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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Der Niedergang der politischen Parteien

die bei Veränderungen neue Instruktionen einholen mußten. Die Abgeordneten
waren Beamte.

Wenn die überwiegende Mehrzahl der Jnteressenverbünde auch lokal
beschränkt ist, so greifen die großen doch über die Grenzen der Landschaften.
Stämme und Einzelstaaten hinüber. Die Rücksicht auf die Partikularstaaten scheidet
bei ihnen aus. Die Sozialdemokratie, das Zentrum, der Bund der Landwirte,
der Hansabund, die Vereinigungen des Mittelstandes, die Berufsgenossenschaften sind
auch hierfür typisch. Aber hierdurch schließen sich diese großen Verbände auch an die
Bewegung von 1860 bis 1870 an. Sie wirken im Sinne eines festern Zusammen¬
schlusses der Nation. Mag sich auch ihre Tätigkeit auf wirtschaftliches Gebiet
erstrecken, so geht die Wirkung doch selbständig weit über diese nächsten Ziele hinaus.
Der Vergleich mit der Wirkung des Zollvereins drängt sich unmittelbar auf.
Man denke auch an verwandte Erscheinungen, wie Sport-, Flotten- und Krieger¬
vereine, an die zahlreichen kaufmännischen Vereine zur gegenseitigen Unter¬
stützung. Sogar die konfessionellen Vereinigungen suchen die gesamte Nation
zu erfassen. Alle Verbünde wirken am letzten Ende abschwächend auf die
alte Stmnmessondrnng und dem schädlichen Partikularismus entgegen. Sie
gewöhnen die Deutschen, den ewigen Stammeshader, die neidische, blöde Besser¬
wisserei endlich fahren zu lassen, sich dein Ganzen unterzuordnen und im
Zusammenschluß einem gemeinsamen Ziele nachzustreben.

Doch bei einer so umfangreichen und so bunt gestalteten Bewegung geht
es ohne Reibungen nicht ab. Die Interessen sind zu verschiedenartig, durch¬
kreuzen einander zu oft, stehen einander häufig entgegen. Mancherlei Wirbel
und Unterströmungen entstehen, manche Meinungsverschiedenheiten und selbst
Gegensätze, deren Ausgleich nur nach langer Zeit möglich scheint, treten zutage.
Für das Leben der Nation erscheint von allen Richtungen jedoch nur die ultra¬
montane schädlich. Denn sie trägt keinen nationalen Stempel, sondern ist
einer internationalen absoluten Monarchie, der Kurie mit dein Papste in Rom
an der Spitze unterworfen. Deren Ziel aber ist die Unterwerfung der welt¬
lichen Staaten unter ihre Herrschaft. Mittel zum Zweck ist wie immer und
überall in der ganzen Welt die Bildung einer geistlichen Bureaukratie im
Volke. Bei uns sind ihre Reihen längst vollzählig. Sie werden überdies mit
den Mitteln des Staats unterhalten, den sie knebeln sollen. Es wird viel zu
wenig beachtet, daß der katholische Geistliche in erster Linie päpst¬
licher Beamter ist und dieses Amt auch ausübt. Die herrschsüchtige
Kurie ist ein fremdes Element, das. von außen in den lebendigen Volkskörper
eingedrungen, daraus wieder entfernt werden muß.

Von den andern hemmenden Störungen ist die stärkste ohne Zweifel der
Partikularismus. Die stärkste besonders deshalb, weil sie im Besitz der
besten und ältesten Organisation ist und die Verwaltung leitet. Es ist ebenso
begreiflich wie augenscheinlich, daß mit dem Hervortreten der zentralisierenden
Kräfte sich auch die entgegenstehenden mehr und mehr rühren und sich zur


Der Niedergang der politischen Parteien

die bei Veränderungen neue Instruktionen einholen mußten. Die Abgeordneten
waren Beamte.

Wenn die überwiegende Mehrzahl der Jnteressenverbünde auch lokal
beschränkt ist, so greifen die großen doch über die Grenzen der Landschaften.
Stämme und Einzelstaaten hinüber. Die Rücksicht auf die Partikularstaaten scheidet
bei ihnen aus. Die Sozialdemokratie, das Zentrum, der Bund der Landwirte,
der Hansabund, die Vereinigungen des Mittelstandes, die Berufsgenossenschaften sind
auch hierfür typisch. Aber hierdurch schließen sich diese großen Verbände auch an die
Bewegung von 1860 bis 1870 an. Sie wirken im Sinne eines festern Zusammen¬
schlusses der Nation. Mag sich auch ihre Tätigkeit auf wirtschaftliches Gebiet
erstrecken, so geht die Wirkung doch selbständig weit über diese nächsten Ziele hinaus.
Der Vergleich mit der Wirkung des Zollvereins drängt sich unmittelbar auf.
Man denke auch an verwandte Erscheinungen, wie Sport-, Flotten- und Krieger¬
vereine, an die zahlreichen kaufmännischen Vereine zur gegenseitigen Unter¬
stützung. Sogar die konfessionellen Vereinigungen suchen die gesamte Nation
zu erfassen. Alle Verbünde wirken am letzten Ende abschwächend auf die
alte Stmnmessondrnng und dem schädlichen Partikularismus entgegen. Sie
gewöhnen die Deutschen, den ewigen Stammeshader, die neidische, blöde Besser¬
wisserei endlich fahren zu lassen, sich dein Ganzen unterzuordnen und im
Zusammenschluß einem gemeinsamen Ziele nachzustreben.

Doch bei einer so umfangreichen und so bunt gestalteten Bewegung geht
es ohne Reibungen nicht ab. Die Interessen sind zu verschiedenartig, durch¬
kreuzen einander zu oft, stehen einander häufig entgegen. Mancherlei Wirbel
und Unterströmungen entstehen, manche Meinungsverschiedenheiten und selbst
Gegensätze, deren Ausgleich nur nach langer Zeit möglich scheint, treten zutage.
Für das Leben der Nation erscheint von allen Richtungen jedoch nur die ultra¬
montane schädlich. Denn sie trägt keinen nationalen Stempel, sondern ist
einer internationalen absoluten Monarchie, der Kurie mit dein Papste in Rom
an der Spitze unterworfen. Deren Ziel aber ist die Unterwerfung der welt¬
lichen Staaten unter ihre Herrschaft. Mittel zum Zweck ist wie immer und
überall in der ganzen Welt die Bildung einer geistlichen Bureaukratie im
Volke. Bei uns sind ihre Reihen längst vollzählig. Sie werden überdies mit
den Mitteln des Staats unterhalten, den sie knebeln sollen. Es wird viel zu
wenig beachtet, daß der katholische Geistliche in erster Linie päpst¬
licher Beamter ist und dieses Amt auch ausübt. Die herrschsüchtige
Kurie ist ein fremdes Element, das. von außen in den lebendigen Volkskörper
eingedrungen, daraus wieder entfernt werden muß.

Von den andern hemmenden Störungen ist die stärkste ohne Zweifel der
Partikularismus. Die stärkste besonders deshalb, weil sie im Besitz der
besten und ältesten Organisation ist und die Verwaltung leitet. Es ist ebenso
begreiflich wie augenscheinlich, daß mit dem Hervortreten der zentralisierenden
Kräfte sich auch die entgegenstehenden mehr und mehr rühren und sich zur


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/17>, abgerufen am 04.07.2024.