Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Ernst Moritz Arndt

"Schiller und die neue Generation" hat Ludwig Fulda zur Zeit der stärksten
Schiller-Anfeindungen die Gründe für diese teilweise Abkehrung von dem zuvor
am höchsten verehrten Dichter aufgedeckt. Da sieht er vor allem in Schiller
den Dichter der Unbefriedigter, der sehnsüchtigen (zu einem großen Teil
politisch sehnsüchtigen). Und dann heißt es von der neuen, der Reichsgeueration:
"Der Besitzende bedarf keines Bannerträgers mehr; denn das Banner flattert
nun auf dem Dach seines Hauses, und wer nun gar im Besitz geboren ist, der
hält manches, was den Vätern noch für unerreichbar galt, für eine Selbst¬
verständlichkeit." Was hier von Schiller gesagt wird, das gilt in gleichem und,
wie sofort gezeigt werden soll, in höherem Maße von Arndt. Die starke
Verwandtschaft zwischen Schiller und Arndt liegt in dem heißen und reinen
Freiheitsverlangen der beiden Männer. Aber zu dieser Ähnlichkeit tritt doch
eine höchst charakteristische Verschiedenheit. Schiller als der ungleich bedeutendere
Denker und Dichter faßt die Freiheitsidee im Anfang eng: körperlich und politisch,
erweitert und vertieft sie jedoch fortschreitend immer mehr, so daß er also auch
einen: körperlich und politisch mit Freiheit gesättigten Menschen vieles zu geben
hat. Die Zurückdrängung Schillers im Gedächtnis der Deutschen ist denn auch
nie eine völlige, ja selbst nur wesentliche gewesen. Arndt dagegen als der
schlichtere und bescheidenere Kopf beginnt mit weitausgreifenden allgemeinen
und -- etwas verschwommenen Ideen, um allmählich, seiner durch und durch
tüchtigen und aller Unklarheit abgeneigten Natur folgend, zum eng umgrenzten
einfachsten Kerngedanken, zur einheitlichen Idee der Deutschheit durchzudringen.
In diesen: einheitlichen Gedanken der Deutschheit wird sich nun freilich bei
schärferem Betrachten das Zusanunenströmen einer merkwürdigen Dreiheit --
Vaterlandsliebe, Freiheitsliebe, Religiosität -- ergeben; zugleich wird, wenigstens
in politischen Grenzen, eine Entwicklung des Freiheitsgedankens deutlich hervor¬
treten. Aber das wesentliche, dein unkritischen Auge fast als einziges sich auf¬
drängende Merkmal der Arndtschen Schriften bleibt doch das in immer frischen
Wendungen, in immer gleichen Flammen der Begeisterung erneuerte Beten und
Ringen um ein kraftvoll geeintes und freies Vaterland. Und so erfüllt sich
denn an diesem "Bannerträger" in viel bedeutenderem Umfang als an Schiller
die alte Wahrheit, daß "der Besitzende" seiner nicht mehr bedarf. Den alten
weitest ausgedehnten Leserkreis wird Arndts Werk nie wieder finden. Wohl
aber wird seine Schriften immer zur Hand nehmen, wer den unmittelbaren, den
frischesten Stimmen aus der Werdezeit des neuen Reiches lauschen will.

"Die Werdezeit des neuen Reiches" -- das scheint vielleicht etwas kühn
gesagt, wo es sich um einen Mann handelt, dessen reife Jahre in den Anfang
des vorigen Jahrhunderts fielen, und der, im höchsten Greisenalter sterbend, doch
nur erst den leisesten, kaum merklichen Morgenschimmer der eigentlichen Gründungs¬
epoche des Reiches mit seinen letzten Blicken mehr ahnen als auffangen konnte.
Und doch ist der Ausdruck zutreffend, und gerade aus Arndts Schriften erkennt
man -- und dies ist vielleicht die wertvollste Erkenntnis, die sich aus ihnen


Ernst Moritz Arndt

„Schiller und die neue Generation" hat Ludwig Fulda zur Zeit der stärksten
Schiller-Anfeindungen die Gründe für diese teilweise Abkehrung von dem zuvor
am höchsten verehrten Dichter aufgedeckt. Da sieht er vor allem in Schiller
den Dichter der Unbefriedigter, der sehnsüchtigen (zu einem großen Teil
politisch sehnsüchtigen). Und dann heißt es von der neuen, der Reichsgeueration:
„Der Besitzende bedarf keines Bannerträgers mehr; denn das Banner flattert
nun auf dem Dach seines Hauses, und wer nun gar im Besitz geboren ist, der
hält manches, was den Vätern noch für unerreichbar galt, für eine Selbst¬
verständlichkeit." Was hier von Schiller gesagt wird, das gilt in gleichem und,
wie sofort gezeigt werden soll, in höherem Maße von Arndt. Die starke
Verwandtschaft zwischen Schiller und Arndt liegt in dem heißen und reinen
Freiheitsverlangen der beiden Männer. Aber zu dieser Ähnlichkeit tritt doch
eine höchst charakteristische Verschiedenheit. Schiller als der ungleich bedeutendere
Denker und Dichter faßt die Freiheitsidee im Anfang eng: körperlich und politisch,
erweitert und vertieft sie jedoch fortschreitend immer mehr, so daß er also auch
einen: körperlich und politisch mit Freiheit gesättigten Menschen vieles zu geben
hat. Die Zurückdrängung Schillers im Gedächtnis der Deutschen ist denn auch
nie eine völlige, ja selbst nur wesentliche gewesen. Arndt dagegen als der
schlichtere und bescheidenere Kopf beginnt mit weitausgreifenden allgemeinen
und — etwas verschwommenen Ideen, um allmählich, seiner durch und durch
tüchtigen und aller Unklarheit abgeneigten Natur folgend, zum eng umgrenzten
einfachsten Kerngedanken, zur einheitlichen Idee der Deutschheit durchzudringen.
In diesen: einheitlichen Gedanken der Deutschheit wird sich nun freilich bei
schärferem Betrachten das Zusanunenströmen einer merkwürdigen Dreiheit —
Vaterlandsliebe, Freiheitsliebe, Religiosität — ergeben; zugleich wird, wenigstens
in politischen Grenzen, eine Entwicklung des Freiheitsgedankens deutlich hervor¬
treten. Aber das wesentliche, dein unkritischen Auge fast als einziges sich auf¬
drängende Merkmal der Arndtschen Schriften bleibt doch das in immer frischen
Wendungen, in immer gleichen Flammen der Begeisterung erneuerte Beten und
Ringen um ein kraftvoll geeintes und freies Vaterland. Und so erfüllt sich
denn an diesem „Bannerträger" in viel bedeutenderem Umfang als an Schiller
die alte Wahrheit, daß „der Besitzende" seiner nicht mehr bedarf. Den alten
weitest ausgedehnten Leserkreis wird Arndts Werk nie wieder finden. Wohl
aber wird seine Schriften immer zur Hand nehmen, wer den unmittelbaren, den
frischesten Stimmen aus der Werdezeit des neuen Reiches lauschen will.

„Die Werdezeit des neuen Reiches" — das scheint vielleicht etwas kühn
gesagt, wo es sich um einen Mann handelt, dessen reife Jahre in den Anfang
des vorigen Jahrhunderts fielen, und der, im höchsten Greisenalter sterbend, doch
nur erst den leisesten, kaum merklichen Morgenschimmer der eigentlichen Gründungs¬
epoche des Reiches mit seinen letzten Blicken mehr ahnen als auffangen konnte.
Und doch ist der Ausdruck zutreffend, und gerade aus Arndts Schriften erkennt
man — und dies ist vielleicht die wertvollste Erkenntnis, die sich aus ihnen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0162" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/315159"/>
          <fw type="header" place="top"> Ernst Moritz Arndt</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_523" prev="#ID_522"> &#x201E;Schiller und die neue Generation" hat Ludwig Fulda zur Zeit der stärksten<lb/>
Schiller-Anfeindungen die Gründe für diese teilweise Abkehrung von dem zuvor<lb/>
am höchsten verehrten Dichter aufgedeckt. Da sieht er vor allem in Schiller<lb/>
den Dichter der Unbefriedigter, der sehnsüchtigen (zu einem großen Teil<lb/>
politisch sehnsüchtigen). Und dann heißt es von der neuen, der Reichsgeueration:<lb/>
&#x201E;Der Besitzende bedarf keines Bannerträgers mehr; denn das Banner flattert<lb/>
nun auf dem Dach seines Hauses, und wer nun gar im Besitz geboren ist, der<lb/>
hält manches, was den Vätern noch für unerreichbar galt, für eine Selbst¬<lb/>
verständlichkeit." Was hier von Schiller gesagt wird, das gilt in gleichem und,<lb/>
wie sofort gezeigt werden soll, in höherem Maße von Arndt. Die starke<lb/>
Verwandtschaft zwischen Schiller und Arndt liegt in dem heißen und reinen<lb/>
Freiheitsverlangen der beiden Männer. Aber zu dieser Ähnlichkeit tritt doch<lb/>
eine höchst charakteristische Verschiedenheit. Schiller als der ungleich bedeutendere<lb/>
Denker und Dichter faßt die Freiheitsidee im Anfang eng: körperlich und politisch,<lb/>
erweitert und vertieft sie jedoch fortschreitend immer mehr, so daß er also auch<lb/>
einen: körperlich und politisch mit Freiheit gesättigten Menschen vieles zu geben<lb/>
hat. Die Zurückdrängung Schillers im Gedächtnis der Deutschen ist denn auch<lb/>
nie eine völlige, ja selbst nur wesentliche gewesen. Arndt dagegen als der<lb/>
schlichtere und bescheidenere Kopf beginnt mit weitausgreifenden allgemeinen<lb/>
und &#x2014; etwas verschwommenen Ideen, um allmählich, seiner durch und durch<lb/>
tüchtigen und aller Unklarheit abgeneigten Natur folgend, zum eng umgrenzten<lb/>
einfachsten Kerngedanken, zur einheitlichen Idee der Deutschheit durchzudringen.<lb/>
In diesen: einheitlichen Gedanken der Deutschheit wird sich nun freilich bei<lb/>
schärferem Betrachten das Zusanunenströmen einer merkwürdigen Dreiheit &#x2014;<lb/>
Vaterlandsliebe, Freiheitsliebe, Religiosität &#x2014; ergeben; zugleich wird, wenigstens<lb/>
in politischen Grenzen, eine Entwicklung des Freiheitsgedankens deutlich hervor¬<lb/>
treten. Aber das wesentliche, dein unkritischen Auge fast als einziges sich auf¬<lb/>
drängende Merkmal der Arndtschen Schriften bleibt doch das in immer frischen<lb/>
Wendungen, in immer gleichen Flammen der Begeisterung erneuerte Beten und<lb/>
Ringen um ein kraftvoll geeintes und freies Vaterland. Und so erfüllt sich<lb/>
denn an diesem &#x201E;Bannerträger" in viel bedeutenderem Umfang als an Schiller<lb/>
die alte Wahrheit, daß &#x201E;der Besitzende" seiner nicht mehr bedarf. Den alten<lb/>
weitest ausgedehnten Leserkreis wird Arndts Werk nie wieder finden. Wohl<lb/>
aber wird seine Schriften immer zur Hand nehmen, wer den unmittelbaren, den<lb/>
frischesten Stimmen aus der Werdezeit des neuen Reiches lauschen will.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_524" next="#ID_525"> &#x201E;Die Werdezeit des neuen Reiches" &#x2014; das scheint vielleicht etwas kühn<lb/>
gesagt, wo es sich um einen Mann handelt, dessen reife Jahre in den Anfang<lb/>
des vorigen Jahrhunderts fielen, und der, im höchsten Greisenalter sterbend, doch<lb/>
nur erst den leisesten, kaum merklichen Morgenschimmer der eigentlichen Gründungs¬<lb/>
epoche des Reiches mit seinen letzten Blicken mehr ahnen als auffangen konnte.<lb/>
Und doch ist der Ausdruck zutreffend, und gerade aus Arndts Schriften erkennt<lb/>
man &#x2014; und dies ist vielleicht die wertvollste Erkenntnis, die sich aus ihnen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0162] Ernst Moritz Arndt „Schiller und die neue Generation" hat Ludwig Fulda zur Zeit der stärksten Schiller-Anfeindungen die Gründe für diese teilweise Abkehrung von dem zuvor am höchsten verehrten Dichter aufgedeckt. Da sieht er vor allem in Schiller den Dichter der Unbefriedigter, der sehnsüchtigen (zu einem großen Teil politisch sehnsüchtigen). Und dann heißt es von der neuen, der Reichsgeueration: „Der Besitzende bedarf keines Bannerträgers mehr; denn das Banner flattert nun auf dem Dach seines Hauses, und wer nun gar im Besitz geboren ist, der hält manches, was den Vätern noch für unerreichbar galt, für eine Selbst¬ verständlichkeit." Was hier von Schiller gesagt wird, das gilt in gleichem und, wie sofort gezeigt werden soll, in höherem Maße von Arndt. Die starke Verwandtschaft zwischen Schiller und Arndt liegt in dem heißen und reinen Freiheitsverlangen der beiden Männer. Aber zu dieser Ähnlichkeit tritt doch eine höchst charakteristische Verschiedenheit. Schiller als der ungleich bedeutendere Denker und Dichter faßt die Freiheitsidee im Anfang eng: körperlich und politisch, erweitert und vertieft sie jedoch fortschreitend immer mehr, so daß er also auch einen: körperlich und politisch mit Freiheit gesättigten Menschen vieles zu geben hat. Die Zurückdrängung Schillers im Gedächtnis der Deutschen ist denn auch nie eine völlige, ja selbst nur wesentliche gewesen. Arndt dagegen als der schlichtere und bescheidenere Kopf beginnt mit weitausgreifenden allgemeinen und — etwas verschwommenen Ideen, um allmählich, seiner durch und durch tüchtigen und aller Unklarheit abgeneigten Natur folgend, zum eng umgrenzten einfachsten Kerngedanken, zur einheitlichen Idee der Deutschheit durchzudringen. In diesen: einheitlichen Gedanken der Deutschheit wird sich nun freilich bei schärferem Betrachten das Zusanunenströmen einer merkwürdigen Dreiheit — Vaterlandsliebe, Freiheitsliebe, Religiosität — ergeben; zugleich wird, wenigstens in politischen Grenzen, eine Entwicklung des Freiheitsgedankens deutlich hervor¬ treten. Aber das wesentliche, dein unkritischen Auge fast als einziges sich auf¬ drängende Merkmal der Arndtschen Schriften bleibt doch das in immer frischen Wendungen, in immer gleichen Flammen der Begeisterung erneuerte Beten und Ringen um ein kraftvoll geeintes und freies Vaterland. Und so erfüllt sich denn an diesem „Bannerträger" in viel bedeutenderem Umfang als an Schiller die alte Wahrheit, daß „der Besitzende" seiner nicht mehr bedarf. Den alten weitest ausgedehnten Leserkreis wird Arndts Werk nie wieder finden. Wohl aber wird seine Schriften immer zur Hand nehmen, wer den unmittelbaren, den frischesten Stimmen aus der Werdezeit des neuen Reiches lauschen will. „Die Werdezeit des neuen Reiches" — das scheint vielleicht etwas kühn gesagt, wo es sich um einen Mann handelt, dessen reife Jahre in den Anfang des vorigen Jahrhunderts fielen, und der, im höchsten Greisenalter sterbend, doch nur erst den leisesten, kaum merklichen Morgenschimmer der eigentlichen Gründungs¬ epoche des Reiches mit seinen letzten Blicken mehr ahnen als auffangen konnte. Und doch ist der Ausdruck zutreffend, und gerade aus Arndts Schriften erkennt man — und dies ist vielleicht die wertvollste Erkenntnis, die sich aus ihnen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/162
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/162>, abgerufen am 04.07.2024.