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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Mehr Achtung vor Frankreich!

Englands dunklem Marionettenspiel. Diesmal sagte man zu uns: "Warum
soll es sein müssen? Weshalb will Deutschland nicht den Frieden?" Die so
sagten, sprachen die Durchschnittsmeinung der Gesamtheit, die der Massenpresse
aus. Welche Unterschiede gegen die Zeit vor zwei Jahrzehnten, gegen das
Erlebnis einst, als stiller Deutscher darunter zu sitzen, wenn Boulanger in den
Sälen und Mairien der städtischen Arrondissements seine Reden vom Papier
herunterlas, und wenn dabei die Leute bebten, als ob ein neuer Demosthenes
die Leidenschaft seiner Philippika ausströmte oder die Gluten des Patriotismus
eines französischen Fichte oder Treitschke in sie hinüberflammten . . .

Frankreich hätte kämpfen müssen. So wie das Preußen von Jena kämpfte,
wie der verstümmelte Staat nach der kürzesten Frist sich gegen den trotz Moskau
noch gewaltigen Imperator erhob. Dann hätte die Nation für.ihren ethischen
Bestand erstritten, was 1813 für uus bedeutet. Selbst wenn sie abermals
geschlagen wurde. Es wäre ein Friedenschluß, wie ihn Bismarck 1866 für
Österreich durchsetzte, geworden. (Sagen durfte er das natürlich nicht; er drohte
1887 notwendig mit 8ÄlKnsr ä, Klane.) Ein Königgrütz mit analogen Folgen.
So stände es leichter als jetzt.

Denn wenn die Revanche aufgegeben ist, so -- steht nun das zwischen
ihnen und uns. Das Bewußtsein und die Scham. Es ist das schwerst
Erträgliche für sie, daß wir sie streicheln. Daß wir unbekümmert fort und fort
die Hand Hinhalten: "Na, schlag' ein, Marianne, damit man es auch sieht.
Sag' einen Ton, daß du vernünftig geworden bist. Vielleicht schenk' ich dir
auch was. Auf jeden Fall desund' ich dich. Die andern laß nur gehen."
Und daß wir fühllos so tun, als wolle, müsse sie nun schon. sodaß wir von
"berühmten französischen Gästen" in Berlin fröhliches Aufhebens machen, die
zu Hause recht kleine Berühmtheiten sind. Die Allerweltssportonkels, -- oder
die Geschäftsreisenden der alternden Zelebrität, Schauspielerinnen usw., bedeuten
vollends keinerlei Mission. Es gehören unsere Zeitungen dazu, um in dieser
Vorstellung zu schwelgen.

Soweit sollte es uns reichen, zu verstehen, daß für eine Anfreundung mit
uns, die niemals ihre Freunde waren, die Nation da drüben immer noch viel zu
viel Selbstachtung besitzt. Auch im Verhalten als Nation im ganzen eignet
den traditionsvollen Franzosen eine gute Lebenskultur und ein sicherer solidarischer
Takt, um was wir sie sehr zu beneiden haben. -- Es handelt sich um keine
Kleinigkeiten, welche Frankreich zugefügt worden sind, um keinen Zwist, der sich
nach dem Motto des horazischen DvneL ZMu8 frau tibi erfreulich beilegt.
Obendrein hat man dort neben dem äußeren Sturz etwas viel Schlimmeres
erfahren müssen, eben dadurch, daß die beständig verkündete Wiedererhebung
beständig unterblieben ist. Denn nichts demoralisiert so nach innen, wie das.
Das eines zweiten Krieges fähige Frankreich, er Hütte ausfallen mögen, wie er
wolle, sähe im Innern erfreulicher aus für alle, die ein französisches Herz in
der Brust haben. Die guten, selbstgetreuen Franzosen sind es aber, mit denen


Mehr Achtung vor Frankreich!

Englands dunklem Marionettenspiel. Diesmal sagte man zu uns: „Warum
soll es sein müssen? Weshalb will Deutschland nicht den Frieden?" Die so
sagten, sprachen die Durchschnittsmeinung der Gesamtheit, die der Massenpresse
aus. Welche Unterschiede gegen die Zeit vor zwei Jahrzehnten, gegen das
Erlebnis einst, als stiller Deutscher darunter zu sitzen, wenn Boulanger in den
Sälen und Mairien der städtischen Arrondissements seine Reden vom Papier
herunterlas, und wenn dabei die Leute bebten, als ob ein neuer Demosthenes
die Leidenschaft seiner Philippika ausströmte oder die Gluten des Patriotismus
eines französischen Fichte oder Treitschke in sie hinüberflammten . . .

Frankreich hätte kämpfen müssen. So wie das Preußen von Jena kämpfte,
wie der verstümmelte Staat nach der kürzesten Frist sich gegen den trotz Moskau
noch gewaltigen Imperator erhob. Dann hätte die Nation für.ihren ethischen
Bestand erstritten, was 1813 für uus bedeutet. Selbst wenn sie abermals
geschlagen wurde. Es wäre ein Friedenschluß, wie ihn Bismarck 1866 für
Österreich durchsetzte, geworden. (Sagen durfte er das natürlich nicht; er drohte
1887 notwendig mit 8ÄlKnsr ä, Klane.) Ein Königgrütz mit analogen Folgen.
So stände es leichter als jetzt.

Denn wenn die Revanche aufgegeben ist, so — steht nun das zwischen
ihnen und uns. Das Bewußtsein und die Scham. Es ist das schwerst
Erträgliche für sie, daß wir sie streicheln. Daß wir unbekümmert fort und fort
die Hand Hinhalten: „Na, schlag' ein, Marianne, damit man es auch sieht.
Sag' einen Ton, daß du vernünftig geworden bist. Vielleicht schenk' ich dir
auch was. Auf jeden Fall desund' ich dich. Die andern laß nur gehen."
Und daß wir fühllos so tun, als wolle, müsse sie nun schon. sodaß wir von
„berühmten französischen Gästen" in Berlin fröhliches Aufhebens machen, die
zu Hause recht kleine Berühmtheiten sind. Die Allerweltssportonkels, — oder
die Geschäftsreisenden der alternden Zelebrität, Schauspielerinnen usw., bedeuten
vollends keinerlei Mission. Es gehören unsere Zeitungen dazu, um in dieser
Vorstellung zu schwelgen.

Soweit sollte es uns reichen, zu verstehen, daß für eine Anfreundung mit
uns, die niemals ihre Freunde waren, die Nation da drüben immer noch viel zu
viel Selbstachtung besitzt. Auch im Verhalten als Nation im ganzen eignet
den traditionsvollen Franzosen eine gute Lebenskultur und ein sicherer solidarischer
Takt, um was wir sie sehr zu beneiden haben. — Es handelt sich um keine
Kleinigkeiten, welche Frankreich zugefügt worden sind, um keinen Zwist, der sich
nach dem Motto des horazischen DvneL ZMu8 frau tibi erfreulich beilegt.
Obendrein hat man dort neben dem äußeren Sturz etwas viel Schlimmeres
erfahren müssen, eben dadurch, daß die beständig verkündete Wiedererhebung
beständig unterblieben ist. Denn nichts demoralisiert so nach innen, wie das.
Das eines zweiten Krieges fähige Frankreich, er Hütte ausfallen mögen, wie er
wolle, sähe im Innern erfreulicher aus für alle, die ein französisches Herz in
der Brust haben. Die guten, selbstgetreuen Franzosen sind es aber, mit denen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/399>, abgerufen am 04.07.2024.