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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Richard Dehmel

Partei an, welcher Richtung es auch sei. Er ist sich selbst genug; aber er kennt
seine Gebundenheit ins Ganze. Und das macht ihn zum großen Dichter und
zum großen Menschen. Sein Mitgefühl ist ebenso stark wie sein Selbstgefühl.
Nur der scheele Dünkel ist ihm verhaßt; deshalb hält er sich die Macher und
Streber, die Maulhelden und Musterknaben mit unwillkürlicher Verachtung fern.
Er ist der treuste Freund, wo er wirklich vertraut, und er bleibt auch als Feind
ein grader Gegner. Mit keinem habe ich so herzlich lachen können als mit ihm.
Seine Kunst ist Gestaltung der Menschlichkeit."

Dehmel ist heute erst sechsundvierzig Jahre alt, und schon liegen seine
"Gesammelten Werke" in zehn Bänden vor. Ihre Ausstattung stellt dem Geschmack
des Dichters und Verlegers S. Fischer-Berlin ein glänzendes Zeugnis aus.
Die Vermählung von Schönheit, Gediegenheit und Schlichtheit ist des höchsten
Lobes würdig und als Muster moderner Buchkunst nachcifernswert. Es ist eine
Freude, die zehn Bände vor sich zu sehen, und es ist für das Auge ein Genuß,
darin zu verweilen. Nur für das Auge?

Zu seinem vierzigsten Geburtstag (18. November 1903) wurde Dehmel,
so berichtet er in dem Vorwort zu den "Gesammelten Werken", von Freunden
der Wunsch ausgesprochen, eine Gesamtausgabe seiner bis dahin veröffentlichten
und zum Teil vergriffenen Schriften zu veranstalten. Diese Anregung kam seinein
eigenen Bedürfnis entgegen, den: Gefühl, daß er "mit den teils unvollendeten,
teils ungeordneten, teils unveröffentlichten Erzeugnissen seiner jüngeren Jahre
einmal endgültig aufräumen müsse, um die Hände für neue Pläne frei zu
bekommen".

Von den zehn Bänden sind nur zwei als erste Ausgaben bezeichnet:
der "Kindergarten" und die "Betrachtungen". Ihr Inhalt aber ist uns
zum größeren Teile bereits vertraut. Alle anderen Bände sind neue
Ausgaben älterer Bände. Doch nur Dehmels Hauptwerk "Zwei Menschen"
erscheint unverändert. Alle übrigen sind durchgreifend neu gestaltet. Sie geben
ein anschauliches Bild von der Zucht des auch gegen sich selbst strengen Dichters,
die uns mit die beste Gewähr für Dehmels Dauer und Größe ist. Der stete
Drang nach wiederholter Durcharbeitung und Verbesserung ist nicht bloß, wie
Dehmel sich ausdrückt,- ein lebhaftes Zeugnis der künstlerischen Gesinnung; er
ist, wenn er Erfolge erzielt, wie hier, mehr noch ein Zeichen einer an köstlichen
Früchten reichen Reife und einer künstlerischen Kraft, die weitere frohe Ernten
verheißt. Von den Dichtungen seiner Erstlingszeit bemerkt Dehmel, daß sie in
ganz besonderem Maße die Vervollkommnung nötig hatten. Wenn er zur
Erklärung dieser Notwendigkeit auf den "überraschenden Aufstieg, den die neuere
deutsche Wortkuust seit eben jener Zeit genommen hat und den ich mit herbei¬
führen half", verweist, so trifft er nur zum Teil ins Schwarze. Es ist eben
nicht bloß die Vervollkommnung der Form bei einzelnen Gedichten, sondern die
Läuterung im Inhalt, die Vertiefung und Verfeinerung, die Steigerung der
Lebens- und Gemütswerte, die wir an dem Ganzen voll Freude spüren.


Richard Dehmel

Partei an, welcher Richtung es auch sei. Er ist sich selbst genug; aber er kennt
seine Gebundenheit ins Ganze. Und das macht ihn zum großen Dichter und
zum großen Menschen. Sein Mitgefühl ist ebenso stark wie sein Selbstgefühl.
Nur der scheele Dünkel ist ihm verhaßt; deshalb hält er sich die Macher und
Streber, die Maulhelden und Musterknaben mit unwillkürlicher Verachtung fern.
Er ist der treuste Freund, wo er wirklich vertraut, und er bleibt auch als Feind
ein grader Gegner. Mit keinem habe ich so herzlich lachen können als mit ihm.
Seine Kunst ist Gestaltung der Menschlichkeit."

Dehmel ist heute erst sechsundvierzig Jahre alt, und schon liegen seine
„Gesammelten Werke" in zehn Bänden vor. Ihre Ausstattung stellt dem Geschmack
des Dichters und Verlegers S. Fischer-Berlin ein glänzendes Zeugnis aus.
Die Vermählung von Schönheit, Gediegenheit und Schlichtheit ist des höchsten
Lobes würdig und als Muster moderner Buchkunst nachcifernswert. Es ist eine
Freude, die zehn Bände vor sich zu sehen, und es ist für das Auge ein Genuß,
darin zu verweilen. Nur für das Auge?

Zu seinem vierzigsten Geburtstag (18. November 1903) wurde Dehmel,
so berichtet er in dem Vorwort zu den „Gesammelten Werken", von Freunden
der Wunsch ausgesprochen, eine Gesamtausgabe seiner bis dahin veröffentlichten
und zum Teil vergriffenen Schriften zu veranstalten. Diese Anregung kam seinein
eigenen Bedürfnis entgegen, den: Gefühl, daß er „mit den teils unvollendeten,
teils ungeordneten, teils unveröffentlichten Erzeugnissen seiner jüngeren Jahre
einmal endgültig aufräumen müsse, um die Hände für neue Pläne frei zu
bekommen".

Von den zehn Bänden sind nur zwei als erste Ausgaben bezeichnet:
der „Kindergarten" und die „Betrachtungen". Ihr Inhalt aber ist uns
zum größeren Teile bereits vertraut. Alle anderen Bände sind neue
Ausgaben älterer Bände. Doch nur Dehmels Hauptwerk „Zwei Menschen"
erscheint unverändert. Alle übrigen sind durchgreifend neu gestaltet. Sie geben
ein anschauliches Bild von der Zucht des auch gegen sich selbst strengen Dichters,
die uns mit die beste Gewähr für Dehmels Dauer und Größe ist. Der stete
Drang nach wiederholter Durcharbeitung und Verbesserung ist nicht bloß, wie
Dehmel sich ausdrückt,- ein lebhaftes Zeugnis der künstlerischen Gesinnung; er
ist, wenn er Erfolge erzielt, wie hier, mehr noch ein Zeichen einer an köstlichen
Früchten reichen Reife und einer künstlerischen Kraft, die weitere frohe Ernten
verheißt. Von den Dichtungen seiner Erstlingszeit bemerkt Dehmel, daß sie in
ganz besonderem Maße die Vervollkommnung nötig hatten. Wenn er zur
Erklärung dieser Notwendigkeit auf den „überraschenden Aufstieg, den die neuere
deutsche Wortkuust seit eben jener Zeit genommen hat und den ich mit herbei¬
führen half", verweist, so trifft er nur zum Teil ins Schwarze. Es ist eben
nicht bloß die Vervollkommnung der Form bei einzelnen Gedichten, sondern die
Läuterung im Inhalt, die Vertiefung und Verfeinerung, die Steigerung der
Lebens- und Gemütswerte, die wir an dem Ganzen voll Freude spüren.


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[0402] Richard Dehmel Partei an, welcher Richtung es auch sei. Er ist sich selbst genug; aber er kennt seine Gebundenheit ins Ganze. Und das macht ihn zum großen Dichter und zum großen Menschen. Sein Mitgefühl ist ebenso stark wie sein Selbstgefühl. Nur der scheele Dünkel ist ihm verhaßt; deshalb hält er sich die Macher und Streber, die Maulhelden und Musterknaben mit unwillkürlicher Verachtung fern. Er ist der treuste Freund, wo er wirklich vertraut, und er bleibt auch als Feind ein grader Gegner. Mit keinem habe ich so herzlich lachen können als mit ihm. Seine Kunst ist Gestaltung der Menschlichkeit." Dehmel ist heute erst sechsundvierzig Jahre alt, und schon liegen seine „Gesammelten Werke" in zehn Bänden vor. Ihre Ausstattung stellt dem Geschmack des Dichters und Verlegers S. Fischer-Berlin ein glänzendes Zeugnis aus. Die Vermählung von Schönheit, Gediegenheit und Schlichtheit ist des höchsten Lobes würdig und als Muster moderner Buchkunst nachcifernswert. Es ist eine Freude, die zehn Bände vor sich zu sehen, und es ist für das Auge ein Genuß, darin zu verweilen. Nur für das Auge? Zu seinem vierzigsten Geburtstag (18. November 1903) wurde Dehmel, so berichtet er in dem Vorwort zu den „Gesammelten Werken", von Freunden der Wunsch ausgesprochen, eine Gesamtausgabe seiner bis dahin veröffentlichten und zum Teil vergriffenen Schriften zu veranstalten. Diese Anregung kam seinein eigenen Bedürfnis entgegen, den: Gefühl, daß er „mit den teils unvollendeten, teils ungeordneten, teils unveröffentlichten Erzeugnissen seiner jüngeren Jahre einmal endgültig aufräumen müsse, um die Hände für neue Pläne frei zu bekommen". Von den zehn Bänden sind nur zwei als erste Ausgaben bezeichnet: der „Kindergarten" und die „Betrachtungen". Ihr Inhalt aber ist uns zum größeren Teile bereits vertraut. Alle anderen Bände sind neue Ausgaben älterer Bände. Doch nur Dehmels Hauptwerk „Zwei Menschen" erscheint unverändert. Alle übrigen sind durchgreifend neu gestaltet. Sie geben ein anschauliches Bild von der Zucht des auch gegen sich selbst strengen Dichters, die uns mit die beste Gewähr für Dehmels Dauer und Größe ist. Der stete Drang nach wiederholter Durcharbeitung und Verbesserung ist nicht bloß, wie Dehmel sich ausdrückt,- ein lebhaftes Zeugnis der künstlerischen Gesinnung; er ist, wenn er Erfolge erzielt, wie hier, mehr noch ein Zeichen einer an köstlichen Früchten reichen Reife und einer künstlerischen Kraft, die weitere frohe Ernten verheißt. Von den Dichtungen seiner Erstlingszeit bemerkt Dehmel, daß sie in ganz besonderem Maße die Vervollkommnung nötig hatten. Wenn er zur Erklärung dieser Notwendigkeit auf den „überraschenden Aufstieg, den die neuere deutsche Wortkuust seit eben jener Zeit genommen hat und den ich mit herbei¬ führen half", verweist, so trifft er nur zum Teil ins Schwarze. Es ist eben nicht bloß die Vervollkommnung der Form bei einzelnen Gedichten, sondern die Läuterung im Inhalt, die Vertiefung und Verfeinerung, die Steigerung der Lebens- und Gemütswerte, die wir an dem Ganzen voll Freude spüren.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/402>, abgerufen am 24.07.2024.