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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Georg Freiherr von hertling

man dem einzelnen Gelehrten vorläufig nur raten können, sich beim Vortrage
der systematischen Theologie selbst da, wo ein Dogma nicht unmittelbar i"
Frage steht, innerhalb der Schranken des Hergebrachten zu halten. Er mild
in der Regel kein Glück damit haben, wenn er es unternimmt, sich von der
Tradition der Jahrhunderte loszumachen und den Inhalt der Offenbarung nach
eigenem Ermessen zu erläutern und zum Ausdrucke zu bringen. Auch wird er
sich nicht verwundern können, wenn er bei seinem Beginnen auf das Mißtraue"
der kirchlichen Behörde" stößt." Der laugen Rede kurzer Sinn ist die Prolon¬
gierung des morschen Thomismus act Zraeca8 calenäa8. Hertling leuchtet den
katholischen Philosophen selbst mit gutem Beispiele voran, indem er trotz der
tiefgreifenden Mängel der offiziellen römischen Philosophie auf sie schwört,
auf alles selbständige Philosophieren verzichtet und ein saLriticium intellectus
bringt. Sein zur Erlahmung des wissenschaftlichen Eifers und Strebens führendes,
den Menschen die Verkümmerung ihrer höchsten Gabe, der Vernunft, verordnendes
Rezept mag bequem sein. Von der Liebe zur freien Forschung, die vor keinem
Martyrium zurückschreckt, der der Mut der Wahrheit, der Überzeugung, die
Treue gegen sich selbst über alles geht, ist es keinesfalls eingegeben. Wie ganz
anders präsentiert sich Thomas von Aquin, der sich, wie Hertling selbst zugibt,
durch den heftigsten Widerstand des päpstlichen Stuhles und der erbgesessenen
retrograden Theologenpartei in der philosophisch-theologischen Reformbewegung
in keinerlei Weise beirren ließ!

Und wie ist es nach Hertling mit der Freiheit der andern Disziplinen
bestellt? Er kann nicht finden, daß den katholischen Historiker etwas hindert,
die volle Freiheit der Forschung für sich in Anspruch zu nehmen. Diese
Behauptung ist geradezu verblüffend angesichts der Tatsache, daß er ihm wenige
Zeilen zuvor die von seinem Standpunkte aus selbstverständliche Schranke zieht:
"Das aus übernatürlicher Quelle strömende innere Leben der Kirche ist gegen jede
Anzweifelung sicher gestellt durch die Tatsache selbst, daß es besteht und fortwirkt durch
die Jahrhunderte. Nur auf die äußere Erscheinung in der Geschichte kann sich
die Forschung richten. Über das, was zum innern Leben der Kirche gehört,
was mit den Lehren des Glaubens und den Mitteln der Heiligung zusammenhängt,
urteilt das mit göttlichem Gnadenbeistandc ausgerüstete kirchliche Lehramt."

Hertling führt auch die vollständige Freiheit der sich auf ihre ureigenste
Sphäre zurückziehenden Naturwissenschaft im Munde und läßt ihr alle Auf¬
munterung zuteil werden. Damit ist es aber nicht vereinbar, daß er die biblische
Auffassung, die die Entstehung der Welt und des Einzelnen in ihr als eine Wunder¬
tat, die Natur als durch den Schöpfungsakt plötzlich fix und fertig gegeben
betrachtet, der, wie er selbst zugesteht, mit der theistischer Weltanschauung ganz
gut in Einklang zu bringenden Deszendenz- oder Entivicklungstheorie vorzieht,
aber sich gegen Ausdehnung auf den Menschen mit Händen und Füßen sträubt.

Die Deszendenztheorie tut dem Theismus keinen Eintrag, wohl aber der
von Hertling gehegte Glaube an die Wirksamkeit des Bittgebets, die sich durch-


Georg Freiherr von hertling

man dem einzelnen Gelehrten vorläufig nur raten können, sich beim Vortrage
der systematischen Theologie selbst da, wo ein Dogma nicht unmittelbar i»
Frage steht, innerhalb der Schranken des Hergebrachten zu halten. Er mild
in der Regel kein Glück damit haben, wenn er es unternimmt, sich von der
Tradition der Jahrhunderte loszumachen und den Inhalt der Offenbarung nach
eigenem Ermessen zu erläutern und zum Ausdrucke zu bringen. Auch wird er
sich nicht verwundern können, wenn er bei seinem Beginnen auf das Mißtraue»
der kirchlichen Behörde» stößt." Der laugen Rede kurzer Sinn ist die Prolon¬
gierung des morschen Thomismus act Zraeca8 calenäa8. Hertling leuchtet den
katholischen Philosophen selbst mit gutem Beispiele voran, indem er trotz der
tiefgreifenden Mängel der offiziellen römischen Philosophie auf sie schwört,
auf alles selbständige Philosophieren verzichtet und ein saLriticium intellectus
bringt. Sein zur Erlahmung des wissenschaftlichen Eifers und Strebens führendes,
den Menschen die Verkümmerung ihrer höchsten Gabe, der Vernunft, verordnendes
Rezept mag bequem sein. Von der Liebe zur freien Forschung, die vor keinem
Martyrium zurückschreckt, der der Mut der Wahrheit, der Überzeugung, die
Treue gegen sich selbst über alles geht, ist es keinesfalls eingegeben. Wie ganz
anders präsentiert sich Thomas von Aquin, der sich, wie Hertling selbst zugibt,
durch den heftigsten Widerstand des päpstlichen Stuhles und der erbgesessenen
retrograden Theologenpartei in der philosophisch-theologischen Reformbewegung
in keinerlei Weise beirren ließ!

Und wie ist es nach Hertling mit der Freiheit der andern Disziplinen
bestellt? Er kann nicht finden, daß den katholischen Historiker etwas hindert,
die volle Freiheit der Forschung für sich in Anspruch zu nehmen. Diese
Behauptung ist geradezu verblüffend angesichts der Tatsache, daß er ihm wenige
Zeilen zuvor die von seinem Standpunkte aus selbstverständliche Schranke zieht:
„Das aus übernatürlicher Quelle strömende innere Leben der Kirche ist gegen jede
Anzweifelung sicher gestellt durch die Tatsache selbst, daß es besteht und fortwirkt durch
die Jahrhunderte. Nur auf die äußere Erscheinung in der Geschichte kann sich
die Forschung richten. Über das, was zum innern Leben der Kirche gehört,
was mit den Lehren des Glaubens und den Mitteln der Heiligung zusammenhängt,
urteilt das mit göttlichem Gnadenbeistandc ausgerüstete kirchliche Lehramt."

Hertling führt auch die vollständige Freiheit der sich auf ihre ureigenste
Sphäre zurückziehenden Naturwissenschaft im Munde und läßt ihr alle Auf¬
munterung zuteil werden. Damit ist es aber nicht vereinbar, daß er die biblische
Auffassung, die die Entstehung der Welt und des Einzelnen in ihr als eine Wunder¬
tat, die Natur als durch den Schöpfungsakt plötzlich fix und fertig gegeben
betrachtet, der, wie er selbst zugesteht, mit der theistischer Weltanschauung ganz
gut in Einklang zu bringenden Deszendenz- oder Entivicklungstheorie vorzieht,
aber sich gegen Ausdehnung auf den Menschen mit Händen und Füßen sträubt.

Die Deszendenztheorie tut dem Theismus keinen Eintrag, wohl aber der
von Hertling gehegte Glaube an die Wirksamkeit des Bittgebets, die sich durch-


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[0322] Georg Freiherr von hertling man dem einzelnen Gelehrten vorläufig nur raten können, sich beim Vortrage der systematischen Theologie selbst da, wo ein Dogma nicht unmittelbar i» Frage steht, innerhalb der Schranken des Hergebrachten zu halten. Er mild in der Regel kein Glück damit haben, wenn er es unternimmt, sich von der Tradition der Jahrhunderte loszumachen und den Inhalt der Offenbarung nach eigenem Ermessen zu erläutern und zum Ausdrucke zu bringen. Auch wird er sich nicht verwundern können, wenn er bei seinem Beginnen auf das Mißtraue» der kirchlichen Behörde» stößt." Der laugen Rede kurzer Sinn ist die Prolon¬ gierung des morschen Thomismus act Zraeca8 calenäa8. Hertling leuchtet den katholischen Philosophen selbst mit gutem Beispiele voran, indem er trotz der tiefgreifenden Mängel der offiziellen römischen Philosophie auf sie schwört, auf alles selbständige Philosophieren verzichtet und ein saLriticium intellectus bringt. Sein zur Erlahmung des wissenschaftlichen Eifers und Strebens führendes, den Menschen die Verkümmerung ihrer höchsten Gabe, der Vernunft, verordnendes Rezept mag bequem sein. Von der Liebe zur freien Forschung, die vor keinem Martyrium zurückschreckt, der der Mut der Wahrheit, der Überzeugung, die Treue gegen sich selbst über alles geht, ist es keinesfalls eingegeben. Wie ganz anders präsentiert sich Thomas von Aquin, der sich, wie Hertling selbst zugibt, durch den heftigsten Widerstand des päpstlichen Stuhles und der erbgesessenen retrograden Theologenpartei in der philosophisch-theologischen Reformbewegung in keinerlei Weise beirren ließ! Und wie ist es nach Hertling mit der Freiheit der andern Disziplinen bestellt? Er kann nicht finden, daß den katholischen Historiker etwas hindert, die volle Freiheit der Forschung für sich in Anspruch zu nehmen. Diese Behauptung ist geradezu verblüffend angesichts der Tatsache, daß er ihm wenige Zeilen zuvor die von seinem Standpunkte aus selbstverständliche Schranke zieht: „Das aus übernatürlicher Quelle strömende innere Leben der Kirche ist gegen jede Anzweifelung sicher gestellt durch die Tatsache selbst, daß es besteht und fortwirkt durch die Jahrhunderte. Nur auf die äußere Erscheinung in der Geschichte kann sich die Forschung richten. Über das, was zum innern Leben der Kirche gehört, was mit den Lehren des Glaubens und den Mitteln der Heiligung zusammenhängt, urteilt das mit göttlichem Gnadenbeistandc ausgerüstete kirchliche Lehramt." Hertling führt auch die vollständige Freiheit der sich auf ihre ureigenste Sphäre zurückziehenden Naturwissenschaft im Munde und läßt ihr alle Auf¬ munterung zuteil werden. Damit ist es aber nicht vereinbar, daß er die biblische Auffassung, die die Entstehung der Welt und des Einzelnen in ihr als eine Wunder¬ tat, die Natur als durch den Schöpfungsakt plötzlich fix und fertig gegeben betrachtet, der, wie er selbst zugesteht, mit der theistischer Weltanschauung ganz gut in Einklang zu bringenden Deszendenz- oder Entivicklungstheorie vorzieht, aber sich gegen Ausdehnung auf den Menschen mit Händen und Füßen sträubt. Die Deszendenztheorie tut dem Theismus keinen Eintrag, wohl aber der von Hertling gehegte Glaube an die Wirksamkeit des Bittgebets, die sich durch-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/322>, abgerufen am 04.07.2024.