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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Die Methode und die Technik der preußischen Verwaltung

leidlichen Rechtsentscheidungen und Anordnungen der Verwaltungsbehörden, die
tief in die öffentlichen und privaten Rechte der Staatsangehörigen eingreifen,
von denen vielleicht das Lebensschicksal zahlreicher Personen abhängt, wirklich
kein Vergleich möglich ist. Ähnlich hat sich vor kurzem der scheidende Ober¬
präsident der Provinz Schlesien, Graf Zedlitz, geäußert. Die Verwaltungs¬
behörden können in der Tat niemals von einer genauen Prüfung der tatsächlichen
Verhältnisse und der Rechtslage absehen. Das sind sie nicht nur der Allgemeinheit,
sondern nach alter preußischer Auffassung grade auch den Einzelnen schuldig, die
jeweilig mit ihr in Verbindung treten. Dazu sind aber unter Umständen lang¬
wierige Ermittlungen und Rückfragen bei andern Behörden, genaue Durchsicht
von Akten, Gesetzen, Gerichtsentscheidungen, literarischen Hilfsmitteln nötig,
was alles Zeit fordert. Das liegt auf der flachen Hand und kann keinen Vor¬
wurf begründen. Im Gegenteil, solche Gründlichkeit und Sorgfalt sind eine
heilsame, den: Staat und feinen einzelnen Bürgern nur zum Vorteil gereichende
Errungenschaft ans der harten Lehrzeit der preußischen Verwaltung unter den
beiden großen Königen des achtzehnten Jahrhunderts. Wo im Geschäftsleben
ähnliche Verhältnisse vorliegen, da werden die Geschäfte auch nicht so schnell
abgewickelt, da dauert es auch oft geraume Zeit, bis die Entscheidung fällt.

Andres, wie die getadelte Umständlichkeit des Geschäftsgangs im engeren
technischen Sinne, ist eine Folge der Logik der Tatsachen und wiederholt sich
unter denselben Voraussetzungen auch sonst. Ich möchte den Tadlern dieses
Geschäftsgangs dringend empfehlen, sich einmal den innern Betrieb in einem
größern kaufmännischen Geschäft, etwa in einer großen Bank, anzusehen. Sie
werden dann wahrscheinlich zu ihren: Erstaunen bemerken, daß dieser Betrieb
mindestens ebenso umständlich, teilweise sogar noch umständlicher ist, als der
Geschäftsbetrieb der Verwaltungsbehörden, obwohl die Männer, die an der
Spitze solcher Unternehmungen stehen und gänzlich erhaben sind über den Verdacht
bnreaukratischer Neigungen, sicherlich unablässig bemüht sind, unnötige Um¬
ständlichkeiten zu vermeiden, weil sie wissen, daß diese Zeit und Arbeit und
damit Geld kosten. Sie müssen also ihre Gründe für ihr Verfahren haben.
Und diese liegen denn auch recht nahe. Nur mit solcher Umständlichkeit lassen
sich Ordnung und Überblick und damit die nötige Aufsicht und Leitung aufrecht
erhalten. Derselbe Grund besteht auch für die Verwaltungsbehörden. Wohin
würde man dort kommen, wenn nicht jedes Rad genau in das andre griffe?
In die größte Unordnung, und unendlicher Schaden, auch für die Staatsbürger,
würde die Folge sein. Ich glaube daher, der Direktor von Krupp oder der
Disponent von Hertzog, die von Massow zur Neuordnung des Geschäftsgangs
bei den preußischen Verwaltungsbehörden berufen möchte, würden im allgemeinen
keine wesentliche Vereinfachung vorschlagen können. Im einzelnen könnte aller¬
dings manches gebessert werden. Aber dazu brauchen wir keine Hilfe von
auswärts. Auch der Hinweis auf die Vereinfachungen des innern Geschäfts¬
betriebs und Geschäftsgangs der Eisenbahnbehörden, dem man gelegentlich


Die Methode und die Technik der preußischen Verwaltung

leidlichen Rechtsentscheidungen und Anordnungen der Verwaltungsbehörden, die
tief in die öffentlichen und privaten Rechte der Staatsangehörigen eingreifen,
von denen vielleicht das Lebensschicksal zahlreicher Personen abhängt, wirklich
kein Vergleich möglich ist. Ähnlich hat sich vor kurzem der scheidende Ober¬
präsident der Provinz Schlesien, Graf Zedlitz, geäußert. Die Verwaltungs¬
behörden können in der Tat niemals von einer genauen Prüfung der tatsächlichen
Verhältnisse und der Rechtslage absehen. Das sind sie nicht nur der Allgemeinheit,
sondern nach alter preußischer Auffassung grade auch den Einzelnen schuldig, die
jeweilig mit ihr in Verbindung treten. Dazu sind aber unter Umständen lang¬
wierige Ermittlungen und Rückfragen bei andern Behörden, genaue Durchsicht
von Akten, Gesetzen, Gerichtsentscheidungen, literarischen Hilfsmitteln nötig,
was alles Zeit fordert. Das liegt auf der flachen Hand und kann keinen Vor¬
wurf begründen. Im Gegenteil, solche Gründlichkeit und Sorgfalt sind eine
heilsame, den: Staat und feinen einzelnen Bürgern nur zum Vorteil gereichende
Errungenschaft ans der harten Lehrzeit der preußischen Verwaltung unter den
beiden großen Königen des achtzehnten Jahrhunderts. Wo im Geschäftsleben
ähnliche Verhältnisse vorliegen, da werden die Geschäfte auch nicht so schnell
abgewickelt, da dauert es auch oft geraume Zeit, bis die Entscheidung fällt.

Andres, wie die getadelte Umständlichkeit des Geschäftsgangs im engeren
technischen Sinne, ist eine Folge der Logik der Tatsachen und wiederholt sich
unter denselben Voraussetzungen auch sonst. Ich möchte den Tadlern dieses
Geschäftsgangs dringend empfehlen, sich einmal den innern Betrieb in einem
größern kaufmännischen Geschäft, etwa in einer großen Bank, anzusehen. Sie
werden dann wahrscheinlich zu ihren: Erstaunen bemerken, daß dieser Betrieb
mindestens ebenso umständlich, teilweise sogar noch umständlicher ist, als der
Geschäftsbetrieb der Verwaltungsbehörden, obwohl die Männer, die an der
Spitze solcher Unternehmungen stehen und gänzlich erhaben sind über den Verdacht
bnreaukratischer Neigungen, sicherlich unablässig bemüht sind, unnötige Um¬
ständlichkeiten zu vermeiden, weil sie wissen, daß diese Zeit und Arbeit und
damit Geld kosten. Sie müssen also ihre Gründe für ihr Verfahren haben.
Und diese liegen denn auch recht nahe. Nur mit solcher Umständlichkeit lassen
sich Ordnung und Überblick und damit die nötige Aufsicht und Leitung aufrecht
erhalten. Derselbe Grund besteht auch für die Verwaltungsbehörden. Wohin
würde man dort kommen, wenn nicht jedes Rad genau in das andre griffe?
In die größte Unordnung, und unendlicher Schaden, auch für die Staatsbürger,
würde die Folge sein. Ich glaube daher, der Direktor von Krupp oder der
Disponent von Hertzog, die von Massow zur Neuordnung des Geschäftsgangs
bei den preußischen Verwaltungsbehörden berufen möchte, würden im allgemeinen
keine wesentliche Vereinfachung vorschlagen können. Im einzelnen könnte aller¬
dings manches gebessert werden. Aber dazu brauchen wir keine Hilfe von
auswärts. Auch der Hinweis auf die Vereinfachungen des innern Geschäfts¬
betriebs und Geschäftsgangs der Eisenbahnbehörden, dem man gelegentlich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/222>, abgerufen am 04.07.2024.