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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Fremdenindnstrie

in der Form nachgeahmte Birkenäste. Eine gußeiserne Tafel war auch am
Eingang zu den paar Schlüngelwegen angebracht, auf der Bürger und Bauer
buchstabieren konnten: diese Anlagen seien dem Schutze des Publikums empfohlen
und Hunde an der Leine zu führen.

Ein neuer Plan war aufgetaucht, in diesen Anlagen ein Wetterhäuschen
aufzustellen. Aber im Gemeinderat hatte sich eine Gegenpartei gebildet, die statt
des Wetterhäuschens eine Bedürfnisanstalt verlangte. Und weil beide Parteien
sich die Wage hielten, so wurde die Beschlußfassung auf unbestimmte Zeit
hinausgeschoben. Dagegen sand der Vorschlag des findigen Bürgermeisters,
sogenannte Fremdeuartikel einzuführen, allseitige Billigung. Die Fremden, hieß
es, liebten es, aus dein Orte allerliebste Andenken mitzunehmen, "Erinnerung
aus . . .", herzige Süchelchen, die man in seinem "Salon" aufstellt, auf
seinen: Schreibtisch, die mau seinen lieben Verwandten, Bekannten und Freunden
schenkt, als Erzeugnisse der unverfälschten Volkskunst, die mau in jenem
unnennbaren Ort noch in voller Blüte angetroffen hat, usf.
"

"Volkskunst, was ist das? fragten die Bürger einander. Was ist das
wieder für ein neumodischer Schwindel?! Die Volkskunst, sagte der Bürger¬
meister, müßt ihr aus der Stadt beziehen, ich habe nur schon Offerte machen
lassen. Es wird nur en Zrv8 geliefert. Also bekam der Ort auch seine
Volkskunst.

Volkstracht? Ha, Hurra! Kein Mensch wußte mehr was von einer
Volkstracht. Nur der Herr Lehrer, der gelegentlich volkskuudliche Aufsätze schreibt,
hatte, weiß Gott woher, einen solchen Kram hervorgezogen. Das Kostüm wurde
probiert und absolut unbrauchbar gefunden. Trotzdem! die neue Zeit verlangte
Volkstrachten. Mau will wieder ursprünglich werden. Also wurden Volks¬
trachten angefertigt für die Burschen und für die Mädchen, die sie während
des Sommers zu tragen hatten, solange man Fremde zu sehen hoffte. Volks¬
trachten aus minderem Zeug, ungefähr nach jenein alten Muster geschnitten.

Daß man in einer solchen Tracht nicht arbeiten konnte, versteht sich von
selbst, aber eigentlich war der Zweck der ganzen Aufmachung nicht zu arbeiten,
sondern zu faulenzen und sich sehen zu lassen. Ein junger, starker Mensch, der
was Besseres leisten konnte, mußte unaufhörlich am Bahnhof stehen, mit einem
solchen Kostüm angetan, und Edelweiß verkaufen, frisch gepflücktes Edelweiß,
das in Töpfen gezogen wurde. Andere trieben sich mit Ansichtskarten umher,
wieder andere mit "Andenke"". Burschen und Mädel. Der Ort bekam ein
farbiges Aussehe". Lustig, Kinder, die Fremden dürfen sich uicht langweilen.
Volkssitten! Wo sind die alten, schönen Volkssitten geblieben? Die Lieder,
die Gstcmzeln, das Fensterln, die Trutzgsanglu, die Raufereien?

Zwar wußte niemand recht, ob, wo, wie oder wann solches im Ort vorgekommen
wäre. Und wenn es einmal vorgekommen war, Wirtshausgeschrei und Kellerei,
dann war es immer eine höchst unerquickliche Sache gewesen, eine grobe Unsitte.
Aber, mit der Zeit, in historischer Betrachtung und poetischer Verklärung, werden


Fremdenindnstrie

in der Form nachgeahmte Birkenäste. Eine gußeiserne Tafel war auch am
Eingang zu den paar Schlüngelwegen angebracht, auf der Bürger und Bauer
buchstabieren konnten: diese Anlagen seien dem Schutze des Publikums empfohlen
und Hunde an der Leine zu führen.

Ein neuer Plan war aufgetaucht, in diesen Anlagen ein Wetterhäuschen
aufzustellen. Aber im Gemeinderat hatte sich eine Gegenpartei gebildet, die statt
des Wetterhäuschens eine Bedürfnisanstalt verlangte. Und weil beide Parteien
sich die Wage hielten, so wurde die Beschlußfassung auf unbestimmte Zeit
hinausgeschoben. Dagegen sand der Vorschlag des findigen Bürgermeisters,
sogenannte Fremdeuartikel einzuführen, allseitige Billigung. Die Fremden, hieß
es, liebten es, aus dein Orte allerliebste Andenken mitzunehmen, „Erinnerung
aus . . .", herzige Süchelchen, die man in seinem „Salon" aufstellt, auf
seinen: Schreibtisch, die mau seinen lieben Verwandten, Bekannten und Freunden
schenkt, als Erzeugnisse der unverfälschten Volkskunst, die mau in jenem
unnennbaren Ort noch in voller Blüte angetroffen hat, usf.
"

„Volkskunst, was ist das? fragten die Bürger einander. Was ist das
wieder für ein neumodischer Schwindel?! Die Volkskunst, sagte der Bürger¬
meister, müßt ihr aus der Stadt beziehen, ich habe nur schon Offerte machen
lassen. Es wird nur en Zrv8 geliefert. Also bekam der Ort auch seine
Volkskunst.

Volkstracht? Ha, Hurra! Kein Mensch wußte mehr was von einer
Volkstracht. Nur der Herr Lehrer, der gelegentlich volkskuudliche Aufsätze schreibt,
hatte, weiß Gott woher, einen solchen Kram hervorgezogen. Das Kostüm wurde
probiert und absolut unbrauchbar gefunden. Trotzdem! die neue Zeit verlangte
Volkstrachten. Mau will wieder ursprünglich werden. Also wurden Volks¬
trachten angefertigt für die Burschen und für die Mädchen, die sie während
des Sommers zu tragen hatten, solange man Fremde zu sehen hoffte. Volks¬
trachten aus minderem Zeug, ungefähr nach jenein alten Muster geschnitten.

Daß man in einer solchen Tracht nicht arbeiten konnte, versteht sich von
selbst, aber eigentlich war der Zweck der ganzen Aufmachung nicht zu arbeiten,
sondern zu faulenzen und sich sehen zu lassen. Ein junger, starker Mensch, der
was Besseres leisten konnte, mußte unaufhörlich am Bahnhof stehen, mit einem
solchen Kostüm angetan, und Edelweiß verkaufen, frisch gepflücktes Edelweiß,
das in Töpfen gezogen wurde. Andere trieben sich mit Ansichtskarten umher,
wieder andere mit „Andenke»". Burschen und Mädel. Der Ort bekam ein
farbiges Aussehe«. Lustig, Kinder, die Fremden dürfen sich uicht langweilen.
Volkssitten! Wo sind die alten, schönen Volkssitten geblieben? Die Lieder,
die Gstcmzeln, das Fensterln, die Trutzgsanglu, die Raufereien?

Zwar wußte niemand recht, ob, wo, wie oder wann solches im Ort vorgekommen
wäre. Und wenn es einmal vorgekommen war, Wirtshausgeschrei und Kellerei,
dann war es immer eine höchst unerquickliche Sache gewesen, eine grobe Unsitte.
Aber, mit der Zeit, in historischer Betrachtung und poetischer Verklärung, werden


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[0179] Fremdenindnstrie in der Form nachgeahmte Birkenäste. Eine gußeiserne Tafel war auch am Eingang zu den paar Schlüngelwegen angebracht, auf der Bürger und Bauer buchstabieren konnten: diese Anlagen seien dem Schutze des Publikums empfohlen und Hunde an der Leine zu führen. Ein neuer Plan war aufgetaucht, in diesen Anlagen ein Wetterhäuschen aufzustellen. Aber im Gemeinderat hatte sich eine Gegenpartei gebildet, die statt des Wetterhäuschens eine Bedürfnisanstalt verlangte. Und weil beide Parteien sich die Wage hielten, so wurde die Beschlußfassung auf unbestimmte Zeit hinausgeschoben. Dagegen sand der Vorschlag des findigen Bürgermeisters, sogenannte Fremdeuartikel einzuführen, allseitige Billigung. Die Fremden, hieß es, liebten es, aus dein Orte allerliebste Andenken mitzunehmen, „Erinnerung aus . . .", herzige Süchelchen, die man in seinem „Salon" aufstellt, auf seinen: Schreibtisch, die mau seinen lieben Verwandten, Bekannten und Freunden schenkt, als Erzeugnisse der unverfälschten Volkskunst, die mau in jenem unnennbaren Ort noch in voller Blüte angetroffen hat, usf. " „Volkskunst, was ist das? fragten die Bürger einander. Was ist das wieder für ein neumodischer Schwindel?! Die Volkskunst, sagte der Bürger¬ meister, müßt ihr aus der Stadt beziehen, ich habe nur schon Offerte machen lassen. Es wird nur en Zrv8 geliefert. Also bekam der Ort auch seine Volkskunst. Volkstracht? Ha, Hurra! Kein Mensch wußte mehr was von einer Volkstracht. Nur der Herr Lehrer, der gelegentlich volkskuudliche Aufsätze schreibt, hatte, weiß Gott woher, einen solchen Kram hervorgezogen. Das Kostüm wurde probiert und absolut unbrauchbar gefunden. Trotzdem! die neue Zeit verlangte Volkstrachten. Mau will wieder ursprünglich werden. Also wurden Volks¬ trachten angefertigt für die Burschen und für die Mädchen, die sie während des Sommers zu tragen hatten, solange man Fremde zu sehen hoffte. Volks¬ trachten aus minderem Zeug, ungefähr nach jenein alten Muster geschnitten. Daß man in einer solchen Tracht nicht arbeiten konnte, versteht sich von selbst, aber eigentlich war der Zweck der ganzen Aufmachung nicht zu arbeiten, sondern zu faulenzen und sich sehen zu lassen. Ein junger, starker Mensch, der was Besseres leisten konnte, mußte unaufhörlich am Bahnhof stehen, mit einem solchen Kostüm angetan, und Edelweiß verkaufen, frisch gepflücktes Edelweiß, das in Töpfen gezogen wurde. Andere trieben sich mit Ansichtskarten umher, wieder andere mit „Andenke»". Burschen und Mädel. Der Ort bekam ein farbiges Aussehe«. Lustig, Kinder, die Fremden dürfen sich uicht langweilen. Volkssitten! Wo sind die alten, schönen Volkssitten geblieben? Die Lieder, die Gstcmzeln, das Fensterln, die Trutzgsanglu, die Raufereien? Zwar wußte niemand recht, ob, wo, wie oder wann solches im Ort vorgekommen wäre. Und wenn es einmal vorgekommen war, Wirtshausgeschrei und Kellerei, dann war es immer eine höchst unerquickliche Sache gewesen, eine grobe Unsitte. Aber, mit der Zeit, in historischer Betrachtung und poetischer Verklärung, werden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/179>, abgerufen am 04.07.2024.