige Töne den Weg gefunden, mit Vertrauen
entgegenkommen dürfen.


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[0403] Richard Dehmel So hat, wer sich erst heute Dehmel zuwendet, es viel leichter als früher. Da meine eigenen Erfahrungen typisch sein dürften, sei nur erlaubt, sie hier zu berichten. Trotz der Mahnungen Lilieucrons habe ich mich lange zu Dehmel nicht durchfinden können. Ich erkannte willig seine überragende Begabung und die Schönheit vieler seiner Gedichte an. Aber immer wieder wurde mir der Gesamteindruck verdorben durch eine Reihe verunglückter, ja zum Teil geschmack¬ loser Gedichte, daneben auch — aus Gründen der Ästhetik, nicht etwa eines kunst- und sinnenfeindlichen Puritcmertums! — durch einige erotische Ergüsse. So legte ich am Ende doch stets die Gedichtbände befremdet und geärgert wieder weg. Auch als die „Zwei Menschen" erschienen und die einsame Schönheit dieser Dichtung mich ganz in ihren Bann zog, kam ich den Gedichten nicht näher. Da traten im Herbst 1906 als erster Band der „Gesammelten Werke" die „Erlösungen" in neuer Ausgabe auf den Plan und nun gab es kein Wider¬ streben mehr. Hier war nichts auszusetzen. Mit fliegenden Fahnen ging ich ins Lager des Dichters über und werbe seitdem für ihn. Wie oft erfuhr ich nicht, wenn ich künstlerisch angeregten Menschen die „Erlösungen" rühmte, eine überlegene, ja fast mitleidige Ablehnung. Dann aber trumpfte ich voll Siegesbewuhtsein auf. Ich machte mich anheischig, durch ein halbes Dutzend Gedichte Dehmels den Gegner, öfter noch die Gegnerin, zu gewinnen. Vor dein Lächeln, das da sagt: „Gib dir doch keine Mühe; du erreichst ja doch nichts!" begann ich. Etwa mit dem Gedicht: An eine Gütige Es mag mir oft nicht in den Mienen stehen, Wie tief ich in mein Innres dich geschrieben; Ach, oft schon hat es mich zum Wort getrieben, Und wortlos mußt' ich meines Weges gehen. So ist, wie sehr du suchtest, os zu sehen, Ein Nngesehnes zwischen uns geblieben! - Die alte Mühsal, daß sich Menschen lieben Und doch im eignen Kreis sich weiterdrehen. Wie fruchtlos schon des Kindes Spiel sich mühte, Daß jeder Kreis sich glatt auf jeden lege! Butt glitt der eine und durchschnitt den andern, Und bald verschob ein dritter ihre Wege. In einem Kreis nur laßt sich einig Wärterin Dem nllmnschlingenden grundloser Güte. Diese schlichte, herzenswarme Beichte widerlegt die irrige Anschauung, daß Dehmel etwa nur schroff und stolz sei. Gewiß, er ist stolz und oft schroff. Allein, da er es selbst weiß, beruhigt uns die alte Erfahrung, daß, wer seine Fehler kennt, wohl einmal von ihnen überrumpelt wird, jedoch nie ihr Sklave bleibt. Wenn Dehmel nun gar mit dem dankbaren Bekenntnis zu eiuer allumschlingenden endlosen Güte schließt, so wissen wir, daß auch wir dem Manne, aus dessen Herzen so innige Töne den Weg gefunden, mit Vertrauen entgegenkommen dürfen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/403>, abgerufen am 22.12.2024.