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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Fremdenindustrie

solche Unsitten Volkssitten. Also wurden die Volkssitten aus der Rumpelkammer
der Vergangenheit hervorgesucht, frisch lackiert, den Bedürfnissen der neuen
Zeit angepaßt, die sich so heftig nach alten Volkssitten sehnte. Lieder wurden
einstudiert, Naufszenen improvisiert, und es stellte sich heraus, daß die Einwohner¬
schaft ein bisher noch nicht recht gewürdigtes Talent zum Komödiantentum hatte.
Kam ein Fremder an und faß abends im "Extrazimmer" der "Restauration",
so wurde es plötzlich im Gastzimmer nebenan lebendig. Der Wirt hatte seine
Leute verständigt und die rückten an, anscheinend ganz harmlos, ganz von
ungefähr. Einer fing an die Zither zu schlagen, ein anderer, der ganz teil-
nahmslos dagesessen hatte, hub plötzlich zu singen und zu jodeln an, der Fremde
trat in die Stube, angelockt und entzückt von diesen unerwarteten Naturlauten,
auf einmal gstcmzelte, schnadahüpfelte, schuhplattelte die ganze Gesellschaft. Der
Fremde schwamm in Seligkeit, hielt die ganze Bande frei, die eine ordentliche
Zeche machte, und dann schrieb er himmlische Briefe und Ansichtskarten über
dieses munderbare Land, das in Tracht und Sitte so unverfälscht geblieben sei
und glücklicherweise unbeleckt von der verfluchten neuzeitlichen Kultur . . .
Die Sache tat ihre Wirkung und die Preise stiegen und stiegen. Besonders
schlau war es gedacht, als mau zweierlei Preise einführte. Die niedrigen für
die Einheimischen, die hohen für die Fremden. Aber, einem gewissen Gesetz
zufolge, waren auch die niederen Preise für die Einheimischen enorm gestiegen,
wenn auch immer noch ein gewisser Llbstand gegen die Frcmdenpreise blieb.
Immerhin, die ganze Entwicklung war auf Preiserhöhung gerichtet. Nicht auf
Qualität, nein, lediglich auf Preiserhöhung.----

Ich kam nach einigen Jahren wieder in denselben Ort, aber ich hätte ihn
beinahe nicht mehr gekannt. So gründlich hatte sich alles geändert. Ich ging
zum Bürgermeister, um ihn auszuholen. Nun haben Sie ja alles erreicht,
was Sie wollten, sagte ich. Sind Sie zufrieden? Er kratzte sich hinter den
Ohren. Eine Zeitlang ist es sehr gut gegangen, erwiderte er, aber jetzt wird's
von Jahr zu Jahr schlechter. Der Fremdenstrom zieht wo anders hin, wo
angeblich mehr geboten wird.

Wundern Sie sich darüber, fragte ich. Sie haben einstmals eine aus¬
gezeichnete Stahlindustrie gehabt, durch Jahrhunderte hat sich der Weltruf dieser
Produkte Ihrer Gegend erhalten, sie waren billig und vor allem waren sie
gut. Haben Sie denn bei Ihrer neuen Industrie, ich meine bei der Fremden¬
industrie, ganz vergessen, was Qualität ist? Früher hielt Ihr Ruf Jahrhunderte,
jetzt hat er nicht einmal ein paar Jahre gehalten; früher waren Abnehmer und
Lieferanten zufrieden, heute schimpfen beide aufeinander. Der Fremde auf den
Einheimischen, der Einheimische auf den Fremden. Der Einheimische findet,
daß der Fremde noch immer zu wenig Haare läßt, und der Fremde findet,
zuweilen vielleicht mit einigem Recht, daß man ihm allzusehr zur Ader läßt.
Kein Mensch läßt sich gern schröpfen. Was Sie da Fremdenindustric nennen,
ist ein widriges, scheußliches Ding, und Sie werden Ihre Volkssitten, Ihre alte


Fremdenindustrie

solche Unsitten Volkssitten. Also wurden die Volkssitten aus der Rumpelkammer
der Vergangenheit hervorgesucht, frisch lackiert, den Bedürfnissen der neuen
Zeit angepaßt, die sich so heftig nach alten Volkssitten sehnte. Lieder wurden
einstudiert, Naufszenen improvisiert, und es stellte sich heraus, daß die Einwohner¬
schaft ein bisher noch nicht recht gewürdigtes Talent zum Komödiantentum hatte.
Kam ein Fremder an und faß abends im „Extrazimmer" der „Restauration",
so wurde es plötzlich im Gastzimmer nebenan lebendig. Der Wirt hatte seine
Leute verständigt und die rückten an, anscheinend ganz harmlos, ganz von
ungefähr. Einer fing an die Zither zu schlagen, ein anderer, der ganz teil-
nahmslos dagesessen hatte, hub plötzlich zu singen und zu jodeln an, der Fremde
trat in die Stube, angelockt und entzückt von diesen unerwarteten Naturlauten,
auf einmal gstcmzelte, schnadahüpfelte, schuhplattelte die ganze Gesellschaft. Der
Fremde schwamm in Seligkeit, hielt die ganze Bande frei, die eine ordentliche
Zeche machte, und dann schrieb er himmlische Briefe und Ansichtskarten über
dieses munderbare Land, das in Tracht und Sitte so unverfälscht geblieben sei
und glücklicherweise unbeleckt von der verfluchten neuzeitlichen Kultur . . .
Die Sache tat ihre Wirkung und die Preise stiegen und stiegen. Besonders
schlau war es gedacht, als mau zweierlei Preise einführte. Die niedrigen für
die Einheimischen, die hohen für die Fremden. Aber, einem gewissen Gesetz
zufolge, waren auch die niederen Preise für die Einheimischen enorm gestiegen,
wenn auch immer noch ein gewisser Llbstand gegen die Frcmdenpreise blieb.
Immerhin, die ganze Entwicklung war auf Preiserhöhung gerichtet. Nicht auf
Qualität, nein, lediglich auf Preiserhöhung.----

Ich kam nach einigen Jahren wieder in denselben Ort, aber ich hätte ihn
beinahe nicht mehr gekannt. So gründlich hatte sich alles geändert. Ich ging
zum Bürgermeister, um ihn auszuholen. Nun haben Sie ja alles erreicht,
was Sie wollten, sagte ich. Sind Sie zufrieden? Er kratzte sich hinter den
Ohren. Eine Zeitlang ist es sehr gut gegangen, erwiderte er, aber jetzt wird's
von Jahr zu Jahr schlechter. Der Fremdenstrom zieht wo anders hin, wo
angeblich mehr geboten wird.

Wundern Sie sich darüber, fragte ich. Sie haben einstmals eine aus¬
gezeichnete Stahlindustrie gehabt, durch Jahrhunderte hat sich der Weltruf dieser
Produkte Ihrer Gegend erhalten, sie waren billig und vor allem waren sie
gut. Haben Sie denn bei Ihrer neuen Industrie, ich meine bei der Fremden¬
industrie, ganz vergessen, was Qualität ist? Früher hielt Ihr Ruf Jahrhunderte,
jetzt hat er nicht einmal ein paar Jahre gehalten; früher waren Abnehmer und
Lieferanten zufrieden, heute schimpfen beide aufeinander. Der Fremde auf den
Einheimischen, der Einheimische auf den Fremden. Der Einheimische findet,
daß der Fremde noch immer zu wenig Haare läßt, und der Fremde findet,
zuweilen vielleicht mit einigem Recht, daß man ihm allzusehr zur Ader läßt.
Kein Mensch läßt sich gern schröpfen. Was Sie da Fremdenindustric nennen,
ist ein widriges, scheußliches Ding, und Sie werden Ihre Volkssitten, Ihre alte


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[0180] Fremdenindustrie solche Unsitten Volkssitten. Also wurden die Volkssitten aus der Rumpelkammer der Vergangenheit hervorgesucht, frisch lackiert, den Bedürfnissen der neuen Zeit angepaßt, die sich so heftig nach alten Volkssitten sehnte. Lieder wurden einstudiert, Naufszenen improvisiert, und es stellte sich heraus, daß die Einwohner¬ schaft ein bisher noch nicht recht gewürdigtes Talent zum Komödiantentum hatte. Kam ein Fremder an und faß abends im „Extrazimmer" der „Restauration", so wurde es plötzlich im Gastzimmer nebenan lebendig. Der Wirt hatte seine Leute verständigt und die rückten an, anscheinend ganz harmlos, ganz von ungefähr. Einer fing an die Zither zu schlagen, ein anderer, der ganz teil- nahmslos dagesessen hatte, hub plötzlich zu singen und zu jodeln an, der Fremde trat in die Stube, angelockt und entzückt von diesen unerwarteten Naturlauten, auf einmal gstcmzelte, schnadahüpfelte, schuhplattelte die ganze Gesellschaft. Der Fremde schwamm in Seligkeit, hielt die ganze Bande frei, die eine ordentliche Zeche machte, und dann schrieb er himmlische Briefe und Ansichtskarten über dieses munderbare Land, das in Tracht und Sitte so unverfälscht geblieben sei und glücklicherweise unbeleckt von der verfluchten neuzeitlichen Kultur . . . Die Sache tat ihre Wirkung und die Preise stiegen und stiegen. Besonders schlau war es gedacht, als mau zweierlei Preise einführte. Die niedrigen für die Einheimischen, die hohen für die Fremden. Aber, einem gewissen Gesetz zufolge, waren auch die niederen Preise für die Einheimischen enorm gestiegen, wenn auch immer noch ein gewisser Llbstand gegen die Frcmdenpreise blieb. Immerhin, die ganze Entwicklung war auf Preiserhöhung gerichtet. Nicht auf Qualität, nein, lediglich auf Preiserhöhung.---- Ich kam nach einigen Jahren wieder in denselben Ort, aber ich hätte ihn beinahe nicht mehr gekannt. So gründlich hatte sich alles geändert. Ich ging zum Bürgermeister, um ihn auszuholen. Nun haben Sie ja alles erreicht, was Sie wollten, sagte ich. Sind Sie zufrieden? Er kratzte sich hinter den Ohren. Eine Zeitlang ist es sehr gut gegangen, erwiderte er, aber jetzt wird's von Jahr zu Jahr schlechter. Der Fremdenstrom zieht wo anders hin, wo angeblich mehr geboten wird. Wundern Sie sich darüber, fragte ich. Sie haben einstmals eine aus¬ gezeichnete Stahlindustrie gehabt, durch Jahrhunderte hat sich der Weltruf dieser Produkte Ihrer Gegend erhalten, sie waren billig und vor allem waren sie gut. Haben Sie denn bei Ihrer neuen Industrie, ich meine bei der Fremden¬ industrie, ganz vergessen, was Qualität ist? Früher hielt Ihr Ruf Jahrhunderte, jetzt hat er nicht einmal ein paar Jahre gehalten; früher waren Abnehmer und Lieferanten zufrieden, heute schimpfen beide aufeinander. Der Fremde auf den Einheimischen, der Einheimische auf den Fremden. Der Einheimische findet, daß der Fremde noch immer zu wenig Haare läßt, und der Fremde findet, zuweilen vielleicht mit einigem Recht, daß man ihm allzusehr zur Ader läßt. Kein Mensch läßt sich gern schröpfen. Was Sie da Fremdenindustric nennen, ist ein widriges, scheußliches Ding, und Sie werden Ihre Volkssitten, Ihre alte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/180>, abgerufen am 22.12.2024.